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Die Jagd nach Primeurs hat ihre Tücken

Primeurs und Enthüllungen oder alles nur heisse Luft? Am 22. Berner Medientag diskutierten mehr als 100 Journalistinnen und Journalisten, Kommunikationsleute und Lobbyisten über die Sonntagspresse, den Medienplatz Bern und das Verhältnis zwischen Politik und Journalismus. Nick Lüthi*

Nie ist die Konkurrenz grös­ser: Fünf nationale und immer mehr regionale Sonntagszeitungen wollen am Wochenende mit exklusiven Meldungen aufwarten. Doch die Jagd nach Primeurs und Exklusivmeldungen ist heikel: Mangels Tagesaktualität nährt sich der Journalismus am Sonntag noch stärker als unter der Woche von Indiskretionen aus Politik, Verwaltung und Lobby. In der Aula des Progr in Bern plädierte NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler am Medientag für die Nachhaltigkeit der Artikel in der Sonntagspresse. Zu oft würden Geschichten spätestens tags darauf entschärft oder gar widerlegt und fielen so in sich zusammen. Ihr würden zwar immer wieder Geschichten von Kommunikationsleuten angeboten, erklärte Sarah Nowotny, Bundeshausredaktorin «NZZ am Sonntag», aber diese seien oft nicht zwingend die besten. Häufig bilde ein solches Angebot jedoch einen Rechercheansatz, woraus wiederum eine neue Geschichte entstehen könne. Dem pflichtete ihr Konkurrent Joël Widmer, Bundeshausredaktor der «Sonntagszeitung», bei: «In letzter Zeit habe ich mehr Geschichten verworfen als übernommen.» Manchmal versuche man auch, Organisationen zu bewegen, eine Medienkonferenz an einem Freitag abzusagen, damit man stattdessen die Geschichte exklusiv am Sonntag im eigenen Blatt erzählen könne. Wer als Kommunikationsexperte die Berichterstattung mit gesteckten Geschichten auszurichten versuche, laufe Gefahr, das Gegenteil zu bewirken, warnte Roland Binz, Spezialist für Krisenkommunikation und Ex-Konzernsprecher der SBB. «Im Zeitalter der Transparenz sollte man stattdessen auf Dialog mit allen Zielgruppen setzen», betonte er. Dieselbe Meinung vertrat Martin Schläpfer, Leiter der Direktion Wirtschaftspolitik der Migros. Trotzdem riet er den PolitikjournalistInnen, ihren Standort nach Bern zu verlegen. Nur so sei man nahe am Geschehen und könne auch mal informell mit jemandem sprechen. Barbara Ritschard, Ex-Stabsmitarbeiterin von Moritz Leuenberger, warnte die JournalistInnen vor versteckten Interessen. Vielfach gelinge es nicht, Indiskretionen genügend zu durchleuchten.

Der Berner Medientag fand zum 22. Mal statt. Organisiert wird er von einem Komitee der Berufsorganisationen Impressum, syndicom, SSM und BPRG, die den Anlass auch finanziell unterstützten.

* Nick Lüthi ist Redaktor von «medienwoche.ch».

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