Artikel

Bildungspolitik im Umbruch zwischen analoger und digitaler Welt

Internationales Treffen von Druck- und Mediengewerkschaften zur beruflichen Bildung in Allmendingen bei Bern

v.l.: Giorgio Maietti (syndicom), Hans-Joachim Schulze (Ver.di Mainz), Thomas Hagenhofer (ZFA Kassel), Angelo Zanetti (syndicom), Markus Trachsel (Stämpfli AG)

Was müssen junge Leute heute lernen, wenn die Rechenleistung eines gewöhnlichen Computers bald die des menschlichen Gehirns übersteigen wird?Wie sollen Lehrende lehren, wenn jedem Internetnutzer jederzeit umfassende Informationen über ihr Fachgebiet zur Verfügung stehen?Wie kann die Berufsbildung in Zeiten gesichert werden, in denen die Akademisierung der Bildung vorangetrieben wird? Mit diesen und anderen Herausforderungen beschäftigten sich Gewerkschaftsvertreter/innen und Bildungsakteure aus Österreich, Deutschland und der Schweiz bei einem Treffen in Allmendingen.

 

Peter Stämpfli, Stämpfli AG

Zu der dreitägigen Veranstaltung hatte die Mediengewerkschaft syndicom eine gelungene Mischung aus Vorträgen und Besichtigungen vorbereitet. Am ersten Tag standen die Veränderungen durch die Digitalisierung der Gesellschaft im Mittelpunkt. Andreas Sidler von der FH comem+ in  Yverdon verzichtete auf den Blick durch die Glaskugel in die Zukunft sondern konzentrierte seinen Vortrag auf die Veränderungen in den letzten Jahren. Die rasche Verbreitung digitaler Technologien verändert unsere Arbeits- und Lebenswelt radikal. Mobile Kommunikation und Information ist allgegenwärtig. Jahrhunderte überdauernde Medien wie die gedruckte Zeitung oder Plakate werden durch Digitalmedien wie Apps oder LED-Plakate verdrängt. Wenn Tageszeitungen wegfallen, dann stelle sich die Frage der Verfügbarkeit von regionalen Nachrichten. Es sei heute einfacher zu erfahren, wie die Menükarte in einem kleinen Restaurant Shanghai aussieht, als lokale Informationen darüber zu erhalten, was in der eigenen Gemeinde passiert. Für Sidler liegen die Herausforderungen heute in den Themenkomplexen Mobilität, Big Data, Cloud, Compliance, Sicherheit (Daten und Personen) sowie der Energieversorgung für die digitale Welt. Sein Fazit: In Ländern wie der Schweiz müssen die Investitionen in Ausbildung und Innovationen verstärkt werden.

Zu Beginn des zweiten Tages warfen die Teilnehmenden einen Blick in die Zukunft der Druckausbildung. Thomas Hagenhofer vom Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien (Deutschland) stellte die Ergebnisse des Projekts Social Augmented Learning vor. Mithilfe der Technologie der Erweiterten Realität (Augmented Reality) ermöglichen neue Lernanwendungen auf Tablets den virtuellen Blick in die laufende Druckmaschine. So werden Bauweise und Prozesse in den Maschinen lebendig dargestellt und vermittelt. Über ein Autorenwerkzeug können Lehrende Inhalte neu erstellen und anpassen.

Welche Medienkompetenzen müssen im Rahmen der beruflichen Bildung heute vermittelt werden? Dieser Frage geht ein Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Berufsbildung in Bonn nach. Heike Krämer stellte die Ergebnisse einer umfassenden Erhebung vor. Kompetenter Umgang mit Medien muss für unterschiedliche Handlungsfelder und berufliche Tätigkeiten spezifiziert und in die Ausbildungsinhalte integriert werden.

