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Aus streng verschlossenen Welten

Zwei aussergewöhnliche Filme von Regisseurinnen, die uns Kulturen näherbringen, die Film als Zerstreuung ablehnen: Der gross­artige «Fill the Void» von Rama Burshtein erzählt eine Geschichte aus dem orthodoxen Judentum, «Wadjda» von Haifa Al-Mansour ist der erste saudi-arabische Kinofilm überhaupt. 

Die in New York geborene Rama Burshtein hat in Jerusalem, wo sie heute lebt, die renommierte Sam Spiegel Film and Television School absolviert. Innerhalb der orthodoxen Gemeinschaft hat sie mehrere Filmprojekte realisiert, die meisten von ihnen ausschliesslich für Frauen. «Fill the Void» ist ihr erster Film, der auch für ein Publikum ausserhalb ihrer Religion geschaffen wurde, er hatte seine internationale Premiere am Filmfestival Venedig im September vergangenen Jahres.

Im Zentrum von «Fill the Void» steht die 18-jährige Shira (Hadas Yaron); ihre Schwester Esther (Renana Raz) heiratet zu Beginn des Films Yohai (Yiftach Klein), einen schon etwas älteren Mann. Als Esther bei der Geburt ihres ersten Kindes stirbt, entsteht im Leben von Yohai jene im Filmtitel angetönte Leere.

Es beginnt nun bei Shira und Yohai ein Reigen der Gefühle zwischen Anziehung und Ablehnung – denn eigentlich findet Shira Gefallen an Yohai, und auch er kann trotz Trauer um seine verstorbene Frau die Gefühle für die attraktive Shira nicht verbergen. Doch es gibt da den Druck von Shiras Mutter – die ihr Enkelkind unbedingt bei sich haben möchte –, ihre Tochter solle unbedingt in eine Heirat mit Yohai einwilligen. Shira aber ist eine selbstbewusste Frau, die sich nicht einfach so verheiraten lassen will. Andererseits ist es auch Yohai nicht ganz wohl bei der Vorstellung, sich ausgerechnet mit der Schwester seiner verstorbenen Frau zu verheiraten. Und ausserdem hat der Rabbi für ihn schon eine heiratswillige Frau im ­fernen Ausland gefunden.

Universelle Fragen

«Fill the Void» ist über weite Strecken ein Film, bei dem sich in faszinierender Weise die Nöte, Konflikte und Ängste der Beteiligten nur in deren Gesichtern abspielen, in dem Unausgesprochenes mehr Bedeutung hat als die Dialoge. In dieser Hinsicht ist Rama Burshtein ein beglückend universell verständlicher Film mit einer grossartigen Bildsprache gelungen, der weit über die Thematik von arrangierten Ehen in einem streng religiösen Umfeld hinausweist. Natürlich ist «Fill the Void» nun nicht gerade ein Film, der ein gewerkschaftsnahes Thema behandelt, aber es ist ein Werk, das in seiner subtilen Machart keinen Zuschauer, keine Zuschauerin mit wachem Geist und vorurteilsfreiem Blick unberührt lässt. Auch wenn uns die streng festgelegten Riten, Regeln und Abläufe in dieser traditionellen Gesellschaft noch so fremd und unbegreiflich erscheinen mögen – der achtsame und liebevolle Umgang dieser Menschen miteinander und ihre solidarische Haltung untereinander kann eigentlich für jede Gewerkschafterin, für jeden Gewerkschafter nur vorbildlich sein. Erfreulicherweise haben Filme Konjunktur, die von mutigen Frauen in geschlossenen, von Aussenstehenden noch nie gesehenen Gesellschaften realisiert werden.

Am Filmfestival von Fribourg, das vom 16. bis 23. März stattfindet, wird nicht nur «Fill the Void» als Schweizer Vorpremiere zu sehen sein, sondern auch «Wadjda» von Haifa Al-Mansour aus Saudi-Arabien, einem Land, in dem Kinos verboten sind und in dem zuvor noch nie ein Film gedreht wurde. Nur einer Frau konnte es gelingen, mit der Kamera in die streng abgeschirmte Welt saudischer Frauen vorzudringen.

Haifa Al-Mansour studierte Literatur in Kairo an der amerikanischen Universität, realisierte einige Kurzfilme und kehrte danach wieder in ihr Heimatland Saudi-Arabien zurück. «Wadjda» ist ihr erster langer Spielfilm, er erzählt von den Bemühungen eines elfjährigen Mädchens, sich den Traum von einem Velo zu erfüllen – und dies, obwohl es Mädchen in Saudi-Arabien verboten ist, Velo zu fahren.

* Geri Krebs ist freier Journalist und Filmkritiker in Zürich.

«Fill the Void» startet am 21. 3. in den Kinos, am 16., 17. und 18. 3. läuft der Film als Vorpremiere am Internationalen Filmfestival in Fribourg (www.fiff.ch), am 17. März wird Regisseurin Rama Burshtein anwesend sein.

«Wadjda» startet am 11. 4. in den Kinos, der Film läuft ebenfalls in Fribourg als Vorpremiere, am 20., 21. und 22. 3., Regisseurin Haifa Al-Mansour wird an den Vorführungen anwesend sein.

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