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SGB-Medienkonferenz zur Digitalisierung - Referat von Giorgio Pardini

Die Medien- und Kommunikationsgewerkschaft syndicom befasst sich seit mehreren Jahren mit der Digitalisierung der Wirtschaft. Wir haben bereits vier Studien zu diesem Thema erarbeiten lassen: Eine erste Studie befasste sich mit der Entgrenzung der Arbeit (2014), eine zweite Studie mit der Arbeit in Contact- und Callcentern (2015), eine dritte Studie mit der Digitalisierung in den syndicom-Branchen (2016) und eine vierte Studie, die wir kürzlich der Öffentlichkeit vorgestellt haben, mit dem relativ jungen Phänomen des Crowdworking in der Schweiz, der Arbeitsverteilung über Online-Plattformen. 

Aus diesen vier Studien haben wir wichtige Erkenntnisse gewonnen

  1. Die Digitalisierung ist keine Naturgewalt, die über Nacht über uns hereinbricht. Industrielle Revolutionen sind vielmehr evolutionär, langfristige Entwicklungen. Aber wenn ein Prozess abgeschlossen ist, kann man sich den Zustand davor nicht mehr vorstellen. Oder können Sie sich eine Welt ohne Strom vorstellen? Oder, auf die Digitalisierung bezogen: Können Sie sich eine Welt ohne Internet und Smartphones vorstellen? Unsere Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis ist, dass wir die Digitalisierung erstens verstehen und zweitens sowohl in den Sozialpartnerschaften als auch auf der politischen Ebene thematisieren müssen und wollen.
     
  2. Die Digitalisierung birgt sowohl Gefahren als auch Chancen. Es ist aus unserer Sicht falsch, nur die Gefahren zu betonen. Denn diese Sicht verdeckt den Blick auf die Chancen. Aus diesem Grund betone ich zuerst die Chancen der Digitalisierung, bevor ich auf mögliche Gefahren eingehe: Begleitmassnahmen aller industrieller Revolutionen waren Arbeitszeitverkürzungen. Es gilt also, auch die Digitalisierung für die Verkürzung der Arbeitszeit zu nutzen und damit den Beschäftigten mehr frei verfügbare Zeit zu gewähren. Eine weitere grosse Chance ist die weltweite Vernetzung aller Menschen untereinander und die weltweite Verbreitung eines grossen Teils des gesammelten Wissens der Menschheit. Diese Bildungs- oder Informationsrevolution ist eine noch nie dagewesene Chance, um weltweit mehr Chancengerechtigkeit zu schaffen und die Demokratie zu fördern.
     
  3. In der Geschichte der Zivilisation sind immer Berufe entstanden, die früher oder später wieder verschwunden sind. Dass Berufe und Tätigkeiten aussterben oder zumindest an Bedeutung verlieren, ist also nichts Neues. Neu ist aber das rasante Tempo, das ganze Berufsgruppen gefährdet. Das macht verständlicherweise vielen Beschäftigten Angst. Wir fordern deshalb ein Recht auf Arbeit und den Ausbau der Arbeitslosenkassen zu Bildungskassen. Von unseren Sozialpartnern fordern wir, dass deren Mitarbeitende ein verbrieftes Recht auf Aus- und Weiterbildung erhalten, um die Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten und zu verbessern.
     
  4. Die Digitalisierung stellt düstere Big-Brother-Prognosen vergangener Jahrzehnte in den Schatten. Smart-Data-Technologien ermöglichen heute die totale Überwachung am Arbeitsplatz: Von physischen Bewegungen über Tastatureingaben und Aufzeichnen von Telefongesprächen bis hin zur Überwachung der Herzfrequenz, des Blutdrucks, der Körpertemperatur und der Hirnströme. Wir fordern deshalb den Ausbau des innerbetrieblichen Datenschutzes – und dass grundsätzlich nur smarte Daten erhoben werden dürfen, die für den Geschäftsgang relevant sind oder die Gesundheit der Beschäftigten schützen. 
     
  5. Die wohl grösste Gefahr für die Menschheit stellen künstliche Intelligenzen dar, die in der Lage sein könnten, den Menschen als dominantes intelligentes Wesen auf unserem Planeten abzulösen. Um diese Gefahr zu bannen, erwarten wir vom Bundesrat, dass er sich auf internationaler Ebene für Übereinkommen einsetzt, die den Einsatz von künstlicher Intelligenz in dem Sinne regeln, dass sich Algorithmen und Roboter niemals gegen den Menschen stellen dürfen und Diskriminierungen verhindert werden.
     