Roger Spindler von der Schule für Gestaltung Bern und Biel entwickelte in seinem Vortrag vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umbrüche (Scharnierjahre, vergleichbar mit denen der Renaissance) eine neue Kategorisierung von Medien. Er unterschied Fokusmedien wie Bücher (Digital und Print), Kino, Blogs, Liveevents, etc. und Diffusionsmedien wie TV, Radio, Medien-Apps und Social Media. Während Fokusmedien im Normalfall unsere komplette Aufmerksamkeit erhalten, werden Diffusionsmedien meist zusätzlich zu anderen Tätigkeiten genutzt. Ein Beispiel hierfür sei die schnelle Verbreitung der Second-Screen-Nutzung gerade unter jungen Menschen. Für die Printmedien bedeute dies eine zunehmende Aufteilung in hochwertige Produkte im Sinne eines Fokusmediums auf der einen und die Verbreitung billiger Produkte im Diffusionsbereich. Durch die fortwährende aktive Nutzung von Medien drehe sich zudem die Logik von Veröffentlichungen um. Während früher ein Filterprozess vor der Publikation stattfand, wird heute im Sinne des Teilens von Information und Wissen zuerst publiziert und anschließend relevante Information aus dem überbordenden Strom gefiltert. Diese Veränderung erfordere, so Spindler, völlig neue Kompetenzen.

Die gewaltigen Umbrüche, in denen sich die Druckindustrie in der Schweiz und in ganz Europa befindet, wurden anschließend bei einem Besuch bei Stämpfli in Bern deutlich. Einer der Inhaber des Unternehmens, Peter Stämpfli, berichtete von der Entwicklung seines Unternehmens von einem reinen Druckbetrieb zu einem Medien- und Kommunikationsdienstleister. Heute bildet das Unternehmen in neun verschiedenen Berufen aus, um die Herausforderungen von Post- bis Prepress und die von digitalen und Verlagsdienstleistungen abdecken zu können. Ausbildung und die Entwicklung einer Unternehmenskultur von Verantwortung und Beteiligung sind für Stämpfli Schlüssel für ein erfolgreiches Druckunternehmen. Hierzu gehöre auch die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften.

Der letzte Tag des Treffens stand im Zeichen der aktuellen Entwicklungen der Bildung in Druck und Medien. Die Schweizer Teilnehmer/innen berichteten, dass die Ausbildungszahlen trotz starkem Rückgang der Gesamtbeschäftigten auf hohem Niveau gehalten wurden. Durch den in 2014 neu eingeführten Beruf des Interactive Media Designers sollen neue Betriebe im digitalen Sektor für die Ausbildung gewonnen werden. In Deutschland musste seit 2008 vor dem Hintergrund der Krise ein starker Rückgang der Ausbildung verzeichnet werden. Die Ausbildungsquote bleibt dennoch über dem Niveau anderer Branchen. In 2014 konnte dieser Rückgang nahezu gestoppt werden. Mit der Neuordnung der Druckberufe im Jahr 2011 wurde unter der Bezeichnung Medientechnologe/-in ein gemeinsamer Name für alle Druck- und Druckverarbeitungsberufe sowie für die Verpackungsbranche eingeführt. In Österreich ist die Zahl der Druckausbildungsverhältnisse sehr stark zurückgegangen. Die teilnehmenden Kollegen berichten von großen Problemen im Prüfungswesen aufgrund der regionalen unkoordinierten Aufgabenerstellung. Auf diesem Gebiet wurde eine länderübergreifende Zusammenarbeit angeregt. Generell wurde eine hohe Ausbildungsqualität als entscheidend für eine Zukunft der dualen Systeme angesehen. Nur so könne man gegen die Konkurrenz durch andere Bildungswege bestehen und die gegenwärtigen Umbrüche bewältigen.

 

v.l.: Hans Kern, Peter Florian Schütz, Christian Schuster, Rosmarie Schmid, Hans-Joachim Schulze, Anette Jacob, Thomas Hagenhofer, Dominik Dietrich, Angelo Zanetti

Alle teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen dankten den Verantwortlichen bei syndicom, insbesondere Hans Kern, für die Vorbereitung und Organisation des Treffens und die Zusammenstellung des spannenden Vortragsprogramms. Alle waren sich einig, dass dieser Austausch in Zukunft wieder regelmäßig stattfinden soll. In zwei Jahren wird der Austausch in Wien fortgesetzt.

Thomas Hagenhofer, Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien, Kassel

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden