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Es droht «der grösste Rentenklau aller Zeiten»

Im Juni schlug SP-Bundesrat Alain Berset vor, AHV und 2. Säule gemeinsam zu revidieren. Die Gewerkschaften warnen: Es droht ein massiver Abbau. Und es gibt genügend andere Möglichkeiten, die Renten zu sichern. 

 

«Wackelrenten» und «Rentenklau» lauteten die Schlagzeilen nach den Vorschlägen, mit denen Bundesrat Alain Berset die Finanzierungsprobleme der Sozialwerke lösen will. Am heftigsten ist die Opposition gegen die Senkung des Umwandlungssatzes von heute noch 6,8 auf 6,0 Prozent. «Dies wäre der grösste Rentenklau aller Zeiten», warnt Doris Bianchi, Expertin für Altersvorsorge beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund. SGB-Präsident Paul Rechsteiner bewertet die Pläne aus dem Bundeshaus als «schwere Provokation». Er verweist auf die konkreten Auswirkungen im Portemonnaie: Eine solche Kürzung würde eine Rente von heute 1500 Franken auf unter 1300 Franken pro Monat drücken.

Die eidgenössischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen sich mit den neuen Vorschlägen erst noch befassen. Der SGB-Präsident erinnert sie daran, dass Rentensenkungen bei der Bevölkerung keine Chance haben: Zuletzt stimmten 2010 fast 73 Prozent gegen die Herabsetzung des Umwandlungssatzes auf 6,4 Prozent.

Der SGB zeigt auch, dass die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 ungerecht ist: Frauen haben im Durchschnitt sowieso schon tiefere Alterssparkapitalien, und vierzig Prozent verlassen den Arbeitsmarkt vor 64. Dabei spielen familiäre Verpflichtungen eine wichtige Rolle. Viele Frauen um die 60 betreuen ihre Enkelkinder. Ohne die Grosseltern wäre in mancher Familie eine Berufstätigkeit nicht möglich. Andere Frauen pflegen ihre kranken Eltern, Schwiegereltern oder den Partner. «Die Heraufsetzung des Frauenrentenalters verkennt die soziale Realität der Frauen. Als Sanierungsmassnahme für die AHV ist sie einseitig und ungerecht», kritisiert deshalb der SGB.

Wackel-Renten darf es nicht geben

Für Aufsehen gesorgt haben auch die «Wackel-Renten», wie sie die SBB-Pensionskasse einführen will. Sie will künftig nur noch einen Teil der Altersrenten garantieren und den Rest von der Zins- und Börsenentwicklung abhängig machen. Der überobligatorische Teil der Leistungen soll flexibilisiert werden. Seitens der Betroffenen hat dies zu einem Aufschrei geführt: Rentenversprechen müssen eingehalten werden!

Die Idee ist nicht einmal neu, wurde aber noch nie von einem Bundesbetrieb eingeführt. Die «Pensionskasse Energie» kennt das Modell schon. Die ­volle Rente gibt es dort nur noch bei einem Deckungsgrad zwischen 100 und 120 Prozent. Steigt der Deckungsgrad über 120 Prozent, steigen auch die Renten. Sinkt die Deckung unter 100 Prozent, gibt es nur 95 oder gar nur 90 Prozent der Rente. Wenn die Pensionskasse eines Bundesbetriebs dieses Modell einführen würde, wäre dies ein bedenkliches Signal. So weit darf es nicht kommen, macht die Eisenbahngewerkschaft SEV klar.

Aus der Finanzierungs­verantwortung stehlen

Besonders sauer aufgestossen ist SGB-Präsident Paul Rechsteiner ein anderer Aspekt: die «versteckte Agenda» bei der AHV-Finanzierung. Bisher zahlt der Bund rund zwanzig Prozent der AHV-Ausgaben aus der allgemeinen Bundeskasse. Diesen Anteil will er auf zehn Prozent reduzieren, damit das Geld für eine weitere Senkung der Unternehmenssteuern frei wird. Damit macht sich der Bundesrat zum Erfüllungsgehilfen des Wirtschaftsverbandes Economie­suisse, so Rechsteiner.

Als neuen Finanzierungsweg schlägt der Bundesrat eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. Die Mehrwertsteuer muss als Konsumsteuer von allen bezahlt werden. Die Arbeitnehmenden kommen damit doppelt zur Kasse: die Preise steigen, und die Renten sinken trotzdem massiv. Der SGB warnt: «Wird dieser Weg beschritten, wird der Druck für Rentenkürzungen auch bei der AHV zunehmen.»

Es geht auch anders

Für die Gewerkschaften ist klar: Es gibt genügend andere Möglichkeiten, die Renten zu sichern. Mit der AHVplus-Initiative schlagen sie vor, die AHV zu stärken. Die Zweite Säule rechnet sich für tiefe und mittlere Einkommen sowieso nicht, und mit zehn Prozent höheren AHV-Renten wäre schon viel erreicht. Dazu soll die gesamte Tabaksteuer der AHV zufliessen. Heute wird ein Teil dieser Abgaben in den allgemeinen Haushalt geleitet. Zusätzlich können die Alkoholsteuer und eine nationale Erbschaftssteuer bessere AHV-Renten mitfinanzieren.

Bei der Zweiten Säule verlangt der SGB mehr finanzielle Solidarität. «Es ist schliesslich gerecht, wenn ein Teil des Fortschritts für die Finanzierung der tiefen und mittleren Renten eingesetzt wird statt zur Bereicherung der obersten Einkommensschichten», argumentiert Paul Rechsteiner.

Kritisiert wird auch die kurzfristige Optik. Wegen der aktuellen Tiefzinspolitik jetzt Rentenkürzungen bei der Zweiten Säule durchzuboxen, sei nicht seriös: «So tiefe Zinsen und Renditen sind nicht in Stein gemeis­selt», betont der Gewerkschaftsbund. Tatsächlich schwankt die Finanzlage der Pensionskassen stark mit dem schnellen Auf und Ab der Börsen: Ein Deckungsgrad von 95 Prozent kann – wie im Börsenboom in diesem Frühling – innert weniger Wochen auf weit über 100 Prozent klettern.

* René Hornung, Pressebüro St. Gallen

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