PostNetz Jurabogen: Kolleg:innen unter starkem Druck
122 der 150 Angestellten der Region Jurabogen haben ein Mandat an syndicom unterschrieben. Das hat endlich zu einer Reaktion der Post geführt: Sie hat im Anschluss an die Medienkonferenz von syndicom Stellung bezogen.
Text: Muriel Raemy
Wir haben Angst. Angst, die überrissenen Verkaufsziele nicht zu erreichen, Angst, zu alt und zu teuer zu sein. Angst, uns öffentlich zu äussern, Angst vor ständiger Instabilität, vor diesen nicht enden wollenden Reorganisationen und Angst, unsere Arbeit zu verlieren, wenn wir nicht in die Vorschläge einwilligen, die gemacht werden.
Véronique, 62, hat ihr Leben lang bei der Post gearbeitet. Wie viele Kolleg:innen sagt sie, dass sich ihre Arbeitsbedingungen seit der Ankündigung des Poststellenabbaus verschlechtert haben. Sie ist nicht nur erschöpft, sondern auch traurig darüber, was die Post ihr und ihren Kolleg:innen zumutet. 122 der 150 Angestellten der Region (80 Prozent des Personals) haben syndicom beauftragt, die Öffentlichkeit auf die Missstände aufmerksam zu machen und ihre Forderungen der Post zu überbringen.
Zur Kündigung getrieben
Am 27. November 2025 lud syndicom zu einer Medienkonferenz in Neuenburg ein. Zur Erinnerung: Die Region ist von der Restrukturierung besonders stark betroffen. 24 Poststellen im Jurabogen (Neuenburg, Jura und Berner Jura) werden schliessen. «Das Unternehmen hat angekündigt, dass es keine Entlassungen geben wird. Pensionierungen und freiwillige Abgänge würden ausreichen, um den Personalbestand auszugleichen. Gemäss einer internen Information werden im Jurabogen aber rund dreissig Stellen abgebaut, das ist etwa ein Fünftel des aktuellen Bestands», sagt Dominique Gigon, Co-Leiter Region Romandie.

Die Post behauptet zwar weiter, dass es keine Kündigungen geben wird, und muss so keinen Sozialplan aktivieren. Ihr Vorgehen sieht aber aus wie ein orchestriertes Hinausdrängen. Zum einen werden die Beschäftigungsgrade ganz plötzlich herabgesetzt.
«Die Planung der Teams im Jurabogen wird an die rückläufige Frequentierung angepasst. Die Schalterangestellten haben deshalb das Gefühl, ‹überflüssig› zu sein. Wenn es nur eine Person braucht, um eine Poststelle zu betreiben, aber zwei Mitarbeitende in Vollzeit angestellt sind, so werden beide nur zu je 50 Prozent eingesetzt. Beide geraten so ins Minus, ohne Möglichkeit, diese Stunden wieder aufzuholen», sagt Dominique Gigon.
Zum anderen sind die Teams nicht mehr an einen fixen Arbeitsort gebunden und werden ohne vorherige Absprache weiter weg von ihrem Wohnort eingesetzt. «Für Frauen mit Kindern beispielsweise ist es nicht möglich, in anderen Poststellen und mit täglich wechselnden Einsatzzeiten zu arbeiten», sagt Véronique.
Virginie Zürcher, Co-Leiterin Region Romandie, stellt fest, dass im Jurabogen nicht gleich vorgegangen wird wie in der übrigen Westschweiz. «Dieses überstürzte Schliessen der Poststellen setzt die Kolleg:innen doppelt unter Druck. Sie sollen zu Kündigungen unter möglichst ungünstigen Bedingungen getrieben werden, ohne dass ein umfassender Sozialplan aktiviert werden konnte.»
Ein anderer Spezialfall in der Region: Die Teamleitenden müssen sich neu um ihre jetzige Stelle bewerben – obwohl das Unternehmen bestätigt hat, dass sechs Leitungspositionen gestrichen werden. «Wenn sie ihre Stelle nicht mehr bekommen, könnten sie versuchen, stellvertretende Leiter:innen oder Kundenberater:innen zu werden. Auf die Gefahr hin, für keine dieser Positionen berücksichtigt zu werden. Häufig arbeiten diese Personen schon seit 20 oder 30 Jahren dort. Dieses Vorgehen ist inakzeptabel», sagt Dominique Gigon.
Sinnverlust
Die Kolleg:innen berichten auch, dass der Sinn bei der Arbeit verloren gegangen ist. Sie sind gezwungen, den Kund:innen am Schalter postfremde Produkte zu verkaufen, und erkennen ihren eigenen Beruf nicht mehr.
«Uns zu Verkäufer:innen zu machen, ist eine absurde Manie. Man drängt uns dazu, die Kund:innen regelrecht zu belästigen, um unsere Vorgaben zu erfüllen. So vertreiben wir Kundschaft. Jedes Mal, wenn wir neben dem eigentlichen Geschäft nicht noch zusätzlich ein Produkt anbieten, müssen wir uns rechtfertigen. Unsere Resultate werden genau überwacht und es wird zu einem regelrechten Wahn. Manche Kolleg:innen müssen weinen vor der Arbeit, andere haben Schlafprobleme. Die Kolleg:innen leiden und Schuld haben die Verantwortlichen», sagt Paul, 62.
