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Eine Drucker-Biografie

90 Jahre alt wird Adolfo Wernli heute. Geboren am 19. April 1923, ist er seit 70 Jahren Gewerkschaftsmitglied. Seit 60 Jahren lebt er im Tessin. Nur schon über die vielen Veränderungen in seinem Beruf als Drucker, die dieser Kollege im Lauf der Jahre miterlebt hat, könnte man ein Buch schreiben. 

Mit klarem Geist und leuchtenden Augen beginnt Adolfo Wernli aus seinem Leben zu erzählen, das in Wohlen im Kanton Aargau begann: In den Zwanzigerjahren war das eine konservativ-religiöse Hochburg, nur etwa 10% der Leute gehörten zu den «bösen Roten». Die politische Zugehörigkeit der Eltern ebnete oder erschwerte Jugendlichen den Bildungsweg. So wurde für Adolfo, damals noch «Adolf», nach der Schulzeit die Berufswahl zu einem schwierigen Unterfangen, erst nach langer Suche gelang es dem Vater, ihm eine Lehrstelle in einer Druckerei zu besorgen. Gleich am ersten Arbeitstag wurde ihm der Vertrauensmann des Typographenbundes (aus dem durch verschiedene Fusionen die heutige Gewerkschaft syndicom wurde) vorgestellt. Alle mussten damals Mitglied einer Gewerkschaft sein, «und wenn ich Gewerkschaft sage, meine ich eine der linken», fügt Adolfo an. Er gehörte zur Lehrlingssektion des Typo­graphenbundes. Dessen Mitglieder mussten 50 Rappen pro Woche zahlen – von einem Wochenlohn, der im ersten Lehrjahr 4 Franken betrug. Jedes Jahr wurde der Lohn um weitere 4 Franken erhöht. Es herrschte die 6-Tage-Woche, und die Wochenarbeitszeit betrug 48 Stunden. «Ich wurde 1943 als arbeitendes Mitglied aufgenommen. Somit bin ich seit 70 Jahren Gewerkschaftsmitglied», sagt Adolfo Wernli stolz.

Buchdruck als Spezialgebiet

Nach der Arbeit setzten sich die Kollegen beim Bier zusammen und sprachen über Arbeit und Politik. «Das war ganz normal, es wurden keine besonderen Pläne gemacht; und es war schön, denn so entstand ein starkes Gruppengefühl.» Auch wenn er zufällig Drucker wurde, gefiel ihm immer vieles an diesem Beruf, der Kontakt mit interessanten Menschen und sein Beitrag zur Entstehung von Büchern. Im Buchdruck wurde er zur fachlichen Ansprechperson für die Büchergilde Gutenberg.

1952 wurde ihm völlig überraschend eine Stelle im Tessin angeboten. Nachdem er den Betrieb mit seinen eindrücklichen, modernen Maschinen gesehen hatte, war seine Entscheidung klar. Nur drei Monate später kam er mit seiner Frau ins Tessin und nahm die Arbeit bei ­Picciotti in Bioggio auf. Die Firma hatte einen auf Cellophan­druck spezialisierten Druckmaschinisten gesucht, damals ein spezielles, neues Verpackungsdruckverfahren. Man musste geschickt und genau sein. Die Farbe konnte das Material nicht durchdringen und trocknete schlecht. Darum wurde Fliesspapier zwischen die Schichten gelegt, bevor man das Ganze in 20er-Bündeln 24 Stunden trocknen liess. Adolfo verstand damals kein Wort Italienisch, aber die Arbeiterinnen in der Druckerei, die die Bogen einzeln von Hand in die Druckmaschinen legten, schlossen ihn ins Herz und halfen ihm. Viel Hilfe erhielt er auch von der Gewerkschaft, die ihm einen Kollegen zur Seite stellte, der ein bisschen Deutsch konnte.

Die Gewerkschaft half sogar beim Hausbau

Es war kein Zuckerschlecken, auch, weil die Kollegen ihn zunächst als «Arbeitsplatzräuber» sahen. Trotzdem begann er vom Bau eines eigenen Hauses zu träumen. Mit Geld, das er in der Vorsorgekasse der Gewerkschaft angelegt hatte, kaufte er zunächst ein Grundstück. Darauf errichtete er sein Traumhaus. «Wenn ich denke, dass ich das Grundstück für Fr. 10.50 pro Quadratmeter kaufte und dass sein Wert bereits zwei Jahre später bei 100 Franken lag ...»

Das Leben dieses Kollegen war auch voll von ausserberuflichen Interessen, zum Beispiel für die Leichtathletik. Er nahm an vielen Wettkämpfen teil und gewann dabei auch einige Kränze. Leider musste er nach einem schweren Unfall aufhören, doch er machte als Trainer weiter. Mit Stolz erzählt er, dass er mehrere Schweizer Meister ausgebildet hat, einer erzielte sogar in Lugano den Weltrekord im Weitsprung. Im Sport arbeitete Adolfo viel mit Jugendlichen, aber auch im Beruf, wo er lange Zeit Lehrlinge ausbildete.

Eine zweite Familie

Ich frage ihn, warum er in der Gewerkschaft geblieben ist, nachdem er zu arbeiten aufgehört hat. Die Frage scheint ihn zu überraschen; für ihn war das immer klar. «Um mit meinen Kollegen in Kontakt zu bleiben, aber auch, weil die Gewerkschaft mich in ihre Tätigkeit einbezogen hat, indem sie mich zum Beispiel als Vertreter des Tessins in die Nationale Kommission entsandt hat. In all den Jahren hat die Gewerkschaft mich immer begleitet, und ich empfinde sie als zweite Familie.» Dann alles Gute zum Geburtstag, Kollege Adolfo, und danke, dass du dich immer für die Rechte deiner Kolleginnen und Kollegen sowie für den Nachwuchs eingesetzt hast.

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