Artikel

Der neue GAV wird für alle Betriebe gültig sein

Nach dem Ja der Arbeitgeber stimmten auch die Branchenkonferenzen von syndicom und Syna dem Gesamtarbeitsvertrag in der grafischen Industrie zu. Er tritt am 1. Juli 2013 in Kraft. Die Mindest- und Lehrlingslöhne wurden erhöht, aber es gab auch Rückschläge. 

 

Sieben zähe Verhandlungsrunden waren dem ausgehandelten Kompromiss vorausgegangen, und auch an der syndicom-Branchenkonferenz vom 8. Juni war das Verhandlungsresultat nicht ganz unumstritten. Bei Syna hingegen war das Votum einstimmig. Den Ausschlag für die breite Zustimmung der Gewerkschaftsmitglieder aus der grafischen Industrie gab die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE), die jetzt beim Bundesrat beantragt wird. Damit führt ein über 20 Jahre dauernder Kampf der Gewerkschaften zum Erfolg.

Ausserdem werden die Mindestlöhne um 200 Franken erhöht, auch für die Lernenden konnten Verbesserungen erreicht werden. Verteidigt wurden zudem die 40-Stunden-Woche und die Nachtzuschläge in den Zeitungsdruckereien. Dennoch mussten im Verlauf der Verhandlungen auch Zugeständnisse gemacht werden, die empfindlich ­schmerzen.

So ist es in Akzidenzdruckereien jetzt – mit Zustimmung der Belegschaft – möglich, die 42-Stunden-Woche einzuführen. Und die Zuschläge für Nachtarbeit können hier auf bis zu 50 Prozent gesenkt werden.

Diese Pille war vor allem für einige Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie zu bitter, als dass man sie hätte schlucken können. In mehreren Voten erklärten sie an der syndicom-Branchenkonferenz im Berner Stade de Suisse, dass damit Tür und Tor für weitere Entlassungen geöffnet würden. Es sei ein schlechtes Signal, wenn ausgerechnet die DruckerInnen, die in den 70er-Jahren als Erste die 40-Stunden-Woche erkämpft hatten, einem Abbau ihres Gesamtarbeitsvertrags zustimmten.

Doch damals lief das Geschäft in den Druckereien hervorragend, antworteten die Befürwortenden: heute setze nicht nur die Digitalisierung dem Gewerbe hart zu, sondern auch die Verschiebung von Aufträgen ins billigere Ausland, die von Schweizer Medienunternehmen und zum Teil sogar von Staatsbetrieben praktiziert wird.

Vertragsloser Zustand ist gar keine Lösung

Gegen tausend Arbeitsplätze gehen in der grafischen Industrie Jahr für Jahr verloren. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, den seit Januar andauernden vertragslosen Zustand zu beenden. Zumal mit dem neuen GAV auch zahlreiche Verbesserungen eingeführt werden können. Für Ungelernte (ausser in der Buchbinderei) steigt der Mindestlohn auf 13 Mal 3800 Franken und für ausgelernte BerufseinsteigerInnen auf 4200 Franken. Lernende bekommen künftig den 13. Monatslohn garantiert und die Löhne im 1. und 2. Lehrjahr erhöhen sich um 50 Franken.

Mit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) werden die ausgehandelten Mindestlöhne auch für nicht vertragstreue Betriebe vorgeschrieben. Das Gesuch wird beim Bundesrat eingegeben und vom Seco bearbeitet. Die Umsetzung wird in etwa zwei Jahren erwartet.

Und in den Betrieben, die die Nachtzuschläge von 70 auf bis zu 50 Prozent senken können, weil sie keine Zeitungen drucken, gilt immerhin das Prinzip der Besitzstandwahrung: Einkommenssenkungen durch Zuschlagsreduktion müssen mit einer Erhöhung des Grundlohns oder einer monatlichen Ausgleichszahlung aufgefangen werden.

Als Gesamtpaket fand das Verhandlungsergebnis deshalb die breite Zustimmung der Branchenkonferenz. Zwei Drittel der Anwesenden stimmten für den neuen GAV, der somit am 1. Juli 2013 in Kraft treten kann.

syndicom und Syna bekräftigen gleichzeitig, dass der Strukturkrise andere Massnahmen entgegengesetzt werden müssen als eine Verlängerung der Arbeitszeit, mit der die Überkapazitäten in der grafischen Branche nur noch weiter erhöht werden.

