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Ein Verdikt von grosser Bedeutung

Die Entlassung der beiden Journalisten bei Radio Fr war missbräuchlich. Zu diesem Schluss kommt nun auch das Bundesgericht. Kommentar von Stephanie Vonarburg, Zentralsekretärin Branche Presse und elektronische Medien, zum Schutz von Personalvertretungen.

 

Kommentar zum Urteil des Bundesgerichts vom 7. Juli 2014

Zuerst mal für die zwei betroffenen Journalisten. Für André Hügli und Jean Godel ist es eine grosse Genugtuung, dass bestätigt wird: ihr Engagement für die Anliegen des Personals von Radio Fr (Radio Freiburg und Radio Fribourg) war rechtens. Sie hatten sich 2010 in einer turbulenten Zeit nach dem Weggang des deutschsprachigen Co-Direktors, der nach dem Willen des Verwaltungsrat nicht ersetzt werden sollte, in einer von der Redaktion bestimmten Personaldelegation für eine Verständigung mit dem Arbeitgeber eingesetzt. Der Konflikt eskalierte, der Arbeitgeber blieb stur und entliess die beiden Journalisten. Diese Kündigungen waren missbräuchlich, bestätigt jetzt auch das Bundesgericht.

Das kommt den kleinen Sender teuer zu stehen. Nicht nur wegen der zwei Monatslöhne, die er ihnen bezahlen muss, sondern wegen den beidseitigen Anwaltskosten für alle drei Instanzen plus den Gerichtskosten. Und wegen des Reputationsschadens.

Nur: den betroffenen Arbeitnehmern hilft es wenig, wenn sie über 4 Jahre lang prozessieren müssen, um zu ihrem Recht zu kommen. Auch wenn die Gewerkschaft da ist, und die Kollegen unterstützt, mit Rat, Tat und Rechtsschutz.

Denn das macht der Fall eben auch deutlich: in der Schweiz ist der Kündigungsschutz für PersonalvertreterInnen völlig unterentwickelt. Die Arbeitnehmenden, die sich für die Anliegen des Personals einsetzen, müssen das ohne Angst vor Sanktionen tun können. Nur so ist ein Dialog und sind Verhandlungen auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber möglich.

Deshalb ist es richtig, dass sich die Gewerkschaften unter der Leitung des SGB weiter dafür einsetzen, damit der Kündigungsschutz endlich gesetzlich verbessert wird. Personalkommissionen sind auch für die Redaktionen wichtig. Das haben die kollektiven Konflikte der letzten Jahre gezeigt: Wenn funktionierende, engagierte, unerschrockene Personalkommissionen sich in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ins Zeug legen, bringen wir die Interessen der ArbeitnehmerInnen in den Medien weiter. Auch dafür braucht es Garantien, auch dafür braucht es einen GAV.

Stephanie Vonarburg / 3.9.14

 

 

3 Fragen an LUCA CIRIGLIANO, Zentralsekretär des SGB

Das Bundesgerichtsurteil im Fall Radio Freiburg (siehe nebenstehend) reiht sich ein in den Rahmen des Kampfs für den Schutz vor anti-gewerkschaftlichen Kündigungen. Die Gewerkschaftsfreiheit und deren Ausübung sind durch Artikel 28 der Bundesverfassung anerkannt. Ausserdem hat die Schweiz das Übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes und das Übereinkommen Nr. 98 über das Vereinigungsrecht und die Kollektivverhandlungen ratifiziert. Interview mit dem Experten dieses Dossiers beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), Luca Cirigliano.

syndicom, die Zeitung: Das Bundesgericht hat anerkannt, dass die Kündigungen bei Radio Freiburg missbräuchlich waren. Ist dieses Urteil also ein Sieg?
Luca Cirigliano: Es ist ein Sieg. Es ist wichtig zu sehen, dass die Mechanismen von Gesetz und Rechtsprechung funktionieren. Es ist wichtig, dass die Justiz Artikel 336 des Obligationenrechts korrekt anwendet. Dieser besagt, dass Personalvertreter Anspruch auf den notwendigen Schutz haben, um sich für die Arbeitnehmer zu engagieren, ohne Sanktionen ihres Arbeitgebers befürchten zu müssen.

Wird dieses Urteil den Schutz der Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter verbessern?
Ja, obwohl es vor allem bestätigt, dass die Justiz und Gesetzesanwendung gut funktionieren. Es ist auch das Ergebnis eines grossen Engagements der Gewerkschaften, die diese Fälle vor den Gerichten vertreten und sie bei Rekursen der Arbeitgeber bis in die letzte Instanz bringen. Dieser Fall gehörte zu denjenigen, die im September 2012 bei der Reaktivierung der Klage des SGB gegen die schweizerische Regierung vor der ILO angeführt wurden.

Reicht dieses Urteil nicht aus, damit der SGB seine Klage bei der ILO zurückzieht?
Nein, denn dieser Fall zeigt auch die Grenzen des heutigen Gesetzes auf. Es ist fraglich, ob eine Entschädigung in Höhe von rund zehntausend Franken in einem solchen Fall wirklich ausreicht. Die ILO hatte die Schweiz angeregt, sich am Gleichstellungsgesetz zu orientieren, das eine Wiedereinstellung bei festgestellter missbräuchlicher Kündigung vorsieht. Die ILO sagt klar, dass missbräuchliche Kündigungen von Gewerkschaftsvertretern annulliert werden müssen oder die Sanktion wirklich abschreckend sein muss: 2 bis 6 Monatslöhne (im besten Fall und sehr selten) sind nicht gerade viel. Das Schweizer Recht entspricht in diesem Bereich noch nicht den internationalen Normen. (Yves Sancey)

 

 

Der lange Weg der Klagen vor der ILO
Seit über zehn Jahren spielen Gewerkschaften und Bund Pingpong darum, dass eine Klage vor der ILO betreffend den Schutz vor missbräuchlichen Kündigungen zu einer entsprechenden Verbesserung der Schweizer Gesetzgebung führt. Nach einer Klage des SGB im Jahr 2003 hatte der Ausschuss für Gewerkschaftsfreiheit des Internationalen Arbeitsamts (IAA) die Schweiz gebeten, ihre Gesetzgebung dem ILO-Übereinkommen Nr. 98 anzupassen, das einen solchen Schutz vorsieht.

Der Bundesrat übernahm die Haltung der Arbeitgeberseite, die eine solche Anpassung zurückwies. Verschiedene Anläufe für eine Revision des Obligationenrechts – die dazu führten, dass der SGB die Klage 2009 einfrieren liess – scheiterten oder verschwanden wieder in der Schublade. 2012 hat der SGB seine Klage nach chronischen Verstössen deshalb reaktiviert. Nach Entlassungen während eines Streiks (La Providence in Neuenburg) reichte die Gewerkschaft vpod eine weitere Klage ein. Zwei im Auftrag des Bundes durchgeführte Studien der Universität Neuenburg werden in den nächsten Monaten sicherlich neue Impulse verleihen. Andernfalls wird die Schweiz eines der wenigen europäischen Länder bleiben, das den verbindlichen Empfehlungen der ILO nicht Folge leistet. (Yves Sancey)

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