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Eine Viertausendernote

Es ist 23 Jahre her, dass du als Holzfäller bei einem Patron gearbeitet hast, der dir 16 Franken die Stunde bezahlte. Du schaust auf dein Lohnblatt vom März 1991: «Stunden 166,5 × 16,00 = 2664,00 CHF». Das war der Bruttolohn. Damals warst du 28. Du warst frisch verheiratet, die Krankenkasse kostete dich nur 105 Franken pro Monat, mit einer Hunderternote konntest du den Supermarktwagen mit Lebensmitteln füllen. Du wohntest in der Stadt, du hattest kein Auto, du bist gependelt, jeden Tag, mit Velo und Zug, bis zum Bahnhof, der dem Einsatzort am nächsten lag. Der Kleinlaster, gefahren vom Gruppenchef, sammelte euch, dich und deine Arbeitskameraden, an verschiedenen Orten ein, um 7 Uhr morgens wart ihr alle im Wald, die Kettensäge in der Hand. Du bist fast ein Jahr bei diesem Patron geblieben, dann hast du deinen Beruf gewechselt, du bist Trolleybus-Chauffeur bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben geworden, du hast so die langen täglichen An- und Rückreisen vermieden, und du warst besser bezahlt. Während zwei Jahren warst du Chauffeur und gleichzeitig Student an der Universität, und in der Wirtschaftswissenschaft hast du gelernt, dass der Wert des Geldes sich alle 20 Jahre um die Hälfte verringert. Was du dir seinerzeit mit den 2664 Franken hast leisten können, das kannst du dir jetzt nur mit 5328 Franken leisten. Du weisst nicht mehr, was heute ein Holzfäller im Monat verdient, du bist Buschauffeur geblieben und du weisst, dass die, die in diesem Beruf anfangen, weniger als 5000 Franken brutto im Monat verdienen.

Der Universitätsprofessor hatte recht: Heute kostet dich deine Krankenkasse 441 Franken im Monat, sie ist viermal teurer als vor 23 Jahren. Mit einer Hunderternote kannst du heute keinen Supermarktwagen mit Lebensmitteln füllen. Das Geld verliert an Wert, und die Löhne der Arbeiter halten nicht stand, die Löhne der Kader bleiben korrekt, und die Boni einiger Banker lassen dich denken, dass sie in Büros arbeiten, die jemand auf dem Planeten Mars eingerichtet hat.

Ja, es ist normal, einen Mindestlohn von 4000 Franken brutto im Monat für die Frauen und Männer zu verlangen, die, in welchem Sektor auch immer, Vollzeit arbeiten. Du tauchst mental ins Leben einer dieser Personen ein, die nicht weiss, wie sie die Kosten des Zahnarztes oder des aus­serschulischen Musikunterrichts für die Kinder berappen soll, und du findest das nicht gerecht. Die Schweiz ist ein reiches Land, sie muss ihre Armen nicht in Slums einsperren. Die Schweizer respektieren die Mittellosesten unter ihnen, und sie haben keine Angst, mit den Patrons und den Politikern zu diskutieren.

Du stellst dir vor, dass die Schweizerische Nationalbank bereits in einigen Monaten eine neue Banknote, die ­VIERTAUSENDERNOTE, lancieren wird. Auf dieser Bank­note lächelt dir das Gesicht der jüngsten Bundesrätin entgegen. Diese Banknote wird rot sein. Und weiss, denn Hunderte von weissen Kreuzen sind eingestreut. Und irgendwo, in allen nationalen Sprachen, wird auf dieser Banknote ein Satz aufgedruckt sein: «Die Schweiz ist kein Lohngefängnis, für keine Gruppe ihrer Bürgerinnen und Bürger.»

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