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Bilder der Arbeiterbewegung

Für einmal kein reiner Filmtipp, sondern die Empfehlung einer Ausstellung mit filmischem Begleitprogramm: «Gretlers Panoptikum – Fotografie und Grafik zur Sozialgeschichte» im Kulturraum am Klosterplatz in St. Gallen ist ein Muss für alle gewerkschaftlich-historisch interessierten ZeitgenossInnen und wirft auch Fragen auf. 

Vielen über fünfzigjährigen LeserInnen muss man Roland Gretler nicht vorstellen – den meisten unter den Jüngeren dürfte sein Name hingegen kein Begriff mehr sein. Der 1937 in St. Gallen geborene, heute in Herisau lebende Fotograf und Grafiker ist seit den 1970er-Jahren bekannt als besessener Sammler und Archivar von Fotos, Plakaten, Grafiken, Flugblättern und anderen Objekten zur Geschichte der Arbeiterbewegung und der Linken im Allgemeinen.

2011 hätte in Gretlers Heimatstadt im Historischen und im Völkerkundemuseum eine gros­se Ausstellung von «Gretlers Pan­optikum» stattfinden sollen. Doch damals zerstritt Gretler sich vor der geplanten Ausstellungseröffnung mit den zuständigen Museumsleuten, die Ausstellung wurde abgeblasen. Nun hat das Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz jenes Ausstellungsprojekt in etwas reduziertem Umfang im Kulturraum am Klosterplatz realisiert.

Noch heute schwärmt Roland Gretler davon, dass er 1968 in Zürich an den Globus-Krawallen wesentlich mitbeteiligt war. Der damals immerhin schon 31-Jährige stellte für jene Demo nicht nur sein Auto mit aufmontierten Lautsprechern zur Verfügung, sondern er gestaltete auch das legendäre Flugblatt mit dem Kopf von Jimi Hendrix und dem Motto «Rebellion ist berechtigt». Dem Aufbruch von 1968 ist auch ein wichtiger Teil der Ausstellung gewidmet. Selbstverständlich ist das Originalflugblatt hinter Glas zu bewundern, und das Ausstellungsplakat zeigt eine von Gretler mitorganisierte Aktion in Zürich vom Dezember 1969 gegen den Vietnamkrieg: DemonstrantInnen, als VietnamesInnen verkleidet, ziehen mit grossformatigen Fotos von Kriegsgräueln dem Limmatquai entlang.

Fotografie als Waffe: diese Idee taucht in unterschiedlichen Zusammenhängen der überreich ausgestatteten Ausstellung immer wieder auf, so etwa in der zentral platzierten Wand zur Berliner «Arbeiter Illustrierten Zeitung» der 1930er-Jahre oder in der Gegenüberstellung von Bildern des – linken – «Arbei­ter­fotobundes» mit jenen der – bürgerlichen – «Fotografischen Gesellschaft». Aus jener Zeit, als ArbeiterInnen und ihre Organisationen um Verbesserungen der Lebensbedingungen der Werktätigen kämpften, stammen denn auch einige der inter­essantesten sonstigen Objekte in «Gretlers Panoptikum». Dazu gehören die ­Henkelmänner genannten stapelbaren Essgeschirre, die Schalmeien der Arbeiter­kapellen oder die Kiste mit linken Klassikern, die ein Bündner Kommunist 1942 wegen des damaligen Verbots der KP im Wald vergraben hatte.

Es gibt aber auch Teile der Ausstellung, die Widerspruch herausfordern, etwa wenn auf Vietnam-Demos von 1970 Leute mit Bildern des Massenmörders Mao Zedong herumrennen oder wenn 1987 auf einem Plakatentwurf Gretlers zum 1. Mai die Worte prangen «Für eine neue Gesellschaft und einen neuen Menschen» – als ob damals nicht längst bekannt gewesen wäre, wie es in jenen Ländern aussah, die «neue Menschen» in «neuen Gesellschaften» hatten schaffen wollen.

Ausserdem gibt es auch zu Unrecht marginalisierte Teile, etwa jene zu Chile. Gerade zwei Bilder und ein dürrer Text sind in einer Ecke des «Panoptikums» zur Solidarität mit Chile zu sehen – trotz starker Ausstrahlung des Themas in der Linken der 1970er- und 1980er-Jahre.

Gretler, der den Ausstellungs­macherInnen ein Mitspracherecht bis zur Ausstellungseröffnung abgetrotzt hat, passte dabei ein Satz nicht: «Die internationale Linke blickte 1970–73 gebannt auf Chile, sah man dort doch, dass Sozialismus nicht ­Stacheldraht, Uniformierung, Einheitspartei und Ausreiseverbote bedeuten musste, sondern Demokratie, Menschenwürde für alle und gerechtere Verteilung gesellschaftlichen Reichtums.»

Die Ausstellung ist bis 12. Mai zu sehen, jeweils Mi bis So 12–17 Uhr, Do bis 20 Uhr, Kulturraum am Klosterplatz, Klosterhof 1, St. Gallen; Eintritt frei, kein Katalog, www.kultur.sg.ch. Filmisches Begleitprogramm im Kino in der Lokremise: 2.–21. April, www.kinok.ch.

* Geri Krebs ist freier Journalist und Filmkritiker in Zürich.

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