Artikel

Streik bei der sda: «Wir sind nicht für Profite da!»

Während dieser Artikel entsteht, ist der Streik der SDA-Redaktion «sistiert». Warum die Schweizerische Depeschenagentur so wichtig ist für die Medien und die Menschen in diesem Land.

Das Debakel begann schon vor Monaten. Im Hintergrund sogar noch früher, als die Verlage beschlossen, mit ihrer Schweizerischen Depeschenagentur SDA künftig dickes Geld zu machen.

Jetzt bedroht das Missmanagement der Besitzer die Existenz der ältesten und letzten Schweizer Nachrichtenagentur. 36 von 150 Vollzeitstellen wollen sie zerstören. Das ist ein Viertel der Redaktion. So kann die Agentur ihre Aufgabe nicht mehr wahrnehmen. Wer liefert dann die Grundversorgung der Schweizer Medien mit Nachrichten aus dem In- und Ausland, aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur?

Entlassen wird mit den Journalistinnen und Journalisten viel Wissen, Können und Erfahrung. Gehen sollen vor allem die Älteren, die besser verdienen als jene, die frisch von der Uni kommen. Anständige Frühpensionierungen sehen die Besitzer nicht vor. Schliesslich habe man jahrelang in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt, meinte der SDA-CEO in einem Interview schnoddrig. Jetzt sollen das RAV und die Steuerzahlenden für die Entlassenen aufkommen. Manchen droht der bittere Gang aufs Sozialamt.

Rückgrat der freien Information

Entstanden ist die Schweizerische Depeschenagentur vor bald 125 Jahren, am 1. Januar 1895, als Reaktion auf die marktbeherrschende Stellung ausländischer Nachrichtenagenturen in der Schweiz. Sie befindet sich im gemeinsamen Besitz verschiedener Medienunternehmen. Den weitaus grössten Teil der Aktien teilen sich Tamedia, die NZZ-Gruppe, die SRG und der Westschweizer Verlegerverband «Médias Suisses». Die grössten Besitzer der SDA sind gleichzeitig ihre grössten Kunden – da liegt das Problem begraben.

Der SDA ging es bis vor kurzem finanziell gut. Mit dem Aufkommen der Gratisblätter und der Onlinemedien hatte sie neue Kunden gewonnen. Rendite musste sie keine abwerfen. Denn schliesslich war die SDA ein gemeinsamer Dienst, der einen unab- hängigen Informationsfluss sicherte. Eine Form von Service public, für die Meinungsbildung in einer Demokratie von zentraler Bedeutung. Weil die SDA keine Dividenden ausschüttete, konnte sie über die Jahrzehnte 20 Millionen Franken Reserven ansammeln.

230 000 Depeschen pro Jahr

Die Bedeutung des Nachrichtendienstes nahm angesichts des Niedergangs der Qualitätspresse zu. Wo die Verleger ihre Redaktionen schrumpfen, zusammenlegen und kleinsparen, sinkt die Eigenleistung der betroffenen Zeitungen. Die Lücken werden mit Agenturmaterial gefüllt. Gegen 230 000 Meldungen verschickt die SDA pro Jahr. Sie sind sauber recher- chiert, mehrfach abgesichert und bemühen sich um Neutralität.

So bilden sie die Grundversorgung der Schweiz mit Nachrichten und Hintergrundberichten. Schätzungsweise ein Drittel der Berichte in Schweier Medien basiert auf mehr oder weniger stark ergänzten oder auch nur leicht umgeschriebenen Texten der SDA. Bei den Gratisblättern «Le Matin» und «20 minutes» von Tamedia in der Romandie machen sie um die 50 Prozent der Artikel aus. Online wird viel SDA-Material sogar unverändert übernommen. Mit Ausnahme des Autorenkürzels (sda), das dabei gerne «vergessen» geht. Gespart wird in den Medienhäusern weiterhin. Warum aber funktioniert das Geschäftsmodell der SDA plötzlich nicht mehr? Eben weil die Medienhäuser gleichzeitig Besitzer und Kunden sind. Als Besitzer kennen sie schon seit Jahren nur eine Strategie für ihre Medien: Journalistinnen entlassen, Fotografenpensen kürzen, Zeitungen zusammensparen und Artikel zwei-, drei-, vier- oder möglichst zehnmal verwenden, ohne dafür zu zahlen. Sie nennen es «Contentmanagement». Als Kunden der SDA tun sie genau dasselbe: Sie weigern sich, die neuen Tarife zu zahlen.

