Interview mit Prof. Dr. Kurt Pärli

Die Arbeit im Homeoffice wirft viele rechtliche Fragen auf. Arbeitsrechtsspezialist Prof. Dr. Kurt Pärli nimmt Stellung

1. Anrecht

Unsere Homeoffice-Studie mit gfs.bern hat gezeigt, dass viele Arbeitnehmende dieser Arbeitsform positiv gegenüberstehen. Bei Swisscom wünschen sich mehr als 80% der Befragten, mindestens 50% ihres Arbeitspensums von zu Hause aus zu arbeiten. Können Arbeitnehmende ein generelles Recht auf Homeoffice geltend machen? 

Weder aus dem Arbeitsgesetz noch aus dem Vertragsrecht lässt sich ein generelles Recht auf Homeoffice ableiten. Ein Anspruch auf Homeoffice kann jedoch vertraglich vereinbart werden. Über das einzelne Arbeitsverhältnis hinaus können Ansprüche auf Homeoffice auch in Gesamtarbeitsverträgen verankert werden.  

In der aktuellen Coronavirus-Krise empfiehlt der Bundesrat dringend, wenn immer möglich im Homeoffice zu arbeiten. Auch dies führt nicht zu einem individuellen Recht auf Homeoffice.  

2. Kosten

Wer muss die Kosten für Material, Arbeitsgeräte und andere Auslagen im Homeoffice tragen? Die Arbeitnehmenden oder der Arbeitgeber? 

Nach Art. 327 Abs. 1 OR haben Arbeitgebende die Arbeitnehmenden mit den Geräten und dem Material auszurüsten, die diese zur Arbeit benötigen, sofern nichts anders verabredet oder üblich ist. Art. 327 Abs. 2 OR hält angemessenen Entschädigungsanspruch fest, wenn Arbeitnehmende die Geräte selber beschaffen. Unter Art. 327 OR fallen insbesondere die Anschaffung und Amortisation von PC/Notebook, Drucker und Mobiltelefon.  

Art. 327a OR regelt den Auslagenersatz. Nach Art. 327a Abs. 1 OR sind die Arbeitgebenden verpflichtet, den Arbeitnehmenden alle durch die Ausführung der Arbeit notwendigerweise entstehenden Kosten zu ersetzen. Art. 327a Abs. 2 OR erlaubt eine pauschale Abgeltung. Zu den «Auslagen» im Sinne von Art. 327a OR gehören die Kosten für den Arbeitsraum, Strom, Heizung, Abo- und Verbindungskosten für Internet und Telefon sowie Wartungs- und Reparaturkosten für die Arbeitsgeräte.  

Wenn, was häufig der Fall sein dürfte, der/die Arbeitnehmer*in im Falle eines teilweisen Homeoffice-Arrangements im Büro einen PC, einen Drucker und auch ein Mobiltelefon zur Verfügung hat, gilt bezüglich des Einsatzes dieser Geräte im Homeoffice folgendes: Steht dem/der Arbeitnehmer*in ein Notebook zur Verfügung und der/die Arbeitnehmer*in arbeitet zu Hause (wenn auch befugterweise) auf einem privaten Gerät, so besteht kein Anspruch auf Kostenersatz durch die Arbeitgebenden. Wenn jedoch im Büro lediglich ein Fest-PC vorhanden ist, dann müssen die Arbeitgebenden dem Arbeitnehmenden ein Gerät für den Einsatz im Homeoffice zur Verfügung stellen, bzw. sich an den Kosten beteiligen (im Sinne von Art. 327 Abs. 1 und 2 OR). Das gilt auch für den Fall, dass Arbeitnehmende im Büro lediglich einen Festnetzanschluss haben. 

Betreffend Beteiligung der Arbeitgebenden hat das Bundesgericht im April 2019 einen wichtigen Entscheid gefällt: Wenn kein dauernder und geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird, so besteht ein Anspruch auf finanzielle Beteiligung an den Mietkosten durch die Arbeitgeberin.  

