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Muss das ins Arbeitszeugnis?

Ich bin seit mehreren Monaten krank und nicht in der Lage, zu arbeiten. Es ist absehbar, dass mein Arbeitsvertrag gekündigt wird. Muss in einem Arbeitszeugnis erwähnt werden, dass ich krank und deshalb arbeitsunfähig bin?

Wenn Sie krank sind, das heisst, unverschuldet medizinisch begründet Ihrer Arbeit nicht nachkommen können, darf Ihnen der Arbeitgeber rechtmässig erst nach Ablauf einer Sperrfrist kündigen. Die Dauer der Sperrfrist hängt davon ab, wie lange Sie bereits bei Ihrem Arbeitgeber angestellt sind. Im ersten Dienstjahr darf Ihnen während dreissig Tagen, ab dem zweiten bis und mit dem fünften Dienstjahr während 90 Tagen und ab dem sechsten Dienstjahr während 180 Tagen nicht gekündigt werden (OR 336c). Falls in Ihrem Fall ein Gesamtarbeitsvertrag zur Anwendung kommt, ist zu prüfen, ob dieser allenfalls einen weiter gehenden Kündigungsschutz beinhaltet (vgl. Kasten).

Bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses sowie – was jederzeit möglich ist – auf Verlangen eines Arbeitnehmers stellt der Arbeitgeber ein Arbeitszeugnis aus. Dieses hat sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über die Leistung und das Verhalten des Arbeitnehmers auszusprechen (OR 330a). Ein solches Vollzeugnis, auch qualifiziertes Zeugnis genannt, soll das weitere berufliche und wirtschaftliche Fortkommen des Arbeitnehmers unterstützen, beziehungsweise nicht beeinträchtigen. Deshalb soll es wohlwollend formuliert sein. Dieser Anspruch ergibt sich aus den Schutzpflichten des Arbeitgebers, der ganz allgemein die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen hat.

Das Arbeitszeugnis soll einem künftigen Arbeitgeber jedoch auch ein möglichst genaues Abbild der Tätigkeiten, der Leistung und des Verhaltens des Arbeitnehmers geben, weshalb es auch wahr, klar und vollständig zu sein hat, also keinen täuschenden Gesamteindruck vermitteln darf. Im Einzelfall kann es also einen Konflikt zwischen dem Gebot der wohlwollenden Beurteilung und dem Wahrheitsgebot geben.

In einem kürzlich erfolgten Bundesgerichtsurteil (4A_187/2010) wurde entschieden, dass negative Aussagen bezüglich der Leistung eines Arbeitnehmers in einem Vollzeugnis erwähnt werden dürfen, falls sie für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers erheblich sind. Dem Urteil liegt ein Sachverhalt zu Grunde, wonach die über ein Jahr anhaltende Erkrankung des Arbeitnehmers seine Leistungsbereitschaft und sein Verhalten so sehr beeinträchtigt hat, dass er, selbst wenn er wieder arbeitsfähig werden sollte, die Anforderungen an seine bisherige Funktion nicht mehr erfüllen könnte und daraus auf einen sachlichen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geschlossen wurde. Das Gericht führt weiter aus, dass eine geheilte Krankheit, die die Beurteilung der Leistung und des Verhaltens nicht beeinträchtigt, unerwähnt bleiben muss. Hingegen seien längere, krankheitsbedingte Arbeitsunterbrüche zu erwähnen, wenn sie mit Bezug auf die gesamte Vertragsdauer erheblich ins Gewicht fallen und ohne ihre Erwähnung ein falscher Eindruck von den beruflichen Erfahrungen des Angestellten vermittelt würde.

Fazit: Eine Krankheit darf im Arbeitszeugnis wahrheitswidrig unerwähnt bleiben, wenn ihre Nichterwähnung keinen täuschenden Gesamteindruck des Arbeitnehmer hinterlässt, wobei in jedem Fall die Umstände des Einzelfalls massgebend sind.

Empfehlung für die Praxis: Wenn Sie als Arbeitnehmer ein Zeugnis verlangen, bringen Sie zum Ausdruck, dass Sie dieses vor der Unterzeichnung gegenlesen möchten. Falls Sie mit dem Inhalt nicht in jeder Beziehung einverstanden sind, unterbreiten Sie dem Arbeitgeber schriftlich Ihren Änderungsvorschlag, eventuell nach dem Sie sich haben beraten liessen.

Ruth Wenger
lic. iur., Rechtsdienst syndicom

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