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Man kann auch den Protest digitalisieren

«Es ist einfacher, die Zukunft zu erfinden, als sie vorauszusehen.» Dieses Zitat des amerikanischen Informatikers Alan Kay ist die hoffnungsvolle Zusammenfassung der syndicom Jugendkonferenz vom 24. und 25. September in Biel. Wie schon im Jahr zuvor drehte sich der Kern der Diskussionen um die Digitalisierung der Arbeitswelt.

 

Im Unterschied zu 2015 öffnete der Referent Peter Streckeisen von der Universität Basel den Blick für die Zukunft aus der Perspektive der Forschung. «Es gibt keinen Kampf Mensch gegen Maschine. Hinter Maschinen stehen immer Menschen und dirigieren diese», sagte der Konflikt- und Kooperationsforscher. Die wichtigste Frage sei, wer über diese Maschinen bestimme: Sind es Facebook, Google, Amazon und andere grosse Firmen ohne demokratische Legitimation oder sind das «wir» als Gewerkschaften oder «wir» als Gesellschaft? Wer hält die Macht über die Roboter?

Peter Streckeisen: «Alltagsleben und Technik verschmelzen»

Streckeisen bediente sich vier verschiedener Studien, welche die digitalisierte Zukunft zu skizzieren versuchten. Die bekannteste stammt aus dem Jahr 2013 von der Universität Oxford und heisst «The Future of Employment» (Die Zukunft der Arbeit). Die Studie erhielt in den Medien die grösste Aufmerksamkeit, da sie eine konkrete Zahl nannte: 47 Prozent aller Menschen-Jobs könnten eigentlich von Maschinen übernommen werden – dazu gehören auch hochqualifizierte Aufgaben in der Medizin, Logistik oder der Rechtspraxis. Diese Maximalprognose hält Streckeisen für übertrieben, sie illustriere aber, dass wir uns mitten in einem Technikschub befinden, der ohne Vorbild ist.

Für ihn ist eine andere Aussage zutreffender: «Das Alltagsleben und die Technik verschmelzen zusehends. Internetkonzerne binden uns in ihre Ökosysteme ein», sagte Streckeisen und berief sich auf die aktuelle Studie «Die Avantgarde des digitalen Kapitalismus» aus Deutschland. Als Beispiel nennt er, dass Google sein Betriebssystem Android für Smartphones verschenkt – im Gegenzug erhält Google Zugang zu unseren privaten Netzwerken, Gesundheitsdaten, Interessen, Meinungen, E-Mails oder was wir sonst noch über das Handy erledigen. Android-Nutzer helfen so bei Aufbau der wertvollen Datensammlung Googles und erhalten dafür ein funktionierendes Betriebssystem. Das bedeutet aber auch: Facebook, Uber, Google, Apple und Amazon haben sehr wenige Angestellte, verfügen dabei über eine gewaltige Marktmacht. Die Arbeitsleistung dieser Unternehmen kommt von einem Heer von Individuen, das für seine Arbeit wenig (zum Beispiel Uber-Fahrer) bis gar nichts (zum Beispiel Facebook- und Android-User) erhält. So genannte Clickworker.

Was können die Gewerkschaften tun?
Diese Clickworker arbeiten – wenn überhaupt – für sehr wenig Geld und unter grossen Unsicherheiten. Wir als Gewerkschaft müssen uns folglich fragen: Was machen wir mit all diesen vereinzelten Individuen? Wie organisieren wir sie? Und wie stellen wir sicher, dass sich die Digitalisierung nicht zu einem Monster entwickelt, das Heerscharen von Verlierern zurück lässt, die den Wechsel in die neuen Realitäten nicht schafft? Das bedingungslose Grundeinkommen als möglichen Lösungsansatz hat die abstimmende Schweiz vorerst versenkt.

Die syndicom-Jugend glaubt, dass sich die Gewerkschaft wandeln muss, um mithalten zu können und für Arbeitnehmende attraktiv zu bleiben. Zwei konkrete Punkte sind während der Diskussion unter dem guten Dutzend an Teilnehmenden besonders hervorgetreten. Einerseits muss syndicom kämpferischere Töne anschlagen. Wenn etwa ein Unternehmen droht, seine Arbeitsplätze ins Ausland zu verlegen, um die Löhne senken zu können, darf syndicom nicht um den heissen Brei herum reden, sondern die Botschaft muss klar lauten: «Das Unternehmen betreibt Lohndumping!»

Andererseits bieten die neuen Technologien Platz für neue Aktionsformen. Als Beispiel wurde etwa ein Unternehmen genannt, dass einen Kreativwettbewerb startet, der alle Vorteile und Gewinne für das Unternehmen behält und alle Risiken auf die Masse an Grafikern, Designerinnen und anderen «Clickworkern» abwälzt, die daran teilnehmen. Diesen Wettbewerb könne man beispielsweise sabotieren durch das massenhafte Einsenden unbrauchbarer Vorschläge. Der Gedanke dahinter: Ein solches Unternehmen, wie auch etwa Uber, ist Arbeitgeber seiner Clickworker und somit auch für diese verantwortlich.

Die syndicom-Jugend glaubt, dass eine Gewerkschaft, die sich dem Wandel anpasst, in der digitalen Welt mitmischen kann. Das Wochenende endete deshalb mit dem Beschluss, einen Antrag zum Thema Digitalisierung für den kommenden Kongress auszuarbeiten.


Was sind Crowd- und Clickworker?
Crowdworking oder auch Crowdsourcing steht für das Arbeiten in einer Masse und das Nutzen der Ressourcen, die eine Masse an Menschen bieten kann. So lagern Firmen beispielsweise Teile des Ideenfindungsprozesses für ein neues Logo oder Meinungsforschung ins Internet aus. Es ist ein eigentlicher Aufruf, sich für die gestellte Aufgabe zu engagieren – häufig für sehr wenig oder gar kein Geld oder es verdient nur der Gewinner eines Ideenwettbewerbs. Der Begriff Clickworker bezeichnet jemanden, der innerhalb der Masse (Crowd) arbeitet. Beispielsweise riefen diverse Medien nach dem Absturz der Passagiermaschine MH370 ihre Leser auf, Satellitenfotos auszuwerten, um allfällige Trümmerteile im Indischen Ozean zu finden.

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