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«Die Drucker müssen wütend werden»

© Jens Friedrich
  • Resolution vom 30.06.2012 (PDF)
  • GAV-Dossier

Die syndicom-Branchenkonferenz der grafischen Industrie hat sich auf einen heissen Herbst vorbereitet. Denn die Arbeitgeber gehen mit einschneidenden Abbauplänen in die Verhandlungen über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag.

Niklaus Dähler, der Präsident des Branchenvorstands der grafischen Industrie, war überrascht. Mit so vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Konferenz hatte er nicht gerechnet. Schon gar nicht bei der drückenden Hitze in Bern an diesem Samstagmorgen, dem 30. Juni. Doch seine gut 60 Kolleginnen und Kollegen hatten wohl schon eine Vorstellung von dem, was auf sie noch zukommt. Die Hitze bot da eine Art Vorgeschmack, denn die Erneuerung des Ende Jahr auslaufenden Gesamtarbeitsvertrages, über die sie gut sieben Stunden debattierten, wird eine mehr als heisse Angelegenheit. Das ist sicher vorauszusagen, nachdem der Arbeitgeberverband Viscom auf seiner Jahresversammlung am 19. Juni seine Verhandlungsziele präsentiert hatte. Der neue GAV müsse den «unternehmerischen Handlungsspielraum stärken», hatte Viscom-Präsident Peter Edelmann gefordert.

Viscom-Verbandsdirektor Thomas Gsponer präzisierte, was die Arbeitgeber damit vor allem meinen: Verlängerung der Wochenarbeitszeit sowie Abbau der Zulagen für Nacht- und Schichtarbeit. Nur so sei der «schmerzhafte Strukturanpassungsprozess» zu meistern.

Die Krise
In diesem Prozess kommt es fast im Wochentakt zu Betriebsschliessungen und Entlassungen. Denn in ganz Europa haben die Druckunternehmen Überkapazitäten von rund 20 Prozent aufgebaut. Roland Kreuzer, der Leiter des Sektors Medien bei syndicom, konstatiert für die Schweizer Branche zwei zusätzlich erschwerende Entwicklungen. Einerseits einen massiven Einbruch der Werbung und der Stellenanzeigen in den Printmedien. Andererseits die Vergabe grosser und lukrativer Druckaufträge ins billigere Ausland. Konsequenz: Die Wertschöpfung der Schweizer Druckindustrie ging allein im letzten Jahr um 4 Prozent zurück. Und die Branche wird absehbar noch mehr bluten, im ersten Quartal dieses Jahres machte sie schon wieder 7 Prozent Minus. Aktuell beschäftigt sie noch 26 000 Frauen und Männer, davon 13 000 bis 15 000 in der Produktion.

Die Kannibalisierung

Das heisst: In den letzten zwanzig Jahren verschwand knapp die Hälfte der Arbeitsplätze. Dieser Abbau verlief linear. Das widerlegt an sich schon die Behauptung der Arbeitgeber, für die Schwierigkeiten der Branche sei ein zu üppiger Gesamtarbeitsvertrag verantwortlich. Trotzdem verlangen sie tief gehende Einschnitte. Und sie meinen es ernst. Den Eindruck gewann Niklaus Dähler bei Treffen der Arbeitsgruppe «Neue Wege», die die Sozialpartner Viscom, syndicom und Syna eingerichtet hatten, um ohne Verhandlungsdruck über die Zukunft des Gewerbes und der Arbeitsbedingungen zu reden. Die Arbeitgeber, so Dähler, rechneten in den nächsten Jahren mit weiterem Personalabbau. Den dadurch entstehenden Druck wollten sie zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nutzen. Sie hätten das alte Gewerkschaftsmotto – Friedenspflicht ja, aber nicht um jeden Preis – für sich übernommen. Dähler: «Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass die Viscom-Leute weniger Angst vor uns haben als davor, selber nicht zu überleben.» Es liege an den Beschäftigten, sich gegenüber den Arbeitgebern wieder mehr Respekt zu verschaffen. Noch vertritt der Verband ein gutes Drittel der 1800 Druckereien im Land. Noch ist damit «die Mehrheit der wichtigen Betriebe» (syndicom-Zentralsekretär Hans-Peter Graf) dem GAV unterstellt. Doch die Zahl der Verbandsmitglieder bröckelt. Ein Beispiel: Die Buag in Baden-Dättwil. Sie hat auf Ende Jahr ihre Verbandsmitgliedschaft gekündigt – und Graf bereits offen die ab Januar 2013 geltenden Anstellungsbedingungen erläutert: Die Erhöhung der Arbeitszeit auf 42,5 Stunden, ohne Lohnausgleich. Dazu die Kürzung der Zulagen für Nachtarbeit von 70 auf 30 und für Sonntagsarbeit von 100 auf 50 Prozent.

