Seit mehr als zwanzig Jahren arbeite ich Nacht für Nacht im Druckzentrum CIL in Bussigny bei Lausanne. Als ich anfing, gehörte die Druckerei noch Edipresse, wurde aber 2009 von Tamedia aufgekauft. Wir waren damals rund 460 Angestellte. Und die Druckmaschinen liefen auf Hochtouren: Wir druckten neun Zeitungen, darunter Le Matin (eingestellt 2018), Le Matin Dimanche (damals 215 000 Exemplare, heute 53 000) und 24 Heures, runter von 88 000 Exemplaren auf 36 000. Auch Le Temps, die Tribune de Genève, die Coopzeitung und der Walliser Bote werden bei uns gedruckt.

Heute sind wir nur noch 63 Angestellte – und wie meinen Kolleg:innen wurde mir auf Ende März 2025 gekündigt.

«Ich habe mich ‹on the job› weitergebildet.»

Vom Abfertiger bin ich zum Operator geworden. Wir müssen spezielle Maschinen bedienen und millimetergenau einstellen, um Prospekte, Werbebeilagen oder Flyer in die Zeitungen einzulegen, die frisch aus der Druckmaschine kommen. Mit diesen Beilagen werden Millionenumsätze generiert. Ihr Rückgang ist kein gutes Zeichen.

Die Operator:innen kommen nach dem Zeitungsdruck zum Einsatz, gleich vor der Abfertigung und dem Transport. Ich konnte immer vor allen anderen die Nachrichten lesen, doch die Meldung von der endgültigen Schliessung der Druckerei hat mich kalt erwischt. Ich hatte gedacht, dass wir trotz der Schwierigkeiten noch einige Jahre vor uns hätten.

Von Beginn an habe ich mich in der Personalkommission engagiert. So lernte ich Comedia und später syndicom kennen. Von 2013 bis 2015 war ich eines der zwölf Mitglieder der nationalen Delegation, die den GAV für die grafische Industrie mit Viscom (heute dpsuisse) verhandelte. Die Verhandlungen waren hart und zäh, aber schliesslich erfolgreich.

«Das Verhandeln steckt in meinen Genen»

Ich wurde in Marokko geboren, wo ich die ersten 25 Jahre meines Lebens verbrachte. Dort verhandeln alle ständig, um zu bekommen, was sie brauchen. Es ist kulturell! Auch weil ich Jurist bin, fand ich schnell Gefallen daran, mit Vorgesetzten zu diskutieren und mit juristischer Logik zu argumentieren.

Arbeitsgesetz, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen des SECO: Es gab Stoff zum Üben en masse und ich konnte dabei mein Gewerkschafts-Wissen erweitern.

Eine Umstrukturierung folgte auf die andere. Ich habe nicht weniger als 6 Sozialpläne mitverhandelt und Kolleg:innen aller Kulturen und sozialen Schichten begleitet und vertreten.

Dieses Mal habe ich über meine eigene Abgangsentschädigung diskutiert. Mit den Kolleg:innen haben wir alles getan, was wir konnten, aber es war schwierig. Für Tamedia sind bestimmte Berufe nicht von Interesse, und Profile wie meines werden kaum wieder Verwendung finden.

Die Nachtarbeit verschleisst dich. Ich werde mir erst mal Zeit nehmen, mich umzusehen, und dann gut überlegen. Eines ist sicher: Man muss nach vorne und nicht zurück in die Vergangenheit schauen. Ich bin gespannt, was an den Standorten Bern und Zürich passiert.

Biografie von Radouane Dekhissi

Radouane Dekhissi hat in seiner Heimat Marokko Recht studiert. Mit 25 kam er
in die Schweiz, um weiter zu studieren. Zur Finanzierung seines Lebensunterhalts arbeitete er in verschiedenen Nebenjobs, bis er sein Studium ganz aufgab. Nach einer vielfältigen Laufbahn als Wirt, Kulturvermittler bei Caritas oder Arabischlehrer stellte ihn Edipresse als Abfertiger ein. Radouane wohnt mit seiner Familie in Aigle.

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