Jodeln in Bulgarien

Ohne Rabatt, so drohten vor allem NZZ und AZ-Medien, würden sie eine billigere Konkurrenzagentur gründen, die «Bulgaria». Angedacht war die Auslagerung der Arbeit an «ehemalige Flüchtlinge, die lange genug in Deutschland gelebt und studiert haben, um die Sprache zu beherrschen, und nun in ihre Heimat in Osteuropa zurückgekehrt sind», wie es beim Korrektorat der NZZ-Gruppe heisst und bereits praktiziert wird. Aus der Konkurrenzagentur wird wohl nichts. Stattdessen wurde am 30. Oktober 2017 die Fusion mit der Fotoagentur Keystone verkündet – gleichzeitig mit der Kündigung von SDA-Chefredaktor Bernard Maissen.

Der CEO, Markus Schwaab, sprach nun plötzlich von 1,8 Millionen Franken Defizit, das sich wegen der Kundenrabatte im vergangenen Jahr angehäuft habe. Er warnte, in den kommenden zwei Jahren müsse ein Viertel der Stellen eingespart werden. Dann ging es Schlag auf Schlag: Im Dezember wurde bekannt, dass von der «neuen» SDA erwartet werde, Dividenden an die Aktionäre auszuschütten. Schwaab: «Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig.»

Ein Paradigmenwechsel: Bisher hatte man sich bei der Nachrichtenagentur als nicht profitorientiertes Unternehmen verstanden. Statt die echte Kostenstruktur offenzulegen, wie es die Angestellten am 8. Dezember in einer Resolution verlangten, liess Schwaab im Januar die Kündigungen verschicken.

Die Betroffenen handelten. An diversen Redaktionsversammlungen organisierte sich das Personal, formulierte Forderungen an die Unternehmensleitung und machte die Vorgänge öffentlich. Doch Geschäftsleitung und Verwaltungsrat verweigerten das Gespräch.

Schlimmer noch: Um die Zitrone ganz auszupressen, verlangten die grossen Medienhäuser (Tamedia und NZZ) die Auszahlung der Gewinnreserven, vor der Fusion mit Keystone.

Streik mit starkem Echo

Am 23. Januar beschlossen die Redaktionsmitglieder einen dreistündigen Warnstreik und traten schliesslich am 30. Januar geschlossen in Streik. Aus anderen Redaktionen und aus der Politik kam und kommt viel Unterstützung.

Allein, bei den Verantwortlichen stiess sie auf taube Ohren. Nachdem die Belegschaft mit Unterstützung der Gewerkschaften in Bern, Zürich und Lausanne vier Tage lang gestreikt hatte, bequemte sich der Verwaltungsrat endlich an den Verhandlungstisch.

Verleger auf blindem Crashkurs

Seit dem 2. Februar ist der Streik nun sistiert, aber nicht beendet. Die SDA-Journalistinnen und -Journalisten haben nicht nur eine breite Welle der Solidarität erfahren, sondern sich auch weiterhin zu Wort gemeldet. Sie schrieben offene Briefe an die Verwaltungsräte, versuchten auf dem Verhandlungsweg bessere Bedingungen auszuhandeln und besuchten am 5. März die Fragestunde im Bundeshaus, um die Politiker und Politikerinnen von ihrem Einsatz für den Erhalt der SDA zu überzeugen. Je länger der Konflikt andauert, desto konkreter werden die Zerstörungspläne der SDA-Besitzer. Während die Angestellten um die Zukunft ihrer Agentur bangen und auf einen verbesserten Sozialplan für die Entlassenen hinarbeiten, igeln sich der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung wieder ein.

Es ist höchste Zeit, dass die SDA aus dem profitorientierten Korsett herausgelöst wird. Ein kleiner Anteil der Gebühren im Umfang von vier Mil- lionen Franken würde kurzfristig eine Verschnaufpause geben, um den Ba- sisdienst der SDA in drei Sprachen weiterzuführen. syndicom fordert die Politik auf, entsprechende Weichen zu stellen, bevor es zu spät ist.

(Nina Scheu)

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden