Ich arbeite seit 15 Jahren in einem Logistikzentrum und sortiere Pakete für die Zustellung. Dieses Jahr haben wir erfahren, dass künftig alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmässig kontrolliert werden. Darf der Arbeitgeber dies tun?
Der Arbeitgeber kann gemäss Artikel 321d OR Anordnungen über die Ausführung der Arbeit erlassen und besondere Weisungen erteilen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen diese im Prinzip befolgen. Die Anordnungen müssen im Zusammenhang mit den Bedürfnissen des Unternehmens und der Erfüllung des Arbeitsvertrags stehen. Dafür kann es nötig sein, dass die Angestellten überwacht werden. Die Überwachung oder Kontrolle des Verhaltens der Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz ist aber nicht erlaubt (Art. 26 der Verordnung zum Arbeitsgesetz (ArGV 3)). Sind aus anderen Gründen Kontrollen erforderlich, wie es hier der Fall ist, sind diese insbesondere so zu gestalten und anzuordnen, dass die Gesundheit und die Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmenden nicht beeinträchtigt werden.
Am letzten Freitag kamen zwei Sicherheitsagenten auf mich zu, als ich zur Garderobe ging, und wollten meinen Schrank und meine persönlichen Gegenstände kontrollieren. Da ich nicht verstand, weshalb dies nötig war, habe ich mich geweigert. Sie sagten mir, dies sei eine neue Anordnung des Arbeitgebers und sie seien angewiesen, diese Kontrollen durchzuführen. Muss der Arbeitgeber die Angestellten nicht über eine solche neue Anordnung in formieren, bevor sie angewendet wird?
Aus Artikel 5 und 6 ArGV 3 geht hervor, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmenden informieren und anhören muss, wenn er eine neue Anordnung erlässt, welche die individuelle Freiheit beeinträchtigt. Diese Pflicht ergibt sich auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB). Zudem muss der Arbeitgeber die Arbeitnehmenden darüber informieren, welche Personen die Kontrollen durchführen werden, insbesondere wenn er eine private Sicherheitsagentur beauftragt hat.
Danach führten die Agenten eine Leibesvisitation durch und verlangten den Schlüssel meines Privatautos, das vor dem Gebäude parkiert war. Dann durchsuchten sie auch das Auto gründlich. Ich bin der Meinung, dass dies meine Freiheit und Privatsphäre verletzt hat.
Tatsächlich wird das Recht des Arbeitgebers, die Arbeitnehmenden zu kontrollieren, eingeschränkt durch seine Pflicht, die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden zu schützen (Art. 328 OR). Eine solche Kontrolle muss deshalb die geeignete, notwendige und verhältnismässige Massnahme zur Erreichung des angestrebten Ziels sein. Stichprobenweise Kontrollen der Garderobenschränke und Taschen der Arbeitnehmenden, ohne dass ein Diebstahlverdacht vorliegt (präventive Kontrollen), müssen in einem GAV, in einer Richtlinie oder in einem individuellen Arbeitsvertrag geregelt sein. Leibesvisitationen und Kontrollen des Privatfahrzeugs hingegen verletzen die Privatsphäre der Arbeitnehmenden und dürfen nur im Falle einer erwiesenen Entwendung von Wertgegenständen oder bei begründetem Verdacht auf eine solche Tat – und nur von der Polizei – durchgeführt werden.
Könnte mir nicht gekündigt werden, wenn ich mich weigere, mich kontrollieren zu lassen?
Doch, aber eine Kündigung aus einem solchen Grund wäre missbräuchlich nach Artikel 336a OR. Du hättest Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von sechs Monatslöhnen, wenn eine Leibesvisitation und eine Kontrolle deines Autos durch private Sicherheitsagenten durchgeführt worden sind.
Als Mitglied geniesst du bei syndicom vollen Berufsrechtsschutz. Das heisst: Du erhältst kostenlose Rechtsberatung und rechtliche Unterstützung im Arbeitsrecht, also bei allen Fragen rund um deine Arbeit und deinen Beruf.