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«Solidarität ist die beste Medizin!»

Gestern, am 13. Mai, sprach syndicom - die zeitung anlässlich des «Tisch(s) der Generationen» in Zürich mit der Ex-Bundesrätin Ruth Dreifuss und dem frisch gewählten JUSO-Präsidenten Fabian Molina. Wir fragten sie nach ihren Erwartungen gegenüber der Veranstaltung, ihrem Verständnis von Generationenvertrag und ihrer Meinung zur Altersreform 2020.

© Nina Scheu

Ruth und Fabian, ihr nehmt am „Tisch der Generationen“ von syndicom teil. Was erwartet ihr von dieser Veranstaltung?
Ruth: Das Ziel ist klar: das gegenseitige Verständnis der Generationen ist eine Bedingung für gegenseitige Solidarität und ihr gemeinsames Streben nach sozialer Gerechtigkeit.

Fabian: Ich freue mich auf einen spannenden Austausch über die Generationsgrenzen hinweg. Es ist sehr wichtig, dass wir die Solidarität aller Altersgruppen stärken und uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Nach wie vor versuchen die Bürgerlichen beispielsweise die Renten zu kürzen und die Repression gegenüber der Jugend zu verstärken – dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren.

Was erwartet ihr jeweils von der Generation des anderen an Engagement für die Gesellschaft und speziell für eure eigene Generation?

Ruth: Ich erwarte nichts Besonderes von den Menschen, die im Arbeitsprozess stehen. Ich bin ihnen dankbar, dass sie ihren Beitrag an die AHV leisten, wie wir es früher gemacht haben, und es weiter über die Mehrwertsteuer machen. Für ihre eigene Zukunft wünsche ich mir, dass sie sich aktiv am politischen, am gewerkschaftlichen und am gesellschaftlichen Leben beteiligen.
Fabian: Ich erwarte, dass sie sich nicht aus den relevanten Diskussionen ausklinken und resignieren. Und dass sie versuchen, ihre enorme Erfahrung an die jüngeren Generationen weiter zu geben. Was sie daraus machen, müssen die Jungen dann aber selber entscheiden. Ich bin überzeugt, dass in einer Demokratie alle Bevölkerungsgruppen angemessen beteiligt sein müssen – und da hat vor allem die Jugend noch Nachholbedarf.

Was versteht ihr unter dem Begriff «Generationenvertrag»?
Ruth: Der Generationenvertrag ist nur ein Unterkapitel des Gesellschaftsvertrag, des «contrat social» wie wir auf französisch und nach Jean Jacques Rousseau sagen. Dabei geht es um die verschiedensten gegenseitigen Leistungen, die kreuz und quer Menschen verbinden. Wichtig scheint mir, das gesamte Leben eines Einzelnen zu betrachten. Je nach Situation gibt er mehr, als er bekommt, oder umgekehrt. Das Ziel sollte sein, dass von jedem das verlangt wird, was er im Stande ist, zu geben, und jede das bekommt, was sie braucht. Für dieses Ziel gilt es sich zu engagieren.

Fabian: Der Generationenvertrag ist der demokratische und rechtsstaatliche Ausdruck des Willens zur Solidarität der Menschen miteinander. Wir wollen keine alten Menschen, die nach einem langen Erwerbsleben nur mit Mühe über die Runden kommen. Im Sozialstaat wurde das teilweise realisiert. Der heutige Sozialstaat ist allerdings das Ergebnis eines langen Kampfes der Ausgebeuteten gegen die Herrschenden und damit von zahlreichen Kompromissen geprägt. Wir haben viel erreicht, am Ziel sind wir aber noch nicht.

Wie steht ihr zur Altersreform 2020, die Bundesrat und SP-Genosse Alain Berset massgeblich mitbestimmt?
Ruth: Der Ansatz von Alain Berset, von der konkreten Situation der Rentnerinnen und Rentner auszugehen, ist gut. Dies bedingt erstens, dass es eine Gesamtreform geben soll, wo AHV und berufliche Vorsorge nicht getrennt behandelt werden und dass das Verhältnis zwischen den zwei Säulen im Zentrum der Reform steht. Es bedingt zweitens, dass das Ziel einer Rente, die mindestens 60% des letzten Einkommens bringt, zu niedrig ist für die tieferen Löhne. Das, was mich am meistens stört im Vorschlag: Dass sich die öffentliche Hand nicht mehr verpflichten sollte, einen fest geschriebenen Beitrag an die Ausgaben der AHV zu garantieren. Ich verstehe hingegen – aus meiner eigenen Erfahrung als Bundesrätin – dass gewisse Massnahmen, z.B. die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65, notwendig sind. Es muss damit aber auch die Möglichkeit einer sozial gestalteten Frühpensionierung geschaffen werden.
Fabian: Wir JUSOs begrüssen es sehr, dass die Reform die 1. und 2. Säule ganzheitlich angehen will. Für eine Erhöhung des Rentenalter bieten wir aber keine Hand, wir arbeiten schon heute zu viel. Bevor wir überhaupt über eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen diskutieren, muss erst einmal die Lohngleichheit durchgesetzt werden. Es ist ausserdem zentral wichtig, dass die Menschen auch nach ihrer Pensionierung von ihrer Rente leben können. Die Initiative AHVplus der Gewerkschaften ist deshalb enorm wichtig, um dieses verfassungsmässige Recht endlich durchzusetzen.

Ruth, wie viele Freunde und Bekannte, die unter 30 Jahre alt sind, hast du in deinem Umfeld? Wie oft triffst du dich mit ihnen und welche Themen diskutiert ihr?
Ruth: Nicht mehr so viele, da meine Nichten und Neffen und ihre FreundInnen über 40 sind. Es gibt aber in Partei und Gewerkschaften jüngere GenossInnen und KollegInnen, die ich an Sitzungen oder bei Ständen treffe.
Und du, Fabian?
Fabian: Insbesondere in der Partei und den Gewerkschaften kenne ich viele ältere Menschen – aber auch im Familien- und Bekanntenkreis treffe ich immer wieder Menschen fortgeschrittenen Alters. Ich finde es besonders spannend über gesellschaftliche Veränderungen und Fortschritte zu diskutieren. Oft sind es auch ältere Menschen, bei denen die Radikalität und der Wille, etwas zu verändern, wieder steigt – wie bei den Jungen.

Welche Ideenansätze habt ihr, um ein Auseinanderdriften der Gesellschaft, spezifisch eurer beiden Generationen, zu verhindern?

Ruth: Ich sehe dieses Auseinanderdriften nicht... Was es hingegen gibt, ist die Einsamkeit und der Rückzug ins Privatem bei vielen Menschen.
Fabian: Zentral ist sicher, dass man im Austausch bleibt – wie etwa beim „Tisch der Generationen“. Insgesamt geht es aber darum, die Gesellschaft zu politisieren. Für mich ist klar: Die Grenzen in dieser Gesellschaft verlaufen zwischen denen oben und denen unten. Denen die haben und sich immer mehr bereichern und denen, für die sich die Arbeit kaum noch lohnt. Den Kampf für eine gerechtere Gesellschaft müssen wir deshalb alle gemeinsam führen, ob Frau oder Mann, ob Ausländer oder Schweizerin, ob alt oder jung. Diese Solidarität ist die beste Medizin gegen das Auseinanderdriften !

Vielen Dank, dass ihr euch Zeit genommen habt !

Interview: Felix Graf

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