Nur internationale Aktionen können helfen

Gegen die Übermacht der globalen Multis helfen nur internationale Aktionen

«Wie weit soll die Flexibilität eigentlich noch gehen, die von den Arbeitenden verlangt wird? Zu viel Flexibilität bei der Arbeit setzt Menschen langfristig unter Druck und greift die Gesundheit an. Die OECD und sogar einige rechte Ökonomen erkennen bereits den Missbrauch darin. Wir müssen die Digitalisierung fruchtbar machen, um auch das zu ändern. » 

UNI Global Union ist die internationale Gewerkschaftsföderation, die im Jahr 2000 aus der Fusion von vier früheren Verbänden hervorging: Kommunikations-Internationale (ehemalige Internationale der PTT), Internationale Graphische Föderation, Medien- und Unterhaltungs- Internationale und Interna tionaler Verband der Angestellten, Techniker und Führungskräfte.

 Die Föderation umfasst etwa 20 Millionen Mitglieder und 900 Organisationen in 150 Ländern; auch die Mitglieder von syndicom sind ihr angeschlossen, und Daniel Münger, Präsident von syndicom, gehört dem Weltvorstand von UNI Global an. «Das ist erst der Anfang», ergänzt Christy Hoffman, die neue Generalsekretärin der Föderation, denn 90 % der Arbeitsplätze, die in den nächsten Jahren entstehen, dürften die von UNI Global abgedeckten Sektoren betreffen.
 In einer globalisierten und von Multis beherrschten Welt können einzig koordinierte Aktionen der Arbeit nehmenden und Gewerkschaften mehrerer Länder globale Akteure zu Verhandlungen zwingen. UNI Global, die ihren Sitz in Nyon hat, da sie traditionsgemäss mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eng verbunden ist, hat die Aufgabe, die gewerkschaftlichen Aktionen zu koordinieren, die denselben Multi betreffen.

Streik bei Amazon: in Spanien und Deutschland gleichzeitig

Zum Beispiel Amazon, bei dem Mitte Juli in Deutschland und Spanien gleichzeitig gestreikt wurde. Die Arbeitenden protestierten gegen die Arbeits be din gungen und forderten eine Lohn erhöhung und einen GAV. Kleine Programmierfehler, die Bestellungen verhinderten, begleiteten die Aktionen.

In Italien musste Amazon Ende 2017 nach einer Untersuchung wegen Steuerbetrugs ein Abkommen über eine Ausgleichszahlung von 100 Millionen Euro unterzeichnen. «Und diese Machenschaften zur Steueroptimierung verursachen überall Probleme, angefangen bei den USA», erklärt Christy Hoffman. «Die Aufgabe der UNI Global Union ist, die Gegen aktionen zu bündeln, um ihre Wirkung zu verstärken.»

Schwere Zeiten für die Gewerkschaften

Andere Riesen, wie der Callcenter- Gigant Teleperformance, der auch in der Schweiz tätig ist, stehen wegen ihrer tiefen Löhne am Pranger: «Wir vereinen die Gewerkschaften, damit sie gemeinsam über die Strategie entscheiden können. In der Schweiz ist die Allgemeinverbindlich erklärung des GAV der Callcenter eine sehr gute Praxis, die auch in anderen Ländern verfolgt werden sollte. Dazu ist politische Arbeit bei den Regierungen und bei der OECD erforderlich.»

Und zwar zu einem historischen Zeitpunkt, da der Internationale Gewerkschaftsbund ein düsteres Bild von der Lage der Arbeitnehmenden weltweit zeichnet: Zwischen 2014 und 2018 nahm die Unterdrückung der Gewerkschaftsfreiheit um 15 % zu und betrifft nun 92 Länder, und zu GAV-Verletzungen kommt es mittlerweile in 115 Staaten (+32 %).
«Wir leben in einer finsteren Zeit für die Arbeit im Allgemeinen», sagt Christy Hoffman, «die Ungleichheiten sind sehr ausgeprägt. Seit mindestens 5 Jahren entwickeln sich diese Zahlen nicht gut. Die Geschäftsmodelle der reichsten und mächtigsten Unternehmen, die auf ganz schlechten Arbeitsbedingungen beruhen, haben viel zu viel Ungleichheit produziert, wie selbst die OECD erkannt hat – über 90 % der Arbeitenden der globalen Lieferkette haben Tieflöhne und prekäre, unsichere Arbeitsbedingungen, mehr als 70 % verfügen über keinen angemessenen sozialen Schutz.» Und sie fügt an: «Sogar rechte Ökonomen beginnen zu fordern, dass die Digitalisierung als Gelegenheit zur Verbesserung der Lage genutzt wird.»

