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Die Billigdrucker

Weil es dem eigenen Druckunternehmen schlecht geht, vergibt man Druckaufträge ins Ausland – oder so. Beispiele neoliberaler Hirngymnastik; oder weshalb in der Schweizer Druckindustrie Arbeitsplätze verloren gehen, während sich in den Chefetagen die Gewinne anhäufen.

 

Tamedia – eines der führenden Medien- und Druckunternehmen der Schweiz – lässt die Frauenzeitschrift «Annabelle» seit 2010 bei Stark Druck im süddeutschen Pforzheim drucken; ebenso die Wochenendbeilage «Friday» von «20 Minuten». Die TV-Programmzeitschrift «TV täglich», eine 50:50-Kooperation von Tamedia und Ringier – ebenfalls ein führendes Schweizer Medien- und Druckunternehmen –, druckt TSB Tiefdruck Schwann-Bagel in Oberschleissheim bei München.

 

Ringier greife vor allem in der Romandie «ab und zu auf ausländische Druckunternehmen zurück», antwortet Unternehmenssprecher Edi Estermann. So wurde im Frühjahr der Katalog des Automobilsalons Genf bei einem italienischen Unternehmen gedruckt. Als drittes führendes Schweizer Medien- und Druckunternehmen vergibt die NZZ den Druck ihrer Luxusbeilage «Z» an die Badenia Verlag und Druckerei GmbH in Karlsruhe (Deutschland), «NZZ Campus» an Graphicom in Vicenza (Italien) und «NZZ Chronik» an die Stark Druck in Pforzheim, wo die Zürcher Erzkonkurrentin (siehe oben) auch ihre «Annabelle» untergebracht hat.

 

Migros schliesslich – kein Druckunternehmen, aber aufgrund der hohen Auflagen eine der wichtigsten Kundinnen der Schweizer Druckbranche, die mit dem Slogan «das soziale Kapital» Unternehmenspolitik betreibt –, Migros vergibt die Druckaufträge für ihre Micasa-Kataloge und diverse Fachmarktangebote laut Unternehmenssprecher Urs Peter Naef «in den umliegenden Ländern».

 

Fragt man in den Unternehmen, ob denn die Qualität im Ausland besser sei, lautet die Antwort unisono: «Nein», diese sei in der Schweiz absolut vergleichbar. Ebenso einstimmig geben die Befragten an, dass die Wahl der ausländischen Druckereien aus finanziellen Gründen erfolgt sei: Im Ausland wird, nicht zuletzt aufgrund der Eurokrise, aber auch wegen der tieferen Lebenshaltungskosten und also der Löhne, billiger gedruckt als in der Schweiz. Dr. Urs Schweizer, Leiter Druck/Services NZZ und Mitglied der Unternehmensleitung, meint dazu lapidar: «Die Verlage vergeben die Aufträge nach wirtschaftlichen Kriterien; wenn die Schweizer Unternehmen nicht in der Lage sind, wettbewerbsfähige Preise zu machen, erfolgt die Vergabe ins Ausland.»

 

«Aus der Region, für die Region»?

«Wenn ich sehe, wie palettweise Prospekte aus Deutschland in unserer Druckerei angeliefert werden, damit wir sie den Zeitungen beilegen», erzählt ein leitender Druckerei-Angestellter, «dann klingen Werbesprüche wie ‹Aus der Region, für die Region› plötzlich wie Hohn.» Und ja, es sind die gleichen Anbieter, die sich beklagen, dass Schweizer jenseits der Grenze Lebensmittel kaufen, die ihre Werbung im billigen Ausland drucken.

 

Entsprechend empfindlich reagiert Migros auf unsere Nachfrage, ob es dem Unternehmen denn egal sei, dass wegen des Outsourcings der Druckaufträge in den letzten Jahren Hunderte Arbeitsplätze in der Schweiz verloren gingen: «Nein, das ist uns nicht egal!», antwortet Urs Peter Naef, aber: «Wir müssen unsere Effizienz steigern und unsere Kosten senken – damit wir weiterhin eine verlässliche Arbeitgeberin für unsere über 86 000 Mitarbeitenden sind und sie weiterhin von unseren hervorragenden L-GAV-Leistungen profitieren können.» Eine nur vermeintlich gewerkschaftskonforme Entschuldigung. Denn: Die effizienten Kostensenker, die letztlich nur die Portemonnaies der Firmenbosse füllen und dabei langfristig die Volkswirtschaft ausbluten, schneiden sich ins eigene Fleisch.


Selbstmörderische Angebote

Um die Konkurrenz auszubooten, wurden in ganz Europa immer schnellere, immer leistungsfähigere Druckmaschinen aufgestellt. Jetzt bräuchte es, um sie auszulasten, Aufträge in einem Umfang, den es schlicht nicht gibt. «Die Anbieter aus Österreich, Deutschland und Italien, die uns jetzt die Aufträge abjagen, machen dabei nur sich selbst kaputt», ist der befragte Druckerei-Angestellte überzeugt, «denn mit ihren Offerten lässt sich kaum das Papier bezahlen.» Geschweige denn anständige Löhne. Und während die Spirale weiter abwärtsgedreht wird, muss eine Druckerei nach der anderen schliessen. Doch statt die eigenen Unternehmen mit eigenen Aufträgen zu retten – was trotz desolater Situation mancherorts möglich wäre –, drucken sogar Tamedia, Ringier und NZZ immer häufiger im Ausland. Dass der Transport zusätzlich auf Kosten der Umwelt geht, fällt da schon kaum mehr ins Gewicht.

 

Statt umzudenken, beschwichtigt man sich und uns mit Aussagen wie: «Über 95 Prozent des gesamten Druckvolumens von Tamedia werden nach wie vor in der Schweiz gedruckt» (Unternehmenssprecher Christoph Zimmer), oder man zelebriert Selbstmitleid: «Wir erleben dies an unseren eigenen Betrieben, und notwendige Abbaumassnahmen sind immer sehr schmerzhaft» (Edi Estermann von Ringier). Dass die restlichen 5 Prozent des Tamedia-Druckvolumens aber mehr als eine Druckerei retten könnten und dass weniger Abbaumassnahmen notwendig wären, wenn im Inland gedruckt würde: Dies geht nur jenen in den Kopf, die in den Saltos der neoliberalen Denksysteme keine Kunststücke, sondern die Zuckungen eines untergehenden Konstrukts erkennen.

 

Nina Scheu

 

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