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Die Richtung stimmt

Bundesrat und Parlament wollen, dass die Vereinbarkeit von Beruf oder Ausbildung und Familie Eingang in die Verfassung findet. Der neue Verfassungsartikel zur Familienpolitik ist sicher kein Wundermittel, aber auf jeden Fall ein erster konkreter Schritt in die richtige Richtung. Und diesen gilt es aus Frauen- und Männersicht definitiv zu unterstützen. 

Es gibt immer mehr Familien, bei denen beide Elternteile berufstätig sein wollen oder sein müssen. Die Herausforderungen für solche Familien, die Betreuung der Kinder und den Beruf unter einen Hut zu bringen, sind enorm. Leider sind die Schwierigkeiten oft auch gänzlich unüberwindbar, sodass sich meist die Mütter – notgedrungen – aus dem Erwerbsleben zurückziehen.

Der Schweizer Arbeitsmarkt verliert damit gut qualifizierte Fachkräfte. Für die Frauen bedeutet der Rückzug aus der bezahlten Erwerbsarbeit meist auch den Verlust der finanziellen Unabhängigkeit und im Alter massive Renteneinbussen.

Bundesrat und Parlament sind sich einig, dass die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf (aber auch Ausbildung) und Familie verbessert werden müssen.

Mehr lebensqualität

Es soll einfacher werden, Kinder zu haben und gleichzeitig berufstätig oder in Ausbildung zu sein. Dazu braucht es mehr Krippenplätze, Mittagstische oder andere Tagesstrukturen. Von der besseren Vereinbarkeit profitieren die betroffenen Mütter und Väter sowohl finanziell wie auch in ihrer Lebensqualität. Aber auch die Wirtschaft gewinnt: Einerseits stehen mehr Fachkräfte zur Verfügung, die heute dringend gebraucht werden. Andererseits wird auch der Know-how-Verlust reduziert, der entsteht, wenn vor allem Mütter ihren Job aufgeben.

Da die heutige Verfassungsgrundlage nicht genügt, um die Situation konkret zu verbessern, wollen Bundesrat und Parlament die Verfassung mit einem zusätzlichen Artikel «Familienpolitik» ergänzen. Der neue Artikel verpflichtet Bund und Kantone, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Ausbildung zu fördern. Die Zuständigkeit liegt bei den Kantonen, die für ein ausreichendes Angebot an ausserfamiliären und schulergänzenden Kinderbetreuungsplätzen sorgen müssen. Wie die Kantone diese Aufgabe erfüllen möchten, entscheiden sie selber. Ebenso liegt es im Ermessen der Kantone, das entsprechende finanzielle Engagement zu definieren. Eltern können aufgrund des Verfassungsartikels keinen Anspruch auf einen Betreuungsplatz geltend machen und ebenso wenig gezwungen werden, ihr Kind in eine Krippe zu schicken.

Wenn aber ein Kanton die Vereinbarkeit von Beruf bzw. Ausbildung und Familie ungenügend fördert, das heisst, wenn er zu wenige Anstrengungen in dieser Hinsicht unternimmt, und wenn dann auch die privaten Angebote nicht ausreichen, wird der Bund aktiv. Der Bund gibt sich mit dem neuen Verfassungsartikel die Kompetenz, direkt einzugreifen, z. B. indem er Kantone dazu verpflichtet, eine bestimmte Anzahl Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen, oder indem er selber Massnahmen ergreift.

Die Gegner dieses neuen Verfassungsartikels «Familienpolitik» argumentieren polemisch mit «explodierenden Staatskosten». Diese Interpretationen der Folgen einer Annahme des Artikels sind nichts als Panikmacherei. Erst wenn der Verfassungsartikel angenommen ist, wird mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzes begonnen. Und erst die definitive Ausgestaltung dieses Gesetzes wird bezifferbare Kosten zur Folge haben. Auch die effektive Sanktionskompetenz des Bundes gegenüber den Kantonen wird erst über ein Gesetz im Detail definiert.

Es ist ausserdem zu sagen, dass es bereits heute Kantone gibt, die einen derartigen Passus in ihrer Kantonsverfassung verankert haben. So zum Beispiel Basel-Stadt, wo die Verfassung gewährleistet, dass allen Eltern innert angemessener Frist zu finanziell tragbaren Bedingungen eine staatliche oder private familienergänzende Tagesbetreuungsmöglichkeit für ihre Kinder – nach deren Bedürfnissen – angeboten wird. Die Familien in Basel schätzen und würdigen dies, wie Befragungen ergeben haben. Und bekanntermassen stimmt der Staatshaushalt des Kantons bestens.

Keine Garantie, aber …

Trotzdem: Weder ein Verfassungsartikel noch ein entsprechendes Gesetz zu seiner Umsetzung garantieren, dass jeder Mutter und jedem Vater ein bezahlbarer oder voll subventionierter Krippenplatz zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung steht. So, wie auch der Verfassungsartikel zur Gleichstellung der Geschlechter und das Gleichstellungsgesetz bisher nicht zur tatsächlichen Lohngleichheit geführt haben.

Und doch ist die Abstimmung über den Bundesbeschluss über die Familienpolitik wegweisend: als erster konkreter Schritt für die bessere Vereinbarkeit von Betreuungsaufgaben und Beruf oder Ausbildung. Als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter setzen wir uns für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Der Bundesrat will nun endlich eine erste konkrete Hürde nehmen.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB und zudem die meisten Parteien heissen diesen Schritt gut und haben die Ja-Parole beschlossen.

Aus Sicht der Frauen – aber auch für die vielen jungen Männer, die ihre Kinder nicht nur am Sonntag betreuen wollen – sage ich persönlich am 3. März auch klar Ja zum Bundesbeschluss über die Familienpolitik.

* Toya Krummenacher ist Zentralsekretärin Frauen/Migration/Freischaffende.

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