Die Gewerkschaft syndicom hat zusammen mit einem versierten Strafrechtler einen Prozess für ein Mitglied vor dem Obergericht Zürich gewonnen. Die Postschalterangestellte wurde von einer 88-jährigen Rentnerin beschuldigt, 3’000 Franken gestohlen zu haben. Was hat sich zugetragen:

Der Vorfall ereignete sich am 16. Januar 2010 auf einer Poststelle im Kanton Zürich. Eine alte Dame betritt diese Poststelle und will 16’000 Franken zugunsten der Glückskette einzahlen. Die Einzahlung wird von der Postangestellten quittiert. Eine Viertelstunde später kehrt die Rentnerin auf die Poststelle zurück und will von den 16’000 Franken nun doch 3’000 Franken ausbezahlt haben. Die erste Einzahlung wird von der Postangestellten storniert. Sie habe dabei vergessen, die Quittung über 16’000 Franken zurück zu verlangen. Dies die Aussagen der Postangestellten.

Bei einer routinemässigen Überprüfung hat die Post vom Vorfall Kenntnis genommen. Auf Nachfrage bei der Rentnerin konnte diese sich nicht mehr erinnern, 3’000 Franken für sich bezogen zu haben. Die Post legte der Postangestellte daraufhin nahe, das Arbeitsverhältnis per sofort aufzulösen. In der Zwischenzeit ist die Frau bei einem anderen Arbeitgeber tätig.

Am 6. Juni 2011 hat das Obergericht Zürich die Postangestellte wegen des Grundsatzes «in dubio pro reo», «im Zweifel für den Angeklagten», freigesprochen. Es gab keine genügenden Beweise dafür, dass die Postangestellte nicht die Wahrheit gesagt und das Geld der Rentnerin tatsächlich unterschlagen hat.

Die arbeitsrechtliche Seite dieses Vorfalls ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Zwar hat die ehemalige Postangestellte wieder eine neue Stelle, doch fragt sich, ob die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses damals zur Recht erfolgt ist.

Eine fristlose Entlassung ist gemäss Ziff. 125 Anhang 4 GAV Post (oder Art. 337 OR) nur möglich, wenn dem Arbeitgeber nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Damit wird der absolute Ausnahmecharakter einer fristlosen Kündigung betont. Wenn der Arbeitgeber jemand auf blossen Verdacht hin fristlos entlässt, tut er dies auf eigenes Risiko. Er trägt dabei die Beweislast, dass der Verdacht berechtigt war. Wenn die Tat nicht bewiesen werden kann – was bei einem Freispruch durch ein Gericht zweifelsohne der Fall ist – so treten die Folgen der ungerechtfertigten fristlosen Entlassung ein. Die Schweizerische Post hat der zu Unrecht verdächtigen Ex-Postangestellten mindestens die Monatslöhne während der ordentlichen Kündigungsfrist (im konkreten Fall sind dies sechs Monatslöhne) sowie zusätzlich eine Entschädigung wegen ungerechtfertigter fristloser Entlassung zu bezahlen.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Postangestellte unter Druck der Post das Arbeitsverhältnis von sich aus aufgelöst hat. Die Arbeitnehmerin kann nämlich gemäss Art. 341 OR auch nicht freiwillig auf zwingende Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verzichten.

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