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Streit, zum Glück

Vom 9. zum 10. November fand in Bern die Jugendkonferenz statt. Für syndicom war es schon die dritte, für den Autor die erste. In zwei Tagen sollte sich herausstellen, ob die Gewerkschaftsjugend sich bewegt. 

 

Es geht hoch her, aber kein Wort dringt nach draussen. Auf die Konferenz in der Seitengasse weist kein Plakat, kein Schild, kein Kleber hin. Im Vorfeld bemühte man sich redlich, den Kreis der Eingeweihten zu vergrössern; jetzt, am Samstag, haben 16 junge GewerkschafterInnen ihren Weg in die Berner «Casa d’Italia» gefunden.

Es ist syndicom-Jugendkonferenz. Und da fliegen Sätze wie Steine durch den Raum, treffen bisweilen mit Wucht: «Ohne ein gutes Konstrukt herrscht die Macht des Stärksten. Das wollen wir nicht – und darum braucht es mehr EU und eine stärkere EU, nicht weniger von ihr.» Der da so poltert, das ist Roger Nordmann. Der SP-Nationalrat spricht sich für die Europäische Union aus – und das in einem atemberaubenden Tempo: Satz auf Satz auf Satz, der Mann weiss zu reden. Wir sind mitten drin, der Punkt des Tages lautet: EU ja oder nein? Im Streitgespräch sind Nordmann und Selma Schacht; er pro, sie kontra EU; der Waadtländer gegen die Österreicherin.

Streitgespräch EU

Als Mitglied im Bundesvorstand der syndicom-Schwestergewerkschaft GPA-djp geht Selma Schacht vom Standpunkt der Arbeit aus: «Solidarität statt Konkurrenz, Zusammenschluss statt Spaltung: das wollen die Gewerkschaften. Die EU steht gerade für das Gegenteil.» Die Lohnsysteme stünden im Visier, GAVs werden auf die Betriebs­ebene verlagert, die Reallöhne der meisten EU-Länder sinken, die Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugend, steigt auf ein Rekordniveau: «Welche Gewerkschaft will sich für diesen Weg aussprechen?» – «Aber», antwortet Nordmann, «wir sind nicht nur Gewerkschafter und Arbeitende. Wir sind auch Bürger.»

Man kennt das: Die Veranstaltung ist da, man hört zu, schaut zu. Sollen sie doch reden! Hier ist es anders. Nordmann sagt: «Die EU macht eine Politik, die nicht besser oder schlechter ist als die anderer Länder.» Das Publikum antwortet: «Die Arbeiter von Griechenland müssen ja nicht nur gegen ihre Unternehmer und ihre Regierung kämpfen, sondern sie haben auch noch eine EU, die gegen sie steht. Das ist sehr wohl schlechter.»

«Die Firmen agieren multinational – und wir sollen sie in einem Land bekämpfen?», hält ein junger ITler fest. Die Absage an die EU überzeugt ihn nicht. «Meine Partei, die Partei der Arbeit Österreichs, sagt Nein zur EU, fordert den Austritt Österreichs. Es geht darum, sich die Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten zurückzuholen, die an die EU verloren gingen», stellt Schacht klar. Um Souveränität geht es auch Nordmann, nur anders: «Mitglied der EU zu sein, ist eine Frage der demokratischen Würde und der Mitbestimmung.» Klar wird: Die EU, wie sie jetzt ist, will niemand. Wer sie will, will eine EU, wie sie noch nicht ist; man könnte sie ja verändern. Gegen die EU ist, wer nicht glaubt, dass sie werden kann, wie sie nie war. Ein Kampf der Utopie gegen den Materialismus.

Kleine Veränderungen
im Strassenbild

Noch am Abend wird diskutiert, unter ganz anderen Umständen, über völlig verschiedene Dinge. Im gemeinsamen Ausgang kommen Ideen auf, die erstaunlich praktisch sind. Warum – nach Selmas Besuch – nicht Selma besuchen, und die Gewerkschaftsjugend Österreichs gleich mit? Der Vorschlag ruft Begeisterung hervor, ist trotz Alkohol weit davon entfernt, eine Schnapsidee zu sein. Tatsächlich entstehen in der gemütlichen Atmosphäre dicht besetzter Tische Kontakte unter jungen Leuten, die gemeinsam etwas machen möchten. Party, natürlich, Gewerkschaft, ebenso natürlich. So wird die Nacht lang und voller … Gespräche.

Das war vor Wochen. Die ganze Bewegung, die eine Konferenz mit glücklichem Streit hervorruft, hat Spuren hinterlassen. Wer heute die Berner Länggasse entlangspaziert, einen Blick in ihre Seitengassen wirft, der könnte finden, dass der ein oder andere Laternenmast farbiger wirkt – in Blau und Weiss beklebt. Zufällig kann man über den Namen «syndicom» stossen. Und das, ganz ohne vorher eingeweiht worden zu sein.

* Johannes Supe, Praktikant

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