Angemessene Bezahlung für Care-Arbeit
Ohne Sorge- und Versorgungsarbeit geht gar nichts. Aber oft ist sie unsichtbar, unterbezahlt – wenn überhaupt – und zu wenig wertgeschätzt. Es ist an der Zeit, Care-Arbeit neu zu denken.
Text: Jane Bossard und Muriel Raemy
In der Schweiz macht der Sektor der «Sorge- und Versorgungswirtschaft» fast 70 Prozent aller geleisteten Arbeit aus. (Economiefeministe.ch, Thema Sorge- und Versorgungswirtschaft). Care-Arbeit umfasst neben Pflege, Kinderbetreuung, Tätigkeiten im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen auch das Reinigungswesen, die Gastronomie und Hausarbeit. Diese Tätigkeiten sind bedeutend und halten unsere Gesellschaft am Laufen.
Was, wenn in den Spitälern oder Kitas gestreikt würde? Alles würde zusammenbrechen!
Bei dieser Arbeit kann die Produktivität nicht beliebig gesteigert werden. Während die technologische Revolution dafür sorgt, dass Autos oder Finanzdienstleistungen immer schneller produziert werden, können Kinder nicht schneller erzogen, ins Bett gebracht oder gepflegt werden, ohne dass das Arbeitsergebnis und die Arbeitsbedingungen leiden.
Frauen leisten mehr
Die Care-Wirtschaft findet in einem Renditesystem statt, das dieser Arbeit immer weniger Zeit, Mittel und Anerkennung zugesteht. Es sind mehrheitlich Frauen, die Care-Arbeit leisten, etwa in der Pflege, Kleinkinderbetreuung oder Reinigung, wo das Lohnniveau tief ist.
Diese traditionelle wirtschaftliche Abwertung wirkt sich auf die gesamte berufliche Laufbahn aus: Frauen verdienen durchschnittlich 40 Prozent weniger als Männer. Ihre Rente ist um 31 Prozent tiefer und sie sind häufiger von Armut betroffen. Aber auch Journalist:innen, Pöstler:innen und Bankangestellte leisten Care-Arbeit – unbezahlte Care-Arbeit.

Arbeiten ohne Bezahlung: strukturell ungerecht
Die gesamte geleistete unbezahlte Arbeit – Betreuung und Pflege von Angehörigen, Alltagsmanagement, emotionale Unterstützung – hat gemäss Bundesamt für Statistik einen Wert von 434 Milliarden Franken (BFS.admin.ch). Davon haben die Menschen, die diese Arbeit ausüben, aber nicht viel, denn sie werden weiterhin nicht bezahlt und bekommen nur selten Anerkennung dafür.
Die Last der unbezahlten Care-Arbeit ist auch nicht gerecht verteilt. So haben Frauen in der Schweiz 2024 durchschnittlich 57,2 Stunden pro Woche bezahlt und unbezahlt gearbeitet, wobei die unbezahlte Arbeit 61 Prozent ausmachte. Männer arbeiteten etwas weniger, 54,3 Stunden pro Woche, und verbrachten mehr Zeit mit bezahlter Arbeit als mit unbezahlter Arbeit. Welchen Stellenwert geben wir der Arbeit und welchen der sozialen Gerechtigkeit?
Care-Arbeit ins Zentrum der Wirtschaft
Wenn wir verstehen, dass es ohne diese heute unbezahlte Arbeit auch nichts anderes gibt – keine Produktivität, keine Politik, keine Kultur, rein gar nichts –, dann müssen wir die Verhältnisse vom Kopf auf die Füsse stellen. Dann würde Care-Arbeit und die Menschen, die sie leisten, im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen.
Der Staat muss Care-Leistungen in weit grösserem Mass als heute finanzieren. Unsere Kolleg:innen der Gewerkschaft für Angestellte im Service public (VPOD) bestätigen: Die bezahlte Pflege-, Betreuungs- und Sorgearbeit sollte als Leistung des Service public anerkannt und angemessen entlohnt werden. Es bräuchte genügend qualifiziertes Personal, einen guten Betreuungsschlüssel sowie Anstellungsbedingungen, die der physischen und psychischen Belastung dieser Berufe angemessen Rechnung tragen.
Das gilt auch für die heute unbezahlte Sorgearbeit in den Familien. Auch hier könnte der Staat mit Investitionen in den Service public für bessere Bedingungen und eine gerechtere Verteilung der unbezahlten Arbeit sorgen. Etwa mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Teilzeitpensen auch für Männer und einem bezahlten Elternurlaub.