«Wir sind die Brücke von den Einzelnen zur Gewerkschaft»
Text: Giovanni Valerio
Foto: Sandro Mahler

Vertrauensleute sind Mitglieder von syndicom, die sich als Vertreter:innen zur Verfügung stellen. Sie fungieren als «Antenne» der Gewerkschaft im Betrieb, hören den Kolleg:innen zu, tragen deren Anliegen weiter und holen Expertenmeinungen ein.
Wir haben Vertrauensleute an einem zweitägigen Kurs im Tessin getroffen, der vom Sekretariat der italienischsprachigen Schweiz organisiert wurde und von Movendo, dem Bildungsinstitut der Gewerkschaften, anerkannt wird. Die etwa zehn Kursteilnehmenden arbeiten bei PostAuto, PostFinance, IMS und cablex. Jemand ist schon seit 35 Jahren bei der Post, eine andere Person hat gerade erst begonnen. Auch der Präsident einer Personalkommission (PeKo) ist da und Vertrauensleute, die aus Neugier und auf Anregung des Regionalsekretariats gekommen sind.
Alle bringen ihre eigene persönliche Geschichte – ihrer Erfahrungen und ihres Engagements – mit. Einige sind seit der Lehre in der Gewerkschaft, weil es damals so üblich war. Andere sind später beigetreten, nach einem Konflikt am Arbeitsplatz. Wiederum andere haben die Solidarität entdeckt, als sie sie selbst erlebt haben.
Besonders schön an solchen Kursen sind die informellen Momente am Abend nach dem Essen, wenn man noch zusammensitzt und schwatzt. Wenn zum Beispiel die PostAuto-Chauffeur:innen aus verschiedenen Orten die Freuden und Sorgen ihrer Arbeit teilen, da sich die Kolleg:innen während ihrer Schichten nur selten begegnen. Bei diesen Gesprächen lernen sie sich näher kennen und sehen, dass sie alle auf derselben Seite stehen, auch wenn die Arbeitgeber seit jeher versuchen, die Arbeitnehmenden zu spalten.
Die Motivation nähren
Weshalb seid ihr hier? «Warum nicht?» antworten die Teilnehmenden fast im Chor. Unabhängig davon, ob ihre Beweggründe aus Familientradition oder ethischen Prinzipien herrühren oder nicht bewusst sind, sind alle der Überzeugung, dass die Rechte niemals gesichert sind. «Wir müssen den Kopf hochhalten, da wir sie von einem Tag auf den anderen verlieren können. Daher ist es wichtig, da zu sein und sich dafür zu interessieren, was in der Welt vor sich geht, abzustimmen und zu wählen, zu demonstrieren!», sagt jemand. Ein anderer erklärt:
«Wenn es keine Motivation für Veränderungen gibt, dann wird die Situation unbefriedigend bleiben oder sich noch verschlimmern.»
Eine Frau mahnt: «Gehe die Dinge an, rede, handle!» und meint, dass die Gesellschaft und die Welt einen antreiben und lehren, nicht passiv zu sein.
Die Gewerkschaft, das sind wir
Das ist die Haltung unter den Teilnehmenden. Nach dem Kurs kehren alle gestärkt und um einige Instrumente reicher nach Hause (und an den Arbeitsplatz) zurück: Informationen über die Geschichte und die Rolle der Gewerkschaften. Wissen über die Gesamtarbeitsverträge und die Befugnisse der Personalkommission. Und sogar ein Workshop über Möglichkeiten, die Kolleg:innen zum Gewerkschaftsbeitritt zu überzeugen.
«Was ich gelernt habe? Dass Informationen nicht unbedingt mit Worten übermittelt werden müssen», sagt eine Teilnehmerin. «Sondern subtiler, indem man zuhört, als Beispiel vorangeht, den Kopf hochhält …» Am nächsten Montag zurück am Arbeitsplatz wird einer von ihnen diese Erkenntnis an die Kolleg:innen weitergeben:
«Wir müssen hinüberbringen, dass wir Arbeitnehmenden die Gewerkschaft sind. Gewerkschaft heisst, dass jemand deine Rechte geltend macht.»
Der Begriff «Syndikat» (Gewerkschaft) stammt vom Griechischen «sin» (gemeinsam) und «diké» (Gerechtigkeit). Also: gemeinsam für Gerechtigkeit. Die Augen einer jungen Frau – noch keine dreissig, auch sie Mitglied von syndicom – leuchten, als sie diesen Satz hört.
«Jetzt habe ich eine einfache Definition, wenn ich meinen Kolleg:innen die Gewerkschaft vorstelle und sie mich fragen, wofür sie da ist: Wir sind hier, gemeinsam für Gerechtigkeit.»
Die Teilnehmer:innen am Kurs für Vertrauensleute im Tessin, der Anfang April stattfand, kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Sie arbeiten bei PostAuto, PostFinance, IMS und Cablex. Einige sind schon lange im Unternehmen, andere sind neu eingestellt worden, wieder andere wechseln den Beruf.