«Ich fühlte mich mega fest ohnmächtig»
Text: Eva Hirschi
Foto: Sabine Rock

Meine Eltern haben mir schon früh mitgegeben, wie wichtig es ist, informiert zu sein, sich zu wehren, für sich einzustehen. Mit diesen Werten bin ich aufgewachsen. Als während meiner Lehre zur Buchhändlerin in der Berufsschule eine Person von syndicom die Gewerkschaft vorgestellt hat, brauchte es also gar nicht viel Überzeugungskraft – ich brauchte nur zu wissen, wo ich am richtigen Ort war.
Bei syndicom engagiere ich mich in der IG Jugend und repräsentiere diese im Zentralvorstand. Unsere Hauptforderungen sind weniger Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn sowie acht Wochen Ferien für Lernende.
«Das Leben fängt nicht erst mit der Pensionierung an.»
Das Leben ist da, um zu leben – nicht, um zu arbeiten. Wenn die Arbeit den einzigen Lebensinhalt darstellt, ist das problematisch. Auch wirtschaftlich: Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen mit mehr Freizeit viel motivierter und effizienter arbeiten, mehr Ideen haben und auch mehr Leistung bringen. Es ist ja klar, dass man nicht acht Stunden am Stück produktiv sein kann. Warum macht man es also nicht einfach allen einfacher?
Mit der Digitalisierung wurden uns grosse Versprechen gemacht: Die digitalen Tools würden die Arbeit teilweise ersetzen. Doch statt dass wir jetzt die Freizeit geniessen können, wurden wir einfach mit neuer Arbeit zugedeckt. Immer mehr Aufgaben werden auf Privatpersonen abgeschoben. Dabei würden 5-Stunden-Tage oder eine 30-Stunden-Woche locker drinliegen. Früher wurde die Idee des 8-Stunden-Tags auch als faul beschimpft, das sei viel zu wenig lang. Und jetzt ist er etabliert. Ich glaube, dass da noch mehr Spielraum vorhanden ist.
«Das Klischee, dass die heutige Jugend faul ist, stimmt natürlich nicht.»
Jede Generation sagt über die Nachfolgegeneration, sie sei faul. Doch der Anstieg an Problemen, die die psychische Gesundheit betreffen, beweist, dass noch längst nicht alles gut ist. Die Arbeit verlagert sich vom Körper in den Kopf. Die Mental Load, die psychische Belastung, hat extrem zugenommen.
Derzeit arbeiten wir mit der IG Jugend an einer Kampagne, um mehr junge Leute in die Gewerkschaft zu holen. Der Grund, warum sich Junge weniger engagieren als früher? Late stage capitalism. Ich verstehe, dass man erschöpft ist und nach Feierabend lieber abschalten will. Viele Junge haben Existenzängste. Es ist schwierig, sich zu engagieren, wenn man nicht weiss, ob es noch so weitergeht, wie man es kennt.
Ich aber habe mich mega fest ohnmächtig gefühlt. Ich habe es nicht geschafft, nichts zu machen. Deshalb engagiere ich mich in der Gewerkschaft, deshalb bin ich in der JUSO und in der SP.
«In einer Gruppe fühlt man sich weniger allein.»
Bestenfalls kann man etwas bewegen – und sei es auch nur, anderen eine Perspektive aufzuzeigen.
Derzeit arbeite ich 60 Prozent in einer unabhängigen Buchhandlung in Zürich. Dort mache ich so ziemlich alles – von Backoffice über Logistik bis zu Verkauf. Verantwortlich bin ich für Kinder- und Jugendbücher. Mir gefällt es, Teilzeit zu arbeiten. Im Buchhandel haben wir Jahresarbeitszeit, das heisst, vor Weihnachten oder auch im Sommer, bevor die Schule wieder losgeht und die Bestellungen der Lehrer:innen eintrudeln, arbeite ich etwas mehr, den Rest des Jahres weniger.
Einen Vollzeitjob möchte ich momentan nicht, auch wenn die Bezahlung im Buchhandel nicht sehr hoch ist. Aber ich schätze es, freie Tage zu haben, um mit Freund:innen abzumachen, zu lesen, zu gamen oder in der Natur zu sein, etwa auf einem Klettersteig. Ausserdem arbeite ich ehrenamtlich beim «Widerspruch», einer unabhängigen halbjährlichen Zeitschrift mit Beiträgen zu Themen sozialistischer Politik.
Biografie von Zoe Sutter
Zoe Sutter wurde im Jahr 2000 geboren und ist in Bremgarten im Kanton Aargau aufgewachsen. Heute wohnt sie mit ihrem Partner in Aarau und arbeitet Teilzeit in einer unabhängigen Buchhandlung in Zürich.
Bereits als Kind hat sie gerne gelesen und entschloss sich deshalb für eine Lehre im Buchhandel. Zoe Sutter ist auch politisch aktiv: Im Herbst 2018 trat sie der JUSO bei und engagierte sich für den Klimastreik. 2020 wurde sie Präsidentin der JUSO Aargau und trat mit zwei anderen Frauen der Partei für den Regierungsrat an aus Protest gegen die damals rein männliche Besetzung. 2021 trat sie vom Vorstand zurück, ist aber immer noch als JUSO- und SP-Mitglied aktiv.