Eine moderne Arbeitsorganisation, heisst das im Arbeitgeberjargon. Absurd: Mit der Arbeitszeitverlängerung wird weitere Kapazität aufgebaut, während die Arbeit abnimmt. Und ins Ausland abwandernde Aufträge sind so auch nicht zurückzugewinnen. Auch dort werden die Lohnkosten weiter gedrückt, und die Krise des Euro, der gegenüber dem Franken in den letzten fünf Jahren an die 25 Prozent verlor, ist noch lange nicht überstanden. Kreuzer: «Mit Lohnsenkungen ist das jedenfalls nicht auszugleichen.»

Gleiche Arbeitsbedingungen, gleicher Lohn

Unternehmen wie die Buag und andere Vertragsflüchtlinge suchen ihr Heil in einer Kannibalisierung der Branche. Zu verhindern ist das letztlich nur durch zwingend gleiche Arbeitszeiten, Löhne und Zuschläge in der gesamten Branche. Die Hauptforderung der Gewerkschaft in den anstehenden Vertragsverhandlungen ist deshalb eine Erneuerung des bestehenden GAV und seine Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Graf und die anderen Branchenverantwortlichen der Gewerkschaft können sich allerdings kaum vorstellen, dass der Arbeitgeberverband ohne weiteres von seinen Abbauplänen abrückt. Denn ganz offenbar wollen alle industriellen Arbeitgeber die Krise nutzen, um Zugeständnisse der letzten Jahrzehnte wieder einzukassieren. Im Herbst wird auch der Gesamtarbeitsvertrag der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) neu verhandelt. Das ist immer noch der Leitvertrag der Schweizer Industrie und die dortigen Arbeitgeber spielen gerne die Fähnleinführer. Das Abbauprogramm ihres Verbandes Swissmem ähnelt denn auch so sehr den Forderungen von Viscom, dass es schwer fällt, an einen Zufall zu glauben.

Die Branchenkonferenz hat sich ebenfalls auf den grossen Krach vorbereitet und für den Fall grundsätzlicher Neuverhandlung einen eigenen Forderungskatalog aufgestellt. So soll es keine Stundenlöhne unter 22 Franken mehr geben, aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sollen einen besseren Kündigungsschutz erhalten. Die Sozialpartner sollen ein Modell für die Frühpensionierung ab 62 ausarbeiten und die Lohngleichheit von Männern und Frauen kontrollieren. Schliesslich sollen Lernende komplett dem GAV unterstellt werden und besser bezahlt werden.

Die Verhandlungen beginnen am 20. September, zwei Tage vor einer nationalen Demonstration für den Erhalt des Werkplatzes Schweiz, zu der die Gewerkschaften Unia und syndicom gemeinsam aufrufen. «Wir müssen den Druckern klar machen, was auf dem Spiel steht», bilanzierte Dominik Dietrich, der Ostschweizer Regionalsekretär. «Ihnen droht ein Verlust an Lebensqualität, den die Gewerkschaft allein nicht verhindern kann. Die Drucker müssen wütend werden, dann kommen sie auch zur Demonstration.»

Michael Stötzel, freier Journalist in Zürich

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