Olmo Cerri © Sandro Mahler

Ich habe eine Erstausbildung als Sozialarbeiter und arbeitete einige Jahre in einem Tageszentrum für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen. Dort wurde mir klar, dass es mich interessiert, Lebensgeschichten zu hören (und weiterzuerzählen). Kameras schienen ein guter Weg, die Menschen, mit denen ich zu tun hatte, näher kennenzulernen. So habe ich mit dem Filmen angefangen und eine Zweitausbildung als Dokumentarfilmer – Erzähler der Realität – gemacht. Es ist ein Privileg, in das Leben anderer Menschen eintauchen zu können, Dokumentation ist ein sehr emotionaler Austausch. Es erfüllt mich, wenn meine Arbeiten die Zuschauer:innen berühren und zum Nachdenken anregen.

Zur öffentlichen Debatte beitragen, komplexe Themen verständlich machen und Denkanstösse geben:

Das gibt meiner Arbeit Sinn.

Mit 18, 19 gehörte ich zu einer Gruppe, die ein Haus in Lugano besetzte und ein selbstverwaltetes Zentrum daraus machte. Ich ging an Gemeindeversammlungen, schrieb Medienmitteilungen, bewältigte schwierige Situationen: Das hat mich menschlich weiter gebracht. Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen und mich mit Erwachsenen auseinanderzusetzen.

Allgemein hat mich die kollektive Dimension stets begleitet.

Ich sehe es als echten Mehrwert, sich in der Gruppe zu treffen, zu diskutieren und Probleme gemeinsam anzugehen. Auch um sich von der Leistungsgesellschaft zu lösen, die uns drängt, gegeneinander und im Wettbewerb zu stehen. Ich war Mitglied im unabhängigen Kino-Kollektiv Tikino, wo man sich traf, um Kurzfilme zu realisieren und die Filme der anderen anzusehen. Nach der Filmschule baute ich mit anderen Absolvent:innen den Verein REC auf, der horizontal organisiert ist. Wir treffen Entscheidungen gemeinsam, es ist keine vertikale Struktur.

Meiner Meinung nach gibt dir auch die Gewerkschaft diese kollektive Dimension. Vor allem Freelancern wie mir. Deshalb bin ich der Gewerkschaft gleich beigetreten und engagierte mich in der Gruppe Presse.

Wenn ich ehrlich bin, lerne (und bekomme) ich von syndicom mehr als umgekehrt!

Wenn man sich aktiv einbringt, öffnet sich ein berufliches Netzwerk. Du lernst Kolleg:innen kennen, die in der gleichen Lage sind, und fühlst dich weniger allein. Nicht zu vergessen sind die Kontakte in die anderen Landesteile, die für die Kolleg:innen aus der italienischen Schweiz oft schwierig zu knüpfen sind.

Schliesslich gibt es die Kurse: Ich konnte einen von syndicom finanzierten Online-Kurs besuchen, um meine Kenntnisse im Produzieren von Podcasts zu vertiefen.

Es gibt Geschichten, die man einfacher (und besser) mit Bildern erzählt, und andere, die mit Ton viel wirksamer werden. Audio hat eine starke Kraft: Manchmal reicht ein Liedausschnitt oder eine Stimme und ganze innere Welten öffnen sich. Meine Begeisterung für Podcasts entwickelte sich in der Pandemie. Mit REC haben wir die Menschen aufgefordert, in Sprachnachrichten von ihrem Leben im Lockdown zu erzählen. Daraus ging «Strani giorni» (Seltsame Tage) hervor: 27 Folgen mit Aufnahmen aus dem Tessin, aber auch mit Berichten von Tessiner:innen, die sich damals in Südamerika, Polen oder den USA aufhielten.

Am Schluss ist so eine eigentliche virtuelle Gemeinschaft entstanden!

Biografie von Olmo Cerri

Olmo Cerri, geboren 1984 in Lugano, ist Regisseur und Podcaster.

Nach seinem Abschluss als Sozialarbeiter besuchte er das «Conservatorio Internazionale di Scienze Audiovisive» in Locarno. In seinen Dokumentarfilmen behandelt er vor allem historische, politische und soziale Themen. Unter anderem hat er die beiden Filme Non ho l’età (Ich bin noch nicht alt genug) und Das Verschwinden von Bruno Breguet gedreht. Daneben hat er Radiofeatures und Podcasts realisiert (darunter Strani Giorni (2020) und Macerie (2021), die nationale Preise gewannen), sowie Quegli stupefacenti anni zero (2023).

Sein neuester, vom italienischsprachigen Radio und Fernsehen RSI produzierter Podcast La rivoluzione di Casvegno erscheint im Herbst.

Er ist Gründungsmitglied des Vereins REC und engagiert sich im nationalen Vorstand Presse von syndicom.

Mitglied werdenNach oben scrollen