  6. Die jüngste Studie von syndicom zeigt auf, dass in der Schweiz bereits eine Million Menschen Erfahrungen als Crowdworker gemacht haben – und dass allein in der Schweiz über 100‘000 Menschen ihr Haupteinkommen als Crowdworker verdienen. Sei es mit Personen- und Warentransporten, mit Programmieren, Buchhaltungs- und Übersetzungsarbeiten, als Grafikerin oder Handwerker, Texterin oder Haushaltshilfe, Online-Händler oder ZimmerVermieterin und vielem mehr. Da ist also innert weniger Jahre eine volkswirtschaftlich bedeutende Plattformökonomie entstanden, ohne dass dies von der Politik in gebührendem Mass wahrgenommen wurde. Wir fordern deshalb umgehend klare gesetzliche Bestimmungen für die Plattformökonomie. Entgegen den Behauptungen der Plattformbetreiber handelt es sich bei Crowdworkern nur marginal um Studenten und Rentner, die via Plattformen Arbeiten ausführen. Auch selbständig Erwerbende bilden nur einen kleinen Teil der Crowdworker. Die allermeisten Crowdworker verstehen sich als Beschäftigte und wollen soziale Sicherheit. Dies bedingt, dass nur Plattformen erlaubt sein dürfen, die branchenübliche Löhne bezahlen, Sozialversicherungen abrechnen und mit Lohnausweisen sicherstellen, dass die Beschäftigten Steuern bezahlen. Um supranational tätige Plattformen zu regulieren, streben wir ein Zertifizierungssystem an.
     
  7. Von der Digitalisierung profitieren Volkswirtschaften mit top Infrastrukturen. Auch das ist im Grundsatz nichts Neues, basiert doch der Wohlstand in unserem Land auf den Infrastrukturen, der Bildung und der Sozialpartnerschaft. Auch ICT-Infrastrukturen sind nichts Neues. Internationale Studien zeigen aber, dass die Schweiz nicht zuvorderst ist. Deshalb muss der Bundesrat mit einer geschickten Industriepolitik dafür sorgen, dass vermehrte Investitionen in die ICT-Infrastruktur erfolgen. Wir begrüssen deshalb auch den Entscheid des Nationalrats vom 27. September sehr, mit dem er den Bundesrat dazu auffordert, bei der Digitalisierung eine aktivere Rolle einzunehmen.
     
  8. Die Schweiz ist international führend in der Drohnen- und Blockchaintechnologie sowie bei der Automatisierung von Produktionsanlagen. Doch wenn es darum geht, Innovationen weltweit zu vermarkten, fehlen häufig die Gelder dazu. Wir fordern deshalb den Bund auf, einen Produktionsfonds einzurichten, der mit Pensionskassengeldern gespiesen und von der Nationalbank abgesichert wird. Damit die Schweiz ein Exportland von hochwertigen Gütern bleibt, muss nebst der Wirtschaft auch der Bund seine Verantwortung wahrnehmen.
     
  9. Im Zusammenhang mit der laufenden Teilrevision des Fernmeldegesetzes fordern wir den Bund dazu auf, die Netzneutralität gesetzlich zu verankern. Denn Netzneutralität ist eine zentrale Voraussetzung, um die Kontrolle der Gesellschaft durch wenige Konzerne und extreme Machtkonzentration zu verhindern.
     
  10. Die digitale Kommunikation auf mehreren Kanälen führt bei vielen Beschäftigten dazu, dass sie in der Freizeit kaum mehr abschalten können. Das kann zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis hin zu Burnouts führen. Wir fordern deshalb in unseren Sozialpartnerschaften das Recht auf Abschalten, das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit ausserhalb der Arbeitszeit.
     
  11. Genauso wie Berufsbilder laufenden Veränderungen unterworfen sind, verändern sich auch die Steuersysteme. Wir stellen fest, dass seit den 1970er-Jahren der Anteil der Einkommen aus Kapital und Unternehmensgewinnen laufend gestiegen ist. Wir wollen deshalb eine gesellschaftspolitische Diskussion darüber anstossen, ob und wie Daten, Algorithmen, Roboter und künstliche Intelligenzen besteuert werden könnten. Hierbei gilt es mit der nötigen Umsicht vorzugehen, denn eine entsprechende Steuer dürfte weder die Innovation noch nötige Strukturanpassungen bremsen. Sie müsste also so ausgestaltet sein, dass sie die Schweizer Volkswirtschaft als Ganzes stärkt.
     
  12. Bereits voll durchgeschlagen hat die Digitalisierung in der Medienbranche. Wir sind besorgt über Konzentrationsprozesse und Abbaumassnahmen. Unsere Forderung an die Medienhäuser lautet deshalb, weiterhin einen hochstehenden Journalismus und Meinungsvielfalt zu fördern sowie ein Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft abzulegen.
     
  13. Die Digitalisierung dient auch der Ökologie, indem Städte und Gemeinden die Energieversorgung und den Verkehr intelligenter organisieren können. Wir begrüssen deshalb die Smart-City-Initiative des Bundes und fordern die Städte und Gemeinden auf, sich daran zu beteiligen.  

Sehr geehrte Damen und Herren, damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen. Eine letzte wichtige Erkenntnis unserer Studien war, dass auch wir als Gewerkschaft syndicom die Digitalisierung für die bessere Organisation unserer Arbeit nutzen können. So haben wir in den letzten zwei Jahren viele unserer Prozesse digital modernisiert oder gänzlich digitalisiert. 
 
syndicom ist aus diesem Prozess gestärkt hervorgegangen und wird sich am Kongress vom 10./11. November schwerpunktmässig der Digitalisierung widmen. Das wünschen wir uns auch für die Schweizer Politik und die Schweizer Wirtschaft. Für Arbeit und Wohlstand für alle statt für wenige. 
 
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. 

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