Radouan Dekhissi, Tamedia, Centre d’impression (CIL), Bussigny

«Ich habe Ja gestimmt, denn ich erachte das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Viscom und der Gewerkschaftsdelegation als angemessenen Kompromiss zwischen den diametral entgegengesetzten Positionen und Forderungen der beiden Parteien. Unsere Hauptforderungen – die Einführung der Allgemeinverbindlichkeit und die Weiterführung des bestehenden GAV – wurden teilweise realisiert. Es gab eine Verbesserung bei den Mindestlöhnen, es wurde eine Kontrollinstanz eingeführt, und der Status quo bei den Zeitungsbetrieben bleibt gewahrt. Allerdings mussten zwei schmerzhafte, angesichts der wirtschaftlichen Lage bei den Akzidenzbetrieben aber unvermeidliche Zugeständnisse gemacht werden: Diese Betriebe, in denen nur sehr wenige Kolleginnen und Kollegen Nachtarbeit leisten, können die Nachtzuschläge senken und die Wochenarbeitszeit unter gewissen Bedingungen auf 42 Stunden erhöhen.»

Bruno Tettamanti, Dietschi AG Druck & Medien, Olten

«Ich habe mich der Stimme enthalten, denn ich bin zweigeteilter Meinung: Als Gesamtpaket ist das erzielte Ergebnis als gut zu bewerten. Insbesondere, weil nach unzähligen erfolglosen Anläufen die Allgemeinverbindlichkeit nun doch Einzug in unseren GAV finden wird, und diesmal auch die Arbeitgeber der AVE positive Aspekte abgewinnen dürften. Es ist zu hoffen, dass das zu einer Entspannung der schwierigen Situation in der grafischen Industrie führen wird.

Als Mitarbeiter einer Akzidenzdruckerei, in der die Arbeitsstunden erhöht und die Zuschläge gesenkt werden dürfen, kann ich aber nicht zufrieden sein. Hat man doch einmal mehr einen Teil der Errungenschaften aus früheren Zeiten preisgeben müssen. Leider!»

Caterina Anghileri, Rotografica sa, Bioggio

«Wie auch an anderen Orten wurde bei uns im Tessin die vertragslose Zeit seit Januar von einigen Arbeitgebern ausgenützt: mit Arbeitszeit­erhöhung und Kürzung der Zuschläge. Um dem Einhalt zu gebieten, gehen wir für den neuen GAV Kompromisse ein, die wir eigentlich nicht wollten. Was wir aber wollen, sind die wichtigen positiven Regelungen, die der neue GAV enthält, und wir kämpfen dafür, dass sie auch eingeführt und eingehalten werden.»

Jean-Pierre Bodrito, Rhône-Média, Sitten

«Ich habe Nein gestimmt, weil die von unseren Vätern hart erkämpften sozialen Errungenschaften in diesem Vertrag nicht gewahrt werden. Unsere Branchengewerkschaft – einst Leaderin und Vorbild in der Schweiz – setzt damit ein schlechtes Zeichen für den Rest des Landes. Nein auch deshalb, weil die Mindestlohnerhöhungen durch die Arbeitszeit­erhöhung auf 42 Stunden wieder aufgefressen werden.

Nein, weil Viscom den Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretären immer noch den freien Zutritt zu den Betrieben verwehrt, was einer Nichtanerkennung der Sozialpartnerschaft gleichkommt. Und schliesslich wird die Mitgliederwerbung noch schwieriger und unsere Stärke bei den nächsten Verhandlungen schwindet.»

Peter Reichen, Druckerei Hofer AG, Bern

«Ja, aber! Warum habe ich einem GAV mit Abbau zugestimmt? Weil es nicht noch mehr Abbau geben darf. Wozu die Patrons fähig sind, haben sie in den ersten Monaten dieses Jahres bewiesen. Kompromisse gehören zum Alltag, auch wenn sie unschön sind.»

Zuhanden des Kongresses schlug die Branchenkonferenz Roland Kreuzer zur Wiederwahl als Sektorleiter und Mitglied der Geschäftsleitung vor. Der Branchenvorstand wählt die Mitglieder des Zentralvorstandes und die Kongress-Delegierten.

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden