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Ausstempeln ist Gesundheitsschutz

Arbeitnehmende müssen ihre Arbeitszeit erfassen können. Das steht im Arbeitsgesetz. Warum das so ist, erklärt Corina Müller. Sie ist beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zuständig für den Arbeitnehmerschutz.

 

Corina Müller, ein wichtiger Aspekt des Arbeitnehmerschutzes ist die Arbeitszeit­erfassung. Warum?

Nur damit hat man die Kontrolle, ob die vom Gesetz festgelegten Grenzen der gesundheitlichen Belastung überschritten werden. Deswegen steht diese Erfassungspflicht auch im Arbeitsgesetz. Auch die Betriebe können damit überprüfen, ob sie ihre Verantwortung in Sachen Gesundheitsschutz wahrnehmen. Und die Arbeitsinspektoren brauchen die Zahlen, um die Einhaltung des Gesetzes zu kontrollieren.

Wo liegt diese Belastungsgrenze?

Das hängt grundsätzlich von der Branche, dem Alter der Angestellten und dem Beruf ab. Nicht alles ist gesundheitlich gleich belastend. Gesetzlich liegt die Grenze bei der Höchstarbeitszeit: Diese beträgt allgemein 50 Stunden pro Woche. Für Angestellte in Büros, industriellen Betrieben und Grossbetrieben des Detailhandels sind es maximal 45 Stunden in der Woche. Wichtig ist auch, dass die Ruhezeiten jeweils eingehalten werden, das bedeutet konkret: Zwischen zwei Arbeitstagen müssen mindestens elf Stunden liegen. Und auch tagsüber müssen Arbeitnehmer Pausen machen können.

Der Lohn hat also nichts damit zu tun?

Nein, es geht dabei um den Schutz der Gesundheit.

Seit wann ist das vorgeschrieben?

Die Erfassungspflicht steht seit 1966 im Arbeitsgesetz. Die heutige Formulierung stammt aus dem Jahr 2000. Seither sieht das Gesetz für Nachtarbeit Zeitzuschläge vor. So darf in der Nacht höchstens an 9 von 10 Stunden gearbeitet werden, am Tag sind innerhalb von 14 Stunden maximal 12½ Stunden Arbeit erlaubt. Das ist die tägliche Höchstarbeitszeit.

Wer muss die Arbeitszeit erfassen?

Die Verantwortung liegt grundsätzlich bei den Arbeitgebern. Die Betriebe können die Arbeitszeiterfassung aber jeweils an die Arbeitnehmenden delegieren, zum Beispiel indem sie ihnen entsprechende Instrumente zur Verfügung stellen.

Dann liegt die Verantwortung ja aber trotzdem bei den Arbeitnehmenden ...

Nein. Es ist wie bei der Helmpflicht auf dem Bau: Der Bauarbeiter muss den Helm zwar selber anziehen, aber die Firma ist dafür verantwortlich, dass er es tut.

Und was passiert, wenn eine Firma die Verantwortung nicht wahrnimmt?

Die kantonalen Arbeitsinspektoren werden die Firma darauf aufmerksam machen und ihr eine gewisse Frist geben, bis wann sie die Erfassung eingeführt haben muss. Setzt sie das vorsätzlich nicht um, erlässt das Inspektorat eine Strafandrohung. Bei Nichteinhaltung wird das mit einer Busse bestraft.

Ganz grundsätzlich: Was gehört denn eigentlich alles zur Arbeitszeit?

Die ganze Zeit, in der sich eine Angestellte, ein Angestellter für den Betrieb zur Verfügung zu halten hat. In einem Modegeschäft bedeutet das beispielsweise, dass auch die Vorbereitung am Morgen und die Abrechnung am Abend dazugehören. Und für Angestellte, die ihren Platz nicht verlassen dürfen, zählen auch die Pausen zur Arbeitszeit – beispielsweise wenn eine Maschine überwacht werden muss.

Gelten diese Regeln für alle?

Nein, ausgenommen ist, wer nicht unter das Arbeitsgesetz fällt – wie das oberste Kader. Zudem gibt es heute eine vereinfachte Erfassung für gewisse Gruppen von Kadermitarbeitenden, die eine grosse Autonomie bei der Arbeitseinteilung haben und keine regelmässige Sonntags- oder Nachtarbeit leisten. Sie können auf ein Ein- und Ausstempeln verzichten und stattdessen nur die Zahl der täglichen Arbeitsstunden aufschreiben. Dazu braucht es aber das schriftliche Einverständnis dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Bald soll die Erfassung der Arbeitszeit einfacher werden ...

Ja, im Moment läuft eine Anhörung. Diese Vorlage basiert auf einer Einigung zwischen den Sozialpartnern, die dank der Vermittlung von Bundesrat Schneider-Ammann zustande kam. Der Bundesrat wird im Sommer die Resultate dieser Anhörung zur Kenntnis nehmen und über das weitere Vorgehen entscheiden.

Wie sieht denn diese Vereinbarung genau aus?

Die Sozialpartner können in einem GAV, also einem Gesamtarbeitsvertrag, auf die Arbeitszeiterfassung verzichten: Allerdings gilt das nur für Arbeitnehmende, die mehr als 120 000 Franken im Jahr verdienen und sich ihre Arbeitszeit selber einteilen können. Der GAV müsste dann besondere Massnahmen für den Gesundheitsschutz und eine interne Anlaufstelle für Arbeitszeitfragen vorsehen. Ausserdem soll die vereinfachte Erfassung auch ausgeweitet werden. Wenn sich eine Betriebskommission oder die Arbeitnehmervertretung einer Branche für die Vereinfachung ausspricht, könnte diese auf weitere Gruppen von Angestellten ausgeweitet werden, die ihre Zeit selber einteilen können. Auch hier ist eine paritätische Begleitung vorzusehen.

Würde das für alle Angestellten dieser Gruppen gelten?

Nein, die betroffenen Arbeitnehmer müssten sich mit dem Verzicht schriftlich einverstanden erklären. Und jene, die die vereinfachte Arbeitszeiterfassung nicht wollen, müssen weiterhin die Möglichkeit der Arbeitszeiterfassung haben.

Es gibt auch Arbeitnehmer, die keine Stempeluhren wollen. Sie finden es umständlich.

Die Erfassung der Arbeitszeit kann auf verschiedene Arten erfolgen. Grundsätzlich ist sie aber ein wichtiges Instrument, um zu erkennen, ob beim Arbeitnehmerschutz etwas schief läuft. Wir brauchen das, um reagieren zu können, wo es notwendig ist. Es ist einfach ein Warninstrument, wie ein Geigerzähler.

* Freischaffende Journalistin beim Pressebüro St. Gallen.

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