«Wir sind die Gewerkschaft: die Arbeitenden»
Text: Mattia Lento
Foto: Patrick Gutenberg

Es ist eine epische Odyssee, wie ich meinen Weg zum Glauben Islam gefunden habe, das würde wohl den Rahmen dieses Interviews sprengen. Aber mit 20 Jahren hatte ich so etwas wie einen religiösen Aha-Moment. Seit damals trage ich in der Öffentlichkeit immer einen Hidschab. Er ist ein Symbol meines Glaubens und meines Stolzes, meiner Freiheit, meiner Autonomie, sowie meines Versuchs, Tradition und Moderne, Bescheidenheit, Respekt und Eleganz miteinander zu verbinden.
Ich möchte die Religion nicht direkt mit meinem sozialen Mitwirken in Verbindung bringen, aber es ist klar, dass die Neuausrichtung mich selbst und meine Prioritäten verändert hat.
«Soziales Engagement hat heute eine zentrale Bedeutung für mich, und ich bin in verschiedenen Bereichen aktiv.»
Es begann alles im Jahr 2016 mit meiner unverhofften Wahl in die Arbeitnehmendenvertretung und den Firmenvorstand der UPC, was mir dann auch die Gewerkschaft näherbrachte. Bei syndicom konnte ich glücklicherweise ein Netz von guten Leuten finden, die mich auf meinem Weg zur Aktivistin unterstützt haben. Ich bin durchaus stolz, dass ich einen aktiven Beitrag zu syndicom geleistet habe, dass ich viele Menschen für die Organisation interessiert habe und im Laufe der Zeit für viele Kolleg:innen zu einer Bezugsperson wurde.
«Vergessen wir nicht, dass es vor allem wir, die Arbeitenden, sind, die die Gewerkschaft verkörpern.»
Es war nie ein Problem für mich, eine Frau und eine Muslimin zu sein, weder am Arbeitsplatz noch in der ANV, im Firmenvorstand, in der Gewerkschaft oder in der Politik. Sinn für Humor und Aufgeschlossenheit haben mir oft weitergeholfen, zum Beispiel als mich ein Mitarbeiter mit einer Reinigungskraft verwechselte, ich konnte die Situation leicht und mit einem Schmunzeln klären. Meine äussere Erscheinung habe ich noch nicht als Hindernis wahrgenommen. Im Gegenteil, ich denke sogar, dass es mir manchmal zugutekommt, als Frau mit Hidschab solch einen Wiedererkennungswert zu haben, das bringt eine gute Sichtbarkeit.
«Aktivismus bringt auch Verantwortung mit sich»
Doch emotional ist dies nicht immer ein einfacher Weg. Kürzlich durfte ich meine Kolleg:innen bei einer weiteren Umstrukturierung innerhalb der Sunrise begleiten, UPC fusionierte im 2021 mit Sunrise. Fast 170 Arbeitsplätze gingen verloren. Dank unserem überarbeiteten Sozialplan, der darauf abzielt, die Auswirkungen von Kündigungen abzufedern, konnten wir aber zusätzliche finanzielle Mittel sichern. Gewerkschaftliches Engagement bedeutet eben, auch in den herausforderndsten Zeiten solidarisch an der Seite der Arbeitnehmer:innen zu stehen.
Biografie von Mariem Fiadjigbe Kekić
Geboren 1981 in Chur, wuchs Mariem Fiadjigbe Kekić in einer Familie bosnischer Herkunft im «Heididorf» Maienfeld auf.
Nach einigen Jahren bei der UPC wurde sie 2016 unerwartet in die Arbeitnehmendenvertretung (ANV) gewählt und wurde direkt deren Vorsitzende. Später erhält sie auch einen Sitz im Ausschuss des europäischen Betriebsrates von Liberty Global, dem Eigentümer von Sunrise. Diese Positionen fallen auch mit dem Beginn ihres Engagements bei syndicom zusammen, wo sie schnell zu einer führenden Aktivistin wurde, die in der Lage ist, neue Mitglieder zu rekrutieren und sie effektiv in das Gewerkschaftsleben einzubinden. Sie engagiert sich in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und ist Mitglied ihrer Kreisschulbehörde.
Heute lebt Mariem mit ihrem Partner und zwei Kindern im multikulturellen Zürcher Stadtteil Schwamendingen.