Fraglich ist die Entschädigungspflicht dann, wenn die Arbeitgebenden Homeoffice auf Wunsch des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin gewährt. Wenn den Arbeitnehmenden im Betrieb jederzeit ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, schulden die Arbeitgebenden keine Entschädigung.  

3. Gesundheitsschutz

Im Homeoffice leiden die sozialen Kontakte und die Ergonomie, zudem haben Arbeitnehmende im Homeoffice Mühe, abzuschalten und sich zu erholen. Wer ist zuständig für den Gesundheitsschutz im Homeoffice? 

Homeoffice ändert an den Pflichten der Arbeitgeberin zur Einhaltung der Vorschriften des Arbeitsgesetzes hinsichtlich Gesundheitsschutz grundsätzlich nichts. Auch die vertragliche Pflicht zum Persönlichkeitsschutz (Art. 328 OR) und Datenschutz (Art. 328b OR) gilt gleichermassen im Homeoffice. 

Aber wie kann im Homeoffice der Gesundheitsschutz kontrolliert werden? Soll der Arbeitgeber zu mir nach Hause kommen, um zu kontrollieren? 

Das ist eine Herausforderung. Relativ einfach ist die Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten sowie der Nacht- und Sonntagsarbeitsverbote. Die Arbeit am Computer hinterlässt auch im Homeoffice Spuren. Da die Arbeitgeberin in der Pflicht steht, dafür zu sorgen, dass diese Vorschriften eingehalten werden, darf und muss sie auch entsprechend kontrollieren. 

Kontrollen der Arbeitgeberin (wie auch der Behörden) zu Hause scheitern am Anspruch auf Privatsphäre. Aber auch die Arbeitnehmenden sind in der Pflicht, sie müssen den Anweisungen der Arbeitgeberin i.S. Gesundheitsschutz Folge leisten, sei dies im Betrieb oder im Homeoffice.  

4. Arbeitszeit 

Im Homeoffice sind Privatleben und Arbeit nicht immer klar trennbar. Das ist auf Dauer belastend und kann zu gesundheitlichen Beschwerden und Ausfällen führen. Was sieht das Arbeitsgesetz zum Schutz der Arbeitnehmenden vor? Muss die Arbeitszeit auch im Homeoffice erfasst werden? 

Die Verlagerung des Arbeitsortes vom Betrieb in die Privatwohnung ändert nichts an der Geltung der Arbeitszeitvorschriften; Nacht- und Sonntagsarbeit sind verboten, bzw. bewilligungspflichtig und die Höchstarbeitszeiten sowie die Ruhezeiten finden uneingeschränkt Anwendung. Die Arbeitszeit ist auch im Homeoffice zu erfassen und der Arbeitgeber hat das Recht und die Pflicht, dies entsprechend anzuordnen und zu kontrollieren.  

Braucht es ihrer Meinung nach Gesetzesanpassungen im Bereich der Arbeitszeit, um die Arbeitnehmenden im Homeoffice besser zu schützen oder um sie flexibler arbeiten zu lassen? 

Das Arbeitsgesetz bietet bereits heute Raum für spezielle Branchen, Berufe und Funktionen, angepasste Lösungen zu finden, ich verweise auf die Ausnahmen vom persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich sowie auf die Ausnahmen gemäss der Verordnung 2 zum ArG.  

Spezielle Homeoffice-Flexibilisierungen sind meines Erachtens nicht erforderlich und auch nicht wünschenswert. Gerade im Homeoffice bedarf es zeitlicher Schranken, damit die Arbeit im Dienste der Arbeitgebenden sich nicht auch noch die letzten Freiheitsreservate der Arbeitnehmenden erobert.  

5. Datenschutz 

Darf mich der Arbeitgeber im Homeoffice überwachen? Sind Systeme wie Microsoft Workplace Analytics oder andere Analysetools überhaupt zulässig? 

