Nachholbedarf bei den Löhnen
Der SGB fordert für 2026 generelle Lohnerhöhungen von 2 bis 2,5 Prozent. Diese braucht es, um den Lohnrückstand und den massiven Anstieg der Krankenkassenprämien der vergangenen Jahre auszugleichen. Das bekräftigt Matteo Antonini, Präsident der Gewerkschaft syndicom.
Der SGB fordert dieses Jahr Lohnerhöhungen von 2 bis 2,5 Prozent. Ist das in der heutigen Wirtschaftslage nicht zu viel?
Nein. In einigen unserer Branchen stagnieren die Löhne seit Jahren. Die Produktivität ist gestiegen, die Preise sind es ebenfalls – jetzt müssen die Beschäftigten ihren fairen Anteil am Wachstum erhalten.
Aber die offizielle Teuerung beträgt nur 0,1 Prozent. Weshalb wird so viel gefordert?
Die offizielle Teuerung ist immer die jährliche Differenz, der Nachholbedarf wird in dieser Zahl überhaupt nicht berücksichtigt. Zum Beispiel: Die Krankenkassenprämien steigen um 5 Prozent und belasten die Haushalte massiv. Im Schnitt bezahlt eine vierköpfige Familie 1136 Franken für Prämien im Monat. Künftig dürfte es noch mehr werden, sagt der SGB. Auch die Mieten machen das Leben teuer.

Die Unternehmen sagen, Erhöhungen seien angesichts der Weltlage – Kriege, Rohstoffe, US-Zölle – nicht möglich.
Tatsache ist: 99 Prozent der Arbeitsplätze in der Schweiz sind von den Zöllen nicht betroffen. Einige Tausend Beschäftigte sind betroffen. Für sie haben wir die Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung auf 24 Monate verlangt. Die internationale Krise wird nur als Vorwand genommen, um die Löhne zu blockieren.
Du sagst, die Produktivität sei gestiegen. Um wie viel?
Von 2014 bis 2024 hat sie laut Schätzung des SGB pro Jahr um etwa 1 Prozent zugenommen. Das sind zusammen 11 Prozent. Davon haben die Arbeitnehmenden nur sehr beschränkt profitiert. Die Reallöhne haben stagniert. Die Kaufkraft in bestimmten Branchen ist heute kaum besser als 2015 oder sinkt sogar. Um diese Lücke zu verringern, müssen die Löhne nach der Berechnung des SGB um mindestens 2 Prozent erhöht werden. In einzelnen Branchen, etwa bei den Banken und im Verkehr, fordert der SGB 3 Prozent.
Sag uns etwas zum Anstieg der Krankenkassenprämien. Was ist die Lösung?
Eine mögliche Lösung ist eine höhere Beteiligung der Arbeitgeber: Die Prämien sind seit 1997 um 158 Prozent gestiegen – die Löhne nur um 12 Prozent.
Gesundheit ist also auch eine Lohnfrage?
Absolut. Viele Gesundheitsprobleme hängen mit der Arbeit zusammen: 12 Prozent der 15- bis 74-Jährigen leiden an berufsbedingten Krankheiten. Sie sollen die Kosten nicht allein tragen müssen.
Und welche Position vertreten die Gewerkschaften bei den Mindestlöhnen?
Niemand sollte weniger als 4500 Franken pro Monat verdienen. Und mit einer Berufslehre nicht weniger als 5000 Franken. So viel muss man in der Schweiz verdienen, um nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein.
Warum fordert ihr das?
Weil ein Drittel der Berufsleute mit einer höheren Berufsbildung immer noch weniger als 5000 Franken verdient! Und es sind nicht nur die Jungen: Auch kurz vor der Pensionierung arbeitet fast jede oder jeder Fünfte für einen tieferen Lohn. Das ist inakzeptabel! Besonders wichtig ist es, die Löhne der Frauen und in den Tieflohnbranchen zu erhöhen.
Die Arbeitgeber werden sagen, sie hätten keinen Spielraum …
In der Schweiz gibt es genug Wohlstand, aber er ist nicht gut genug verteilt. Alle, die den Wohlstand erarbeiten, müssen einen Lohn erhalten, von dem sie leben können.
Ausserdem: Unternehmen wie die Post und Swisscom müssen ihr Personal ausschliesslich in der Schweiz rekrutieren und auf Auslagerungen verzichten.