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Aus dem Stipendien-Dschungel ausbrechen

Am 14. Juni stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über die Stipendieninitiative der Studierendenschaften ab. Diese verlangt eine gesamtschweizerisch einheitliche Vergabe der Ausbildungsbeiträge. In der Schweiz gibt es heute fast so viele Stipendienmodelle wie Stipendienempfänger. Die Beträge können bis ums Dreifache variieren. Ihre Höhe hängt von der Einkommens- und Vermögenssituation der Eltern, aber auch vom Kanton der Studierenden, der Anzahl Studienjahre etc. ab. Im heutigen Stipendien-Dschungel herrschen Willkür, statistischer Zufall oder das Glück, in einem grosszügigen Kanton geboren worden zu sein. Deshalb verlangt der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) mit seiner Initiative, dass der Bund die Ausbildungsbeiträge vereinheitlicht. Ein Gespräch mit Michael Moser, dem Co-Präsidenten der Jugendkommission von syndicom, führte Yves Sancey, Redaktor von «syndicom – die zeitung»

© Yves Sancey

Yves Sancey: Michael, hast du selber je Stipendien erhalten?

Michael Moser: Nein. Ich habe es auch gar nie versucht, da ich wusste, wie schwierig es ist. Das Einkommen meiner Eltern ist zu hoch, was mich für Stipendien ausschliesst, obwohl ich schon lange nicht mehr bei ihnen lebe. Zudem ist das Studium meine Zweitausbildung. Ich habe zuerst eine Lehre als Polygraf gemacht. Für mich wäre es aber selbstverständlich eine enorme Erleichterung, wenn ich Stipendien bekommen würde, die zumindest meinen minimalen Lebensunterhalt garantieren würden. Momentan ist mein Studium von meinem Nebenerwerb abhängig. Könnte ich nicht 40 Prozent arbeiten und davon leben, müsste ich mein Studium abbrechen, oder zumindest unterbrechen.

Du arbeitest neben dem Studium?

Ja. Ich habe immer 40 Prozent auf meinem ursprünglichen Beruf gearbeitet.

War das einfach, eine 40-Prozent-Stelle zu finden?
Nein, das war natürlich nicht einfach, aber ich hatte Glück. Es gibt viele Studentenjobs. 75 Prozent der StudentInnen in der Schweiz arbeiten, aber die meisten können davon nicht leben, weil die Studentenjobs so bezahlt sind, dass man von einem tiefen Pensum seinen Lebensunterhalt nicht finanzieren kann. Diese Differenz muss durch die Eltern oder durch ein Stipendium aufgebracht werden. Ich kann von einem 40-Prozent-Pensum nur darum ohne Unterstützung leben, weil ich bescheiden lebe und durch meine Erstausbildung einen besseren Lohn habe, als wenn ich in einem klassischen Studentenjob arbeiten würde.

Ist es schwierig, mit dem Bologna-System neben dem Studium zu arbeiten?
Ja, es wird immer schwieriger, weil versucht wird, die Studiendauer generell zu verkürzen. Das Ziel ist heute, in drei Jahren einen Bachelor zu machen. Da ich neben dem Studium arbeiten muss, habe ich viereinhalb Jahre benötigt. Du kannst nicht 100 Prozent studieren, wenn du 40 Prozent arbeitest. Wenn also zum Beispiel die Studiengebühren erhöht werden, schadet man genau den StudentInnen, die sich ihr Studium selber mit ihrer Arbeit finanzieren, weil sie dadurch länger an der Uni sind und darum auch länger Semestergebühren zahlen müssen. Mein Bachelor war allein von den Semestergebühren her eineinhalb Mal so teuer, wie wenn ich bereits nach drei Jahren abgeschlossen hätte.

Das Ziel soll meiner Meinung nach aber auch mit Stipendien nie sein, dass man während dem Studium nicht mehr arbeiten soll oder kann. In der Arbeit neben dem Studium sammelt man viel Lebenserfahrung, die an der Uni so nicht vermittelt werden kann. Ein Stipendium soll diese Arbeit nicht ersetzen, sondern so ergänzen, dass ein Studium nicht aus finanziellen Gründen abgebrochen oder gar nicht erst angetreten werden kann.

Gibt es Studiengänge, wo man nicht arbeiten kann?

Ja. In gewissen Studiengängen wie etwa der Medizin hat man täglich eine Präsenzzeit von etwa 6 Stunden. Dazu kommt ein grosser Aufwand für das Selbststudium. Eine Erwerbsarbeit ist bei so einer Studienwahl also nur dann möglich, wenn Ruhe- und Erholungszeit gezwungenermassen darunter leiden oder kaum mehr vorhanden sind.

Schlussendlich studierst du ja ohne Stipendien. Warum also trotzdem ja sagen am 14 Juni?

In der Initiative geht es in erster Linie darum, die Stipendien schweizweit zu vereinheitlichen. Momentan hat jeder Kanton sein eigenes System. Sowohl die Chance, ein Stipendium zu erhalten, wie auch dessen Höhe variieren je nach Wohnkanton extrem. Dies führt zur abstrusen Situation, dass zwei Studienkollegen aus derselben Klasse mit demselben Hintergrund nicht die gleichen Mittel zur Hand haben, nur weil einer aus Zürich, der andere aus Bern kommt, beide aber in Basel studieren. Hier will die Initiative endlich die gleichen Voraussetzungen für alle schaffen. Und zu meiner persönlichen Situation: Ich kann nur ohne Stipendien studieren, weil ich bereits eine Ausbildung absolviert und die Möglichkeit habe, neben dem Studium relativ viel zu arbeiten. Für 90 Prozent der übrigen Studenten wäre das so jedoch kaum möglich.

Betrifft die Stipendieninitiative nur die Personen, welche ein Studium an der Universität machen?
Nein, und das ist vielen Leuten gar nicht bewusst. Stipendien gelten für den ganzen tertiären Bildungsbereich. Auch wir als Gewerkschaft mit vielen Berufsleuten sind davon direkt betroffen, da auch Lehrlinge und Absolvierende einer höheren Berufsbildung Anspruch auf Stipendien haben. Das finde ich persönlich sehr wichtig. Denn gute Bildung heisst nicht zwingend Universität, aber gute Bildung benötig zwingend gute Leute. Damit wir hier nicht schon kategorisch die Hälfte ausschliessen, ist ein faires und transparentes Stipendiensystem unbedingt notwendig. Ohne Ausbildungsbeiträge vom Staat wäre es den jungen Menschen, deren Familien zu wenig Einkommen haben, nicht möglich, eine Ausbildung an einer höheren Fachschule, Fachhochschule, ETH oder Universität zu machen. Die Zukunft unseres Landes wächst im Bereich der Bildung und zwar an den Berufsschulen wie auch an den Fachhochschulen und der Universität.

 

Weitere Informationen: www.stipendieninitiative.ch

Zur Person:
Michael Moser, 30 Jahre alt, Ausbildung als Polygraf, Berufsmatura, Passerelle, Bachelor in Geschichte, BWL und Politikwissenschaften . Momentan im Master an der Universität Zürich. Er vertritt zur Zeit den Jugendsekretär bei syndicom.

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