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Zwei Mal Grüninger

Die Solothurner Filmtage sind mit «Akte Grüninger» eröffnet worden, nur Tage später kommt der Film in die Kinos. Mehr noch als diesen Bilderbogen über einen Mann mit Zivilcourage lohnt es sich allerdings, wieder einmal Richard Dindos Dokumentarfilm «Grüningers Fall» von 1997 anzusehen. 

Der St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger (1892–1972) ermöglichte nach der Grenzschliessung von August 1938 bis März 1939 Hunderten jüdischer Flüchtlinge aus Österreich die Einreise in die Schweiz, indem er ihre Einreisepapiere auf die Zeit vor der Grenzschlies­sung zurückdatierte. Doch Grüningers Akt der Menschlichkeit flog auf. Er wurde im April 1939 entlassen und 1940 wegen Urkundenfälschung verurteilt. Für sein Handeln bezahlte Grüninger einen hohen Preis, er konnte beruflich nie mehr Fuss fassen und starb 1972 verarmt. Zwar gab es ab Ende der 1960er-Jahre Versuche, Paul Grüninger zu rehabilitieren, 1971 drehte ­Felice A. Vitali eine Fernsehdoku über den ehemaligen Polizeihauptmann, der in Israel als «Gerechter unter den Völkern» geehrt wurde. Doch in den Jahren nach seinem Tod geriet Grüninger wieder in Vergessenheit. Das Blatt wendete sich erst mit dem Sachbuch «Grüningers Fall» (1993) des Journalisten Stefan Keller.

Nach 56 Jahren rehabilitiert

1995 wurde dann endlich Grüningers Rehabilitierung eingeleitet und 1997 realisierte Richard Dindo seinen Dokumentarfilm, der den gleichen Titel trägt wie Kellers Buch. Darin kamen Weggefährten, die Tochter Grüningers und vor allem zahlreiche von Grüninger gerettete Jüdinnen und Juden zu Wort. Zusammen mit historischem Material entstand das differenzierte Bild eines Mannes, der sein Handeln einst so begründet hatte: «Wer wie ich wiederholt Gelegenheit hatte, die herzzerbrechenden Auftritte, das Zusammenbrechen der Betroffenen, das Jammern und Schreien von Müttern und Kindern, die Selbstmorddrohungen anzuhören sowie Selbstmordversuche anzusehen, der konnte schliesslich nicht mehr mittun.»

Dindos formal starker Film kam genau zur richtigen Zeit: Im Land kochte damals die Debatte über die Rolle der Schweiz in der Nazizeit. Dennoch erreichte «Grüningers Fall» mit 7000 Kinoeintritten nur ein vergleichsweise kleines Publikum. Was wohl beim Spielfilm «Akte Grüninger» anders sein wird. Regie führte der durch seine Martin-Suter-Verfilmungen («Lila, Lila», «Der letzte Weynfeldt») bekannte Regisseur Alain Gsponer, produziert haben das Schweizer Fernsehen und C-Films. Diese hat Publikumsrenner wie «Grounding», «Nachtzug nach Lissabon» oder «Der Verdingbub» produziert, und mit Stefan Kurt als Hauptmann Grüninger und Max Simonischek als Bundespolizist Robert Frei sind zwei bekannte Schauspieler mit von der Partie, die bereits in «Der Verdingbub» tragende Rollen gespielt hatten. Der 3,3 Millionen teure Film orientiert sich grösstenteils an Kellers Buch und Dindos Dokumentarfilm, ist aber bezüglich Ausstattung und Schauplätzen genauer als bezüglich gewisser Sachverhalte und hinterlässt den Eindruck, dass es in den 20 Jahren keinerlei neue Erkenntnisse mehr gegeben hätte. Aber natürlich soll man sich «Akte Grüninger» anschauen, denn trotz sachlicher Fehler und bisweilen arg papierener Dialoge gibt es in diesem opulenten Reenactment eindrückliche Szenen, denen man sich nicht entziehen kann, etwa wenn mehrfach der Widerstandsgeist der einfachen Leute in der Grenzregion beschworen wird.

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