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Alles privatisieren, was geht

Im Dunstkreis der Welthandelsorganisation wird das Trade in Services Agreement (Tisa) verhandelt, das Dienstleistungen aller Art den Prinzipien der demokratischen Öffentlichkeit entziehen will. Bedroht sind bestehende Angebote und solche, die erst noch erfunden werden. Kommt das Abkommen zustande, unterwirft es auch die Schweiz der Willkür der Konzerne. 

 

Noch nie unterstand ein internationales Abkommen einer derart strikten Geheimhaltung wie das Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen oder Trade in Services Agreement — kurz Tisa. Über den Inhalt des sogenannten «Freihandelsabkommens» ist nur das bekannt, was dank Wikileaks im Juni 2014 zur Presse durchgesickert ist.

Kurz zuvor, im Januar 14, hatte die Schweiz als erstes Land ihre Tisa-Offerte öffentlich im Internet zugänglich gemacht. Norwegen folgte dann dem Schweizer Beispiel zwar, die anderen Länder aber halten sich weiterhin bedeckt. Die USA haben ihre Offerte sogar für eine Dauer von fünf Jahren mit dem «Top Secret»-Siegel versehen. Das Ergebnis dieser Verhandlungen wird nicht nur syndicom mit ihren drei grossen Sektoren Post, Telekommunikation und Medien ganz direkt betreffen.

Es droht der Ausverkauf des Service public

Jedes öffentliche Gut steht zur Debatte, ohne dass Bürger oder ParlamentarierInnen etwas dazu zu sagen hätten. Verhandelt wird über die Öffnung des «Dienstleistungsmarktes» zugunsten des globalen Wettbewerbs: Also über Bildung, Gesundheit, Verkehr, Post, Telekommunikation, Radio, Fernsehen … Auch die Regulierung der Finanzmärkte und der Schutz von Personendaten stehen auf dem Spiel. Alle im Service public enthaltenen Dienstleistungen und weitere, die zukünftig entstehen könnten, sind bedroht.

Die Spielregeln der Demokratie und der Einflussbereich der öffentlichen Hand sollen in einem nie dagewesenen Mass eingeschränkt werden. Die teilnehmenden demokratischen Staaten europäischer Prägung werden danach nicht mehr wiederzuerkennen sein.

Ganz Dicke FREUNDe

Fünfzig Länder sind bei Tisa dabei, darunter die Europäische Union, die allein 28 Länder vertritt, und die Schweiz. Nachdem 2001 die Ministerkonferenz von Doha (Hauptstadt von Katar am Persischen Golf), bekannt als «Doha-Runde» der Welthandelsgespräche, spektakulär gescheitert war, schlossen sich 50 Staaten zu den «Really Good Friends of Services» zusammen, um ihre wirtschaftspolitischen Interessen ausserhalb (aber dennoch im Umfeld) der Welthandelsorganisation (WTO) voranzutreiben. Der Name ist ein Witz: das Herz dieser «wirklich guten» oder «wahren Freunde der Dienstleistungen» schlägt nicht für den Service, sondern für die Gewinne, die sich mit den Dienstleistungen der öffentlichen Hand in einem total­liberalisierten Markt für private Unternehmen herausschlagen liessen.

Geheimverhandlungen kurz vor dem Abschluss?

Konkret wurden die Tisa-Verhandlungen Anfang 2012 aufgenommen. Sie könnten bis Ende diesen Jahres abgeschlossen sein. Die jüngste Verhandlungsrunde fand Anfang Februar 2015 in Genf statt. Das Ziel des Abkommens ist, dass private Unternehmen Zugang zu den Dienstleistungsmärkten aller Mitgliederstaaten erhalten und gleich wie öffentliche Institutionen behandelt werden.

Wenn also eine amerikanische Privatklinik in der Schweiz eine Filiale eröffnen würde, hätte sie den gleichen Anspruch auf staatliche Alimentierung wie ein Kantonsspital oder eine Uniklinik (man spricht vom Wegfall der «Inländerbevorzugung»).

«Freiheit» der Daten

Den durch Snowden bekannt gemachten NSA-Skandalen zum Trotz setzen sich die USA für die totale «Freiheit» der Dienstleistungen im Internet ein. Würde sie im Rahmen von Tisa umgesetzt, wäre es den einschlägigen Konzernen fortan möglich, unbegrenzt persönliche Daten zu sammeln und diese über Staatsgrenzen hinweg weiterzugeben (und zu vermarkten).

Was noch alles?

In ihrem Bericht «Tisa versus Public Services» bezeichnet die Internationale der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (Public Services International, PSI) die Situation auch aufgrund der verschwörerischen Geheimhaltungspolitik als alarmierend: «Wir wissen jetzt, dass Tisa den Finanzsektor weiter deregulieren wird, die Rücküberführung von gescheiterten Privatisierungen verhindern wird und Datenschutzgesetze unterwandert. Was halten unsere Regierungen eigentlich sonst noch vor uns geheim?», fragt die Generalsekretärin der PSI, Rosa Pavanelli.

irreversibel

Tisa ist als sogenanntes «lebendes Abkommen» ausgelegt. Das bedeutet, dass es auch für Dienstleistungen gelten soll, die es heute vielleicht noch gar nicht gibt. Sollte also in Zukunft ein neues Service-Angebot für die Allgemeinheit entstehen, müsste es von Anfang an privatwirtschaftlich organisiert werden und folglich Gewinn abwerfen. Die mitunter immensen Investitionen (man denke an die Entwicklung einer alternativen Energieversorgung), die heute oft vom Staat und letztlich solidarisch von der Bevölkerung mitgetragen werden, müssten plötzlich Gewinn abwerfen und die Leistungen würden entsprechend teurer.

Privatfriedhöfe

Bereits jetzt werden im Rahmen von Tisa zusätzliche Vertragsanhänge verhandelt, welche die Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand (Vorschlag der EU) oder von Staats- und halbstaatlichen Betrieben (Vorschlag der USA) der freien Marktwirtschaft überlassen sollen. Dabei ist der Begriff «staatseigene Unternehmen» äusserst dehnbar. In der Schweiz würde er querbeet Einrichtungen wie öffentliche Schwimmbäder, Friedhöfe, Seilbahnunternehmen, die SBB, die Kantonalbanken, die Post, Fussballplätze, städtische Verkehrsbetriebe, Schulen, Museen, Universitäten, den Strassenbau, Bibliotheken und Flughäfen umspannen.

Besonders gefährdet sind die Wasserversorgung, die Gesundheitspflege und das Bildungswesen. Hier lässt sich von Privaten richtig Geld verdienen.

Zwei-Klassen-Welt

Allerdings nur, wenn die Dienste auch bezahlt werden können. Entstehen würde so ein Zwei-Klassen-Bildungs- und Gesundheitssystem: Fortschrittliche Operationen, vertiefende Bildungsabschlüsse wären nur noch für Reiche erschwinglich. Die anderen hätten einfach keine Krankenversicherung, keine Ausbildung, kein öffentliches Trinkwasser.

Als Erstes dürften die «halbstaatlichen Betriebe» ins Visier der Privatisierer geraten, öffentliche Dienstleistungen also, die bereits jetzt zum Teil von privaten Unternehmen erbracht werden und mit Tisa leicht für eine totale Marktöffnung angreifbar werden.

Als schwacher Trost kann festgehalten werden, dass bezüglich der inhaltlichen Bestimmungen des Abkommens noch heftige Verhandlungen im Gange sind – obwohl die Integration der oben erwähnten Dienstleistungen im Prinzip bereits durch die Unterzeichnerstaaten akzeptiert ist.

Rolle der Schweiz?

So hat die Schweizer Delegation in ihrer individuellen Offerte (ihr Angebot an die Verhandlungspartner, welche Bereiche sich zuerst privatisieren liessen) zu allen «Klauseln» (vgl. Kasten «4 Klauseln – 4 Katastrophen») Vorbehalte angemeldet. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge sollte der Service public in der Schweiz somit nicht gefährdet sein. Doch es gibt da zwei Haken: Es ist unmöglich vorauszusehen, wie lange diese Vorbehalte aufrechterhalten werden können. Und es ist unsicher, ob am Ende die individuelle (Schweizer) Offerte (und ihre Ausnahmen) oder die Anhänge, die noch verhandelt werden, vorrangig durchgesetzt werden.

Widerstand formiert sich

Dass ein Abkommen dieser Tragweite komplett von privatem Gewinninteresse diktiert wird, untergräbt die Demokratie und ist ein Skandal. Gewerkschaften und NGOs wehren sich vehement gegen Tisa und mobilisieren weltweit. Die grösste Sorge der Gewerkschaften und der NGOs betrifft die Liberalisierung der öffentlichen Dienstleistungen, den Service public. Zumal aufgrund der Geheimhaltung unklar bleibt, was die Liberalisierung im Energie- und Postsektor genau umfassen soll.

In der Schweiz führt das Komitee Stop Tisa eine Petition durch (stop-tisa.ch), die vom Bundesrat verlangt, sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen. Im Januar forderten die Berner Stadtparlamentarierinnen Katha­rina Gallizzi und Regula Bühlmann (beide Grünes Bündnis) im Rat, Bern zur «Tisa-freien Zone» zu erklären. Dieselben Forderungen gab es auch in Genf und Zürich, Carouge ist bereits als «Tisa-freie Zone» deklariert. Der Widerstand ist umso wichtiger als neben Tisa bereits weitere Handelserleichterungsabkommen wie TTIP/TAFTA und CETA verhandelt werden oder bereits abgeschlossen sind.

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