Wie im Betrieb hat die Arbeitgeberin auch im Homeoffice die gesetzlichen Schranken der zulässigen Überwachung zu respektieren. Das betrifft zum einen Art. 26 der Verordnung 3 zum ArG; diese Bestimmung verbietet die reine Verhaltensüberwachung und lässt die Überwachung aus anderen Gründen nur zu, soweit durch die Überwachung nicht die Gesundheit der Arbeitnehmenden beeinträchtigt wird. Zum anderen schränkt Art. 328b OR die zulässige Bearbeitung von Arbeitnehmerdaten durch die Arbeitgeberin ein (Bei einer Überwachung werden immer Personendaten der Arbeitnehmenden bearbeitet). Weiter verweist Art. 328b OR auf das Datenschutzgesetz (DSG) und damit auch wichtige Datenbearbeitungsgrundsätze wie Transparenz, Zweckbindung, Datensicherheit und Verhältnismässigkeit. Alle diese Regeln stehen einer Anwendung von Analysetools nicht grundsätzlich entgegen. Zulässig sind solche Instrumente aber nur, sofern und soweit die genannten Schranken zum Schutze der Persönlichkeit der Arbeitnehmenden eingehalten werden.   

6. Gewerkschaften und Gesamtarbeitsverträge 

Wo greift das Recht zu kurz? Was muss in Gesamtarbeitsverträgen oder Reglementen sozialpartnerschaftlich vereinbart werden?  

Ein Anspruch auf zumindest teilweises Homeoffice kann und soll Gegenstand einer grundsätzlichen Regelung in einem GAV sein; Konkretisierungen auf betrieblicher Ebene machen Sinn.   

Auch OR-Regelungen zur Kostentragung bedürfen einer weiteren Konkretisierung, diese kann durchaus im Rahmen eines GAV erfolgen. Sozialpartnerschaftliche Lösungen sind einen sinnvollen Umgang mit den Schattenseiten des Homeoffice etwa soziale Isolation und die schon angesprochene Entgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit/Familienzeit. Auch Fragen der zulässigen Überwachung und des Gesundheitsschutzes können auf GAV-Ebene angegangen werden. 

Wie kann das Informationsrecht der Gewerkschaften auch im Homeoffice sichergestellt werden?  

Gewerkschaften haben gemäss Bundesgericht zumindest im öffentlich-rechtlichen Bereich und nach einem beachtlichen Teil der Lehre auch im privatrechtlichen Bereich einen Anspruch auf Zugang zum Betrieb. Wenn ein grosser Teil der Belegschaft dauernd oder häufig im Homeoffice tätig ist, muss ein solcher Zutritt virtuell ermöglicht werden, etwa durch ein Recht auf regelmässige digitale Informationsveranstaltungen und durch einen Anspruch auf Werbung auf digitalen «Anschlagbrettern».  

7. Personalvertretungen und Mitwirkung 

Wie kann man sicherstellen, dass auch die Mitarbeitenden im Homeoffice von der betrieblichen Mitwirkung nicht ausgeschlossen werden?  

Die innerbetrieblichen Mitwirkungsorgane müssen und dürfen auch im Homeoffice-Modus tätig sein, auch Wahlen für die Besetzung von Gremien können über einschlägige Plattformen organisiert werden.  

Müssen Personalvertretungen in die Ausgestaltung von Homeoffice miteinbezogen werden? Wo sehen Sie den Handlungsspielraum von Personalvertretungen? 

Auf jeden Fall, Homeoffice-Lösungen funktionieren dort am besten, wo die hauptsächlich Betroffenen in die Entscheidfindung involviert werden. 

8. Homeoffice aus dem Ausland 

Darf ich Homeoffice von irgendwo ausführen, also auch am Palmenstrand? Was ist in diesem Kontext zu beachten? 

Die Vorfrage ist: Was wurde mit der Arbeitgeberin vereinbart bzw. wie sieht eine Weisung der Arbeitgeberin aus? Soweit Homeoffice in diesem Lichte zulässig ist, spricht aus arbeitsvertragsrechtlicher Sicht nichts dagegen. Es stellen sich allerdings heikle sozialversicherungs- und steuerrechtliche Fragen.  

Herzlichen Dank für das Interview. 

Miriam Berger, Zentralsekretärin Sektor ICT

zurück

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden