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Digitalisierung passiert nicht einfach

An der Jugendkonferenz 2016 diskutieren wir mit dem Basler Soziologen Peter Streckeisen die Chancen und Risiken der technologischen Neuerungen in der Arbeitswelt. Hier stellt er seine Positionen vor. 

 

syndicom: Studien sagen, dass mit der Digitalisierung 50% der Arbeitsplätze wegfallen, andere kommen zum Schluss, dass mehr Jobs entstehen, als vernichtet werden. Wie schätzen Sie als Forscher die Situation ein?

Peter Streckeisen: Das ist eine schwierige, aber keine neue Frage. Wenn man zurückschaut, war die Ersetzung menschlicher Arbeit durch Maschinen immer eine Diskussion. Die hochgezogenen Erwartungen oder Befürchtungen, dass es keine Arbeit mehr für uns gibt, weil die Maschine alles erledigt, haben sich in der Geschichte nie bewahrheitet. Es sind immer auch neue Formen von Arbeit entstanden. Es gibt aber zweifellos Bereiche, wo die Beschäftigung stark zurückgehen kann.

Lohnarbeit ist das prägende Modell unserer Zeit. Bleibt die 40-Stunden-Woche?

Die Ausbreitung der Lohnarbeit ist erst jetzt auf ihrem Höhepunkt angelangt. Es ist neu, dass die grosse Mehrheit als Lohnabhängige angestellt sind. In der Schweiz beträgt ihr Anteil 90%. Ich glaube nicht, dass die Lohnarbeit stark zurückgedrängt wird. Es gibt aber einen Trend zur Flexibilisierung und Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen. Das Standardmodell Vollzeitbeschäftigung mit unbefristeter Anstellung, gutem Lohn und sozialer Absicherung ist auf dem Rückgang. Prekarisierung bedeutet, dass für immer mehr Menschen mit einem Job die ökonomische und soziale Situation ungewiss ist. Da spielen nicht nur technologische, sondern auch kulturelle oder gesellschaftliche Veränderungen. Prekarisierung und Flexibilisierung sind Prozesse, von denen heute die Mehrheit der Beschäftigten in irgendeiner Weise betroffen ist.

Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Gesellschaft?

Sie verändert unsere Gesellschaft grundlegend, man reduziert das zu oft auf die technischen Faktoren. Denken Sie nur an unser Kommunikationsverhalten: Einige sehen eine neue Kreativität, andere warnen vor immer mehr Überwachung. Die Digitalisierung hat schon sehr weitreichende Auswirkungen.

Was bedeutet das für junge Berufsleute?

Ich habe Computer erst im Studium kennengelernt. Jüngere sind ganz anders sozialisiert. Sie haben da unter Umständen ein höheres Kompetenzniveau als ihre Vorgesetzten. Für junge Berufsleute ist das eine interessante Konstellation, die aber auch missbraucht werden kann. Wenn Lehrlinge zum Beispiel im Informatikbereich Dinge übernehmen, die nicht als Qualifikation in ihrem Berufsfeld anerkannt werden.

Wie lässt sich die Digitalisierung positiv gestalten? Haben Sie Forderungen an die Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften?

Ich kann nur sagen: Digitalisierung passiert nicht einfach, Digitalisierung wird gemacht. Wir müssen wegkommen von der Idee, dass wir nichts tun können. Die Frage ist doch: wer steuert, wer hat die Macht? Es sind Konzerne wie Google, Facebook oder Apple. Aber auch politische Behörden haben Macht. In Bezug auf die Arbeitswelt wäre mehr Weiterbildung zu fordern, aber auch zu verhindern, dass diese Techniken eingesetzt werden, um Beschäftigte zu kon­trol­lieren und zu steuern. Heute findet eine starke Konzentration von Macht statt. Die US-Regierung beispielsweise hat extreme Macht im Bereich der Digitalisierung, weltweit. Die Bevölkerung, die Gewerkschaften oder Parteien sind relativ machtlos – daran müsste sicher etwas geändert werden. Gleichzeitig sehen wir, dass diese digitalisierte Welt auch neue Formen von Kritik und Widerstand ermöglicht. Hackerangriffe oder Wikileaks sind nur Beispiele dafür. Das ist keine zentralisierte Gegenmacht, sondern eher ein System, das Sand ins Getriebe streut – eine interessante neue Form von Widerstand.

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