Für Louise, 26, war der Druck so gross, dass sie nach zehn Jahren bei der Post kündigte, ohne einen neuen Job zu haben. «Wir sind keine Roboter! Dass alle Jungen gehen, ist nicht ohne Grund. Neu eingestellte Mitarbeitende bleiben nicht einmal ein Jahr. Die Vorgesetzten weiter oben sitzen bequem in ihren Bürostühlen. Man hat den Eindruck, ihr einziger Job bestehe darin, das Schalterpersonal unter Druck zu setzen. Sie verdienen dreimal so viel wie wir, sind aber nicht in der Lage, das zu leisten, was sie von uns verlangen», sagt sie.
Die Post weist die Vorwürfe zurück
Noch am selben Tag hat die Post kurzfristig die regionalen Medien zu einem informellen Treffen in ihren Räumlichkeiten beim Bahnhof Neuenburg eingeladen.
«Eines ist sicher: Die Post hält sich strikt an den geltenden GAV, der mit unseren Sozialpartnern ausgehandelt wurde und die Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten usw. unserer Mitarbeitenden im Einzelnen regelt. Wir weisen jede Unterstellung von ‹unmenschlichem› Druck oder Praktiken zur Umgehung des GAV mit Nachdruck zurück. Diese Anschuldigungen entsprechen nicht der Realität und stehen den Werten der Post diametral entgegen. Es gibt keine Hinweise auf einen erhöhten Druck auf die Mitarbeitenden – weder aus der Personalbefragung noch aus den Gesundheitsindikatoren in der Region Jurabogen, die im Landesdurchschnitt liegen. Die Fluktuationsrate ist sogar tiefer als auf nationaler Ebene», erklärt Mediensprecherin Nathalie Dérobert Fellay.
Auf die Frage, wie die Post auf die 122 Unterschriften für das Mandat von syndicom und die Äusserungen zur hohen Belastung reagieren wird, sagt sie: «Wir werden natürlich alle Forderungen von syndicom genau prüfen. Als sozial verantwortungsvolle Arbeitgeberin misst die Post dem Wohlbefinden und guten Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeitenden grösste Bedeutung zu: Sie sind das Herzstück unserer Poststellen. Wenn sich Mitarbeitende nicht wohl fühlen oder den Eindruck haben, ihre Arbeitsbedingungen hätten sich verschlechtert, können sie sich an ihre Vorgesetzten oder anonym an die Plattform PostCourage wenden.»
«Zufriedenstellende Transformation» laut Post
Am 1. Februar 2026 tritt im Jurabogen eine regionale Neuorganisation der Teams in Kraft. Von 9 Teams (mit je 15 bis 20 Personen) wird auf neu 5 Teams (mit ebenfalls je 15 bis 20 Personen) umgestellt. Funktioniert das wirklich ohne Kündigungen?
«Im Rahmen der regionalen Reorganisation der Teams sieht die Post keine Entlassungen von Mitarbeitenden vor. Bis Ende 2028 rechnen wir aber mit rund 30 Stellen weniger in der Region Jurabogen. Dieser Rückgang wird ermöglicht durch Pensionierungen und Frühpensionierungen im betroffenen Zeitraum und durch natürliche Abgänge. Entsprechend unserer gesellschaftlichen Verantwortung und dem GAV Post haben Mitarbeitende ab 58 Jahren mit einer gewissen Dienstzeit eine Beschäftigungsgarantie. Auf Managementebene werden sechs Teamverantwortliche oder Stellvertretende nicht in ihrer jetzigen Funktion weiterbeschäftigt. Wir werden mit ihnen individuelle Lösungen suchen und sie werden natürlich durch den Sozialplan der Post begleitet», erklärt Post-Sprecherin Nathalie Dérobert Fellay.
Zu den Veränderungen, die im Jurabogen im Gang sind, meint sie: «Ich verstehe voll und ganz, dass Veränderungen zu einem Gefühl der Unsicherheit führen können.» Sie fügt an, dass die Teamleitungen der Sektoren alles daran setzen, die Mitarbeitenden in diesem Prozess zu begleiten, und betont, wie wichtig eine gute interne Kommunikation ist.
Was den Umbau des Postnetzes betrifft, wird die Region laut der Mediensprecherin nicht anders behandelt als die übrige Schweiz: «Wenn der Eindruck besteht, die Transformation des Netzes vollziehe sich im Arc Jurassien schneller, dann darum, weil der Dialog der Post mit den dortigen Gemeinden besonders positiv ist.»
Diese Floskeln und Heucheleien bestärken syndicom umso mehr, einen zusätzlichen Sozialplan zu bekommen. «Wir wollen ein Programm für freiwillige Abgänge ab 58 Jahren und dass die Post anerkennt: Dies ist eine Massenentlassung», sagt Virginie Zürcher.