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Der Fall muss untersucht werden

Ein Etappensieg für die Medienfreiheit: Das Bundesgericht bestätigte am 7. Juni, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft zu Unrecht das Verfahren gegen zwei Stadtpolizisten eingestellt hat, die den Foto-Journalisten Klaus Rózsa gewaltsam am Fotografieren ­gehindert und verhaftet hatten. 

 

Ein Jahr ist es her, da berichteten wir von einem Prozess am Bezirksgericht Zürich, der am 26. August vor Obergericht seine Fortsetzung finden wird. Aufgrund eines aktuellen Bundesgerichts-Urteils allerdings unter veränderten Vorzeichen. Die Geschichte, die diesem und mehreren noch hängigen Verfahren zugrunde liegt, ist grotesk.

Sie beginnt bereits vor der Jahrtausendwende und hat ihren Ursprung in Rózsas Versuchen, eine Dienstanweisung der Zürcher Stadtpolizei öffentlich zu machen, die bis im Oktober 2002 (bis zu einem anderen von Klaus Rózsa erstrittenen Bundesgerichtsurteil!) unter Verschluss gehalten worden war: Darin erhalten die Polizeibeamten Regeln, wie mit Presse­leuten vorzugehen sei, wenn diese Zeuge polizeilicher Aktio­nen werden. Die damals flugs ans Urteil angepasste Anweisung hält unmissverständlich fest, dass Fotos und Videos von Polizisten in der Öffentlichkeit gemacht werden dürfen. Die Beamten müssen sich das gefallen lassen – und zwar nicht nur von Presseleuten, sondern von jedem und jeder.

Wie wenig sich die Polizisten an die Anweisung halten, wird aus jener Begebenheit klar, die zum aktuellen Bundesgerichtsentscheid geführt hat: Klaus ­Rózsa, früher Präsident des Zürcher Gewerkschaftsbundes und des Sektors Presse der syndicom-Vorgängerorganisation comedia, war am 4. Juni 2008 beim kurz zuvor besetzten Zürcher Fussballstadion Hardturm Zeuge eines Polizei-Einsatzes geworden. Er fotografierte, was er für unverhältnismässig hielt: Polizisten, die mit Gummigeschossen auf die Besetzer zielten. Was danach geschah, lässt sich anhand der Aufnahmen aus seiner Kamera (siehe -Webseite) rekonstruieren: Rózsa wurde festgenommen, zu Boden gedrückt, in Handschellen gelegt. Dabei zog er sich verschiedene, aktenkundige Verletzungen zu. Es sind entwürdigende Szenen, die verständlich machen, weshalb der Pressefotograf die Polizisten später verklagte.

Doch die Zürcher Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein und im Gegenzug verklagten die beiden Stadtpolizisten den Foto-Journalisten, weil er sie bei einer Amtshandlung behindert und sich gegen die rüde Verhaftung zur Wehr gesetzt habe. Das Bundesgericht hat nun die Einstellung des Verfahrens gegen die beiden Polizisten als unstatthaft gerügt. Es verlangt, dass die Untersuchung wieder aufgenommen wird. Mehr noch: Die Lausanner Richterinnen und Richter halten auch nachdrücklich fest, dass die Verhaftung des Pressefotografen mindestens fragwürdig war. «Ohne dem Strafgericht vorzugreifen», schreiben die RichterInnen, «bestehen insgesamt Zweifel, ob die Festnahme und die damit verbundene Gewaltanwendung rechtmässig gewesen ist.» Von einem «klarerweise gerechtfertigten Verhalten» der Polizisten könne sogar «keine Rede sein», führt das Urteil weiter aus.

Ganz im Gegensatz zum Verhalten des Fotografen, der als Berichterstatter quasi verpflichtet war, mit der Kamera festzuhalten, was ihm vor die Linse geriet.

Es ist die Pflicht der Medienschaffenden, zu informieren

Das ist sogar in der Dienstanweisung für die Stadtzürcher Polizeikorps festgehalten: «Bei besonderen Anlässen, wie z. B. Demonstrationen, Umzügen und Ausschreitungen usw., besteht überdies ein öffentliches lnformationsinteresse», steht da. Und in der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ist eindeutig festgehalten, dass es die Pflicht von Medienschaffenden ist, sich auch gegen die Weisungen offizieller Organe für das Recht der Öffentlichkeit an der Wahrheit einzusetzen.

Auch das Bundesgericht nimmt die Frage auf, ob Klaus Rózsa verpflichtet gewesen wäre, den Befehl zu befolgen, das Fotografieren zu unterlassen und sich vom Ort des Geschehens zu entfernen. Nur wenn die «hautnahe Präsenz» des Fotografen polizeiliches Handeln «in schwerwiegender Weise» behindere, komme eine Einschränkung der Medienfreiheit in Frage, antwortet das hohe Gericht. Im konkreten Fall sei aber «unklar», ob ­Rózsa den Polizeieinsatz überhaupt behindert habe. Der Fotograf habe sich ausserdem mehrfach ausweisen wollen. Die Strafverfolger hätten diese Zeugenaussagen aber nicht zur Kenntnis genommen. Insgesamt fehlte den Beamten damit ein Rechtfertigungsgrund für die Verhaftung.

Wie sich das Urteil auf den Berufungsprozess auswirken wird, in dem sich Klaus Rózsa gegen die Polizisten verantworten muss, die ihn anklagen, weil er sich gegen die Verhaftung gewehrt habe, wird sich zeigen. Die Verhandlung ist öffentlich: Obergericht Zürich, 26. August, 8.00 Uhr, Grosser Saal.

Bundesgerichts-Urteil 1B_534/2012 vom 7. 6. 2013.

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