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«Arbeite doch mehr»

Vom freien Journalismus zu leben ist nicht einfach. Unterbesetzte Redaktionen mit knappem Budget geben ihren Druck an die freien MitarbeiterInnen weiter – und setzen dabei manchmal auch auf Drohung, um bei gleichbleibend tiefen Honoraren immer umfassendere Nutzungsrechte zu erhalten.

«Freie Journalistin? Kannst du davon leben?», fragen mich viele. Selbst freie Journalistinnen und Journalisten schauen mich bisweilen ungläubig bis mitleidig an, wenn ich sage, dass ich vor ein paar Jahren eine Festanstellung gekündigt habe, um künftig meine eigene Chefin zu sein. Manchmal nerven mich die Fragen und die gut gemeinten Ratschläge, mich vielleicht doch nach einer Festanstellung umzuschauen. Dass meine Zukunft als freie Journalistin alles andere als sicher ist, weiss ich. Dass ich in einem anderen Job für weniger Arbeit mehr Geld verdienen würde, ebenfalls. Gleichzeitig ist es der spannendste Job, den ich mir vorstellen kann. Solange mein Konto nicht leer ist, werde ich ihn nicht aufgeben.

Recherchen für das Herz

Konstanz gibt es bei mir kaum: Mein monatliches Einkommen schwankte in den letzten 12 Monaten zwischen 250 und 11 250 Franken brutto. Im Jahr 2013 bekam ich 45 Honorarabrechnungen von neun Printmedien und vier weiteren Stellen, für die ich gearbeitet habe. Und: Ja, wenn ich angefragt werde, nehme ich zwischendurch auch Kommunikations-Aufträge an. Dabei lasse ich mich sehr gut bezahlen, um nachher wieder ungestört die Geschichten recherchieren kann, für die mein Herz schlägt.

Begrenztes Budget

Leider bekomme ich in meinem Alltag sehr oft zu spüren, wie stark viele Redaktionen unter Druck sind. Von festangestellten KollegInnen weiss ich, dass sie unterbesetzt sind und mit einem begrenzten Budget für Freie auskommen müssen. So beschwere ich mich kaum je über tiefe Honorare, und auch nicht darüber, dass gewisse Zeitungen keine Spesen für Zugfahrten übernehmen, wenn sie mich durch die halbe Schweiz schicken. Ich weiss, der Spielraum ist klein.

Falle im Personalblatt

Mein Verständnis und auch meine Kompromissbereitschaft hören dort auf, wo sich RedaktorInnen bewusst über geltende Rechtslagen hinwegsetzen und mir drohen, wenn ich auf meinen Urheberrechten bestehe. Nur einmal habe ich den Fehler gemacht, ein Personalblatt zu unterschreiben, in welchem ich einem Verlag sämtliche Nutzungsrechte abgetreten habe: Wenn sie wollten, dürften sie meine Artikel theoretisch nicht nur mehrfach abdrucken, online stellen und archivieren, sondern auch weiterverkaufen. Theoretisch dürfte ich meine eigenen Texte nur noch nach Rücksprache mit ihnen verwenden – was natürlich keinen Sinn macht, weil ich dieser Zeitung sowieso nur Texte zum Zweitabdruck anbiete.

Fortan habe ich immer klar kommuniziert, dass ich ihnen nur Rechte zum einmaligen Abdruck abtrete, ohne vertraglich oder in sonst einer Form einer Mehrfachverwertung zuzustimmen. Mit teils bescheidenem Erfolg: «Sei doch froh, dass wir es online stellen, das ist gut für dein Renommee», sagte mir ein Redaktor, als ich ihn einmal mehr bat, einen Text von der Homepage zu entfernen.

Qualität hat einen Preis

Ich sagte ihm, vom Renommee allein sei meine Miete nicht bezahlt und ohne zusätzliches Honorar sei ich gegen eine Online-Verwendung. «Ich sehe dein Problem nicht. Als ich noch freier Journalist war, habe ich mich gefreut, wenn meine Texte online gestellt wurden.» Bloss blieb besagter Redaktor ja aus irgendeinem Grund nicht lange freier Journalist und bezieht heute als Festangestellter einen regelmäs­sigen Lohn.

Urheberrecht?

Als Nächstes hiess es, es sei gar nicht möglich, dass ich der Zeitung nur die Rechte zum einmaligen Printabdruck, nicht aber Online-Rechte abtrete: Es gebe bei ihnen nämlich keine Unterscheidung zwischen Print und Online, das sei ein einziges Medium. Ich erklärte, dass dies nicht dem entspricht, was das Urheberrecht sagt. Als nichts half, begann er implizit zu drohen: «Ich kann schon ein Grundsatzgespräch mit dem Chefredaktor führen. Aber du machst dich sicher nicht beliebt.»

Wohlgemeinte Empfehlung

Dann noch sein Ratschlag an mich: «Weisst du, das Ganze kostet dich doch so viel Zeit und Energie, und du hast sowieso keine Chance, das durchzusetzen. Recherchier und schreib doch stattdessen einfach etwas mehr, dann verdienst du auch mehr Geld.» Beide Texte von mir, die seither in der Zeitung erschienen sind, kann man nun gratis online lesen. Immerhin wurde die Rechnung mittlerweile zur Hälfte bezahlt.

Vollendete tatsachen

An die Grenzen meiner Geduld brachte mich auch eine andere grosse Tageszeitung. Ich stellte Rechnung, nachdem Texte von mir plötzlich auch in zwei kleineren Zeitungen erschienen waren. Eine Zeitung bezahlte, die andere nicht. Der Dienstchef der grossen Tageszeitung teilte mir per Mail mit: «Abdrucke in Verbunds-Titeln werden nicht separat honoriert. Wir haben das den regelmässigen KorrespondentInnen mitgeteilt. Es wurde von allen akzeptiert. Wenn Sie das allerdings nicht akzeptieren, sehen wir uns gezwungen, auf eine weitere Zusammenarbeit mit Ihnen zu verzichten.»

Ich finde es sehr bedenklich, dass sich immer mehr Zeitungen zusammenschliessen und untereinander Texte tauschen, ohne freie Journalisten für Mehrfachnutzungen zu entschädigen. Bei den heutigen Honoraren kann ich mir aufwendig recherchierte Geschichten nur so lange leisten, wie ich viele mehrfach verkaufen kann.

Schaden für die Medien

Wenn freie JournalistInnen künftig entscheiden müssen, ob sie ihren Beruf aufgeben oder nur noch Geschichten aus Medienmitteilungen zusammenschreiben wollen, dann verlieren auf lange Sicht nicht nur wir Freien, sondern auch die Medien, die diese Texte abdrucken.

Mehr zum Thema am «Tag der Freien», 13. September. Einladung und Info Seite 14.

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