Überholt? Im Gegenteil!

Hoffman wehrt sich entschieden gegen die Ansicht, die Gewerkschaften seien überholt: «Die Grosskonzerne behaupten, dass die Gewerkschaften ein Instrument der Vergangenheit seien. Aber unsere Umfragen deuten auf das Gegenteil hin: Auf der ganzen Welt würden sich die Arbeitnehmenden gerne so einfach organisieren können wie in der Schweiz, aber sie scheitern an der Haltung ihrer Regierung und der Arbeitgeber. Ich denke, wir sollten unsere Arbeitsweise ändern und die Formalitäten für die Jungen vereinfachen: mithilfe von Apps rekrutieren, präsent sein in sozialen Netzwerken und auf IT-Plattformen.»

Ausserdem gebe es auf der Welt noch Gewerkschafts-Wüsten, zum Beispiel in einem Grossteil von Afrika: «Es ist unmöglich, einen Gewerkschaftsbeitrag zu zahlen, wenn man nicht einmal genug zu essen hat. Aber im Postsektor verfügen wir mit DHL über Gewerkschaftspräsenz in 9 Ländern Afrikas, und wir haben ein weltweites Abkommen, das auch die Schweiz betrifft.»

Obwohl UNI Global über 50 internationale Abkommen, die weltweit mehr als 10 Millionen Arbeitnehmende abdecken, unterzeichnet hat, betreffen nur wenige davon die Schweiz. «UNI hat kaum Abkommen mit Multis, die in der Schweiz präsent sind, ausser einigen wenigen wie ISS und DHL. In der Regel besteht hier der Wille, Probleme auf schweizerische Art zu lösen. Nicht einmal Migros und Coop haben das Abkommen über Gebäudesicherheit in der Textilindustrie in Bangladesch unterzeichnet.»

Auf dieses Abkommen ist Christy Hoffman stolz, denn es geht auf ihre Initiative zurück. Der Auslöser war die Katastrophe, die 2013 mehr als 1000 Todesopfer forderte. «Das Abkommen zählt inzwischen über 200 Unterzeichnende (Zara und H&M gehörten zu den ersten) und deckt mehr als 2 Millionen Arbeitnehmende ab. Wir haben dafür gesorgt, dass es eingehalten wird, indem wir in zwei Fällen Konflikte vor das Schiedsgericht brachten. Das war eine Warnung für diejenigen, die noch schlechte Praktiken pflegten.»

Ein Zusatzabkommen stützt seit letztem Juni den Inspektionsprozess und legt den Schwerpunkt auf die Versammlungsfreiheit. «Das ist ein Bereich, wo die Regierung nicht möchte, dass wir zu viel Einfluss haben. Es ist ein Übergangsabkommen, das 2000 moderne Fabriken abdeckt (die anderen wurden geschlossen), denn wir verhandeln derzeit noch über die Weiterführung unserer Aktion.» Dieses innovative Modell könnte in Ländern wie Pakistan im Bekleidungssektor übernommen werden. UNI Global möchte auch, dass Ikea ein Textilabkommen in Bangladesch unterzeichnet.

Belegschaften machen Druck für ethische Produktion

Viele Diskussionen betreffen derzeit die Frage, wie man sich vermehrt gewerkschaftlich organisieren und gemeinsam verhandeln kann. Eine originelle und interessante Entwicklung, die zu verfolgen ist, sind die Beschäftigten in den USA, die sich zusammenschliessen, um ihre Firma zu überzeugen, keine Produkte herzustellen oder anzubieten, die gegen ihre ethischen Werte verstossen.

So schafften es die Mitarbeitenden von Google, dass der Konzern auf ein Projekt für die Armee verzichtete, das die Treffsicherheit von Drohnenangriffen mit künstlicher Intelligenz unterstützen wollte. Die Belegschaft von Amazon brachte den Vertrieb eines Produkts zum Scheitern, das den Einwanderungsbehörden die Gesichtserkennung ermöglicht hätte. Die Mitarbeitenden von IBM schlossen sich zusammen, um die Behandlung der Frauen zu verbessern.

«Diese Gruppierungen verlangen, bei Entscheiden mitreden zu können. Sie könnten die Gründung neuer Gewerkschaften anstossen», prognostiziert Christy Hoffman.  Damit Amazon, H&M und Zara oder der Callcenter-Riese Teleperformance zuhören, müssen die Gewerkschaften mehrerer Länder koordiniert handeln. Das ist das Credo von Christy Hoffman, die im Juni an die Spitze der UNI Global Union gewählt wurde.Also genau der Organisation, die eine solche Koordination leisten kann.

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