Artikel

Doppelt ausgebeutet

Die Frauen in der grafischen Industrie verrichten den Grossteil der Teilzeitarbeit, arbeiten zahlreich als Temporäre und haben oftmals keinen Berufsabschluss der Branche. Sie tragen das doppelte Kreuz: Als Arbeitende im Gegensatz zu den Besitzenden, als Frauen im Gegensatz zu den meist bessergestellten männlichen Kollegen. Yvonne Flükiger, Ruth Glauser und Doris Thomas wissen davon ein Lied zu singen. 

 

Die grafische Industrie steht in der Krise, sie kennt zahlreiche Probleme. Eines davon: Im Druck werden Frauen schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Ganze 22 Prozent beträgt der Lohnunterschied, die Hälfte davon «unerklärbar» – weil die Frau eine Frau ist. Alle wissen es. Doch da taucht bereits das nächste Problem auf. Doris Thomas spricht es aus: «Wir können das nicht beweisen.» Die 58-Jährige arbeitet seit 34 Jahren im selben Betrieb, immer im Druck. «Wenn wir endlich mehr über Löhne reden würden, könnten sehr viele Ungerechtigkeiten aufgedeckt werden.»

Von Frauen und Hilfs­arbeiten

Yvonne Flükiger und Ruth Glauser kennen die grafische Industrie ebenfalls seit langen Jahren. Wer Doris, Yvonne und Ruth zuhört, bekommt ein eindrückliches Bild von der männerdominierten Branche. Da wäre etwa die Sache mit den Chefs. «Das sind alles Männer. Ich hatte noch nie eine Frau als Chefin», führt Ruth aus. Frauen haben es kaum in die Chefetagen geschafft. Zwar sind mittlerweile 38 Prozent der Beschäftigten weiblich, doch sie sind überproportional oft in der schlechter bezahlten Druckweiterverarbeitung als Hilfsarbeiterinnen anzutreffen. Hinzu kommt, dass 70 Prozent der Frauen nur in Teilzeit angestellt sind. Das hat auch Doris Thomas erlebt: «Bei uns werden Hilfsarbeiten meist von Frauen erledigt. Die Männer sind mehrheitlich gelernte oder angelernte. Sogar als Hilfsarbeiter stehen sie etwas höher in der Hierarchie, weil sie Maschinen einstellen können. Den Männern wurde das beigebracht, den Frauen nicht. Die wurden nicht angelernt, sondern sind nur da, um die Maschinen zu bedienen.» Die Konsequenz ist klar: «Sie verdienen unter 4000 Franken.»

Beispiele für «Frauenarbeit» kennt auch Yvonne Flükiger: «In einem meiner Betriebe war eine Frau an der Maschine, das war in der Weiterverarbeitung. Die war wesentlich schneller als jeder Typ. Aber sie war nur zu 60 Prozent angestellt. Sie hatte immer Angst, dass sie rausfliegt, weil hinter ihrem Rücken ein Mann etwas gegen sie unternehmen könnte. Da gab es dann auch gravierende Unterschiede beim Lohn. Mindestens 500 Franken, wenn man es aufrechnet auf 100 Prozent. Er bekam über 4000 Franken und sie 3700.»

In einem stimmen die drei Frauen überein: Die grössten Lohnunterschiede findet man bei den Hilfsarbeiten und in der Weiterverarbeitung. Auch der Unterschied von ungelernten zu gelernten Arbeitenden ist frappant. Das führt Ruth Glauser aus: «Bei den Ungelernten verdienen Frauen weniger als Männer trotz gleicher Arbeit. Die Gelernten wissen sich besser zu wehren.» Ganz sicher ist sie aber nicht. Auch in Ruths Betrieb spricht man nicht über die Löhne.

In der Krise: Stellenabbau und mehr Temporäre

Die Krise der grafischen Industrie ist wenig hilfreich, um diese Tendenzen zu bekämpfen. Über 10 Prozent der Beschäftigten wurden in den vergangenen vier Jahren entlassen, viele mussten in die Teilzeit wechseln. Bisweilen erzwingen die Unternehmer eine solche Entwicklung auch. So in Doris’ Betrieb: «Meine Firma war eine der ersten in der Erhöhung auf die 42-Stunden-Woche. In Wirklichkeit geht es da um indirekten Stellenabbau.» Das folgt einer zynischen Logik: Weil mit der 42-Stunden-Woche oftmals nicht genug Arbeit für die Angestellten vorhanden ist, häufen diese rasch Minusstunden an. Am Ende des Jahres dienen die Minusstunden den Unternehmern dann als Argument, die Beschäftigten zur Reduzierung ihrer Stellenprozente zu zwingen. Dass dieser Abbau gleichermassen Männer und Frauen betrifft, ist wenig tröstlich.

Perfid wird es auch, wenn die Bosse anfangen, den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der grafischen Industrie zu umgehen. Insbesondere Frauen profitieren von den dort festgelegten Mindestlöhnen; insbesondere Frauen werden um ihren Lohn betrogen, wenn der GAV nicht eingehalten wird. Ein beliebtes Mittel dazu sind Temporäranstellungen. So sind syndicom Fälle bekannt, in denen Frauen mit Migrationshintergrund als Temporärangestellte nur 18 Franken in der Stunde verdienten. Auch die Frauen wissen, dass hier Lohndumping betrieben wird: «Die temporär angestellten Frauen verdienen weniger als die Männer. Mit den Temporären umgehen die Bosse den GAV in puncto Lohn. Die wissen schon, warum: Dort machen sie ihr Geld, auf dem Buckel der Frauen.»

Immerhin hier tut sich nun etwas. Sobald der von syndicom ausgehandelte GAV für die grafische Industrie allgemeinverbindlich erklärt wird, werden die Temporären den Festangestellten materiell gleichgestellt. Doch bis es so weit ist, wird noch mindestens ein Jahr vergehen.

* Johannes Supe, Redaktions-Praktikant bei syndicom

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden