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Einmal verkauft – immer verkauft

Schon seit 2012 verhandelt eine Handvoll Länder – vor allem aus dem ­reichen Norden – in Genf ein Abkommen über den grenz­überschreitenden Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TISA). Erklärtes Ziel ist, den Handel mit Dienstleistungen international zu privatisieren und zu deregulieren. Auch den gesamten Service public: von der Schule bis zum Strafvollzug, von der Stromversorgung bis zum Altersheim, vom Wassernetz bis zu den Spitälern. Wie würde TISA die Schweiz verändern? Alles würde kommerzialisiert.

TISA versus Lex Koller

Ein Beispiel. Im Juni hat Bundesrätin Sommaruga angekündigt, sie werde die Lex Koller überarbeiten mit dem Ziel, Schlupflöcher und Gesetzeslücken zu schliessen. Wäre das TISA-Abkommen in Kraft, wären natio­nale, «eigenmächtige» Änderungen in der Lex Koller verboten. Weshalb? Die Lex Koller soll die Spekulation mit Grundeigentum und Liegenschaften eindämmen, damit die Landpreise (und die Mieten) nicht immer teurer und teurer werden. Sie begrenzt den Kauf von Grundstücken und Liegenschaften durch internationale Investoren, die nicht in der Schweiz niedergelassen sind. Natürlich haben Investoren bereits Schlupf­löcher in der Lex Koller gefunden – dies möchte Bundesrätin Sommaruga korrigieren.

Nie eine «Lex Sommaruga»

Die 24 TISA-Länder haben ein Dokument erarbeitet, in welchem nationale Massnahmen aufgezählt werden, welche eine Verletzung des sogenannten «Natio­nal Treatment» darstellen: Alle InteressentInnen müssen nämlich behandelt werden, als ob sie Inländer wären. Die Beschränkung des Bodenerwerbs für nicht niedergelassene Ausländer wird ausdrücklich als Verletzung des National Treatment bezeichnet. Das Dokument findet sich auf der offiziellen Webseite des Seco, welches für die Schweiz die Verhandlungen führt. Dort legt das Seco ebenfalls dar, dass für Fragen des Natio­nal Treatment die sogenannte «Standstill»-Klausel zur Anwendung kommt. Das bedeutet: Regulierungen dürfen künftig nur noch gelockert, aber nie mehr verschärft werden. Weil die Lex Koller das Natio­nal Treat­ment einschränkt und weil das Natio­nal Treatment unter die Standstill-Klausel fällt, darf die Lex Koller nach Inkrafttreten des TISA-Abkommens nie mehr verschärft werden.

Schweizer Server: Vergesst es

Dies gilt genauso für die Zweitwohnungsinitiative und das Ausführungsgesetz zur Zweitwohnungsinitiative. Und für den Datenschutz: Wenn der Bund seine elektronischen Daten extern in einer Cloud sichern will, verlangt er heute, dass die Server in der Schweiz stehen müssen, damit das Schweizer Datenschutzgesetz angewendet und durchgesetzt werden kann (und die NSA es etwas schwerer hat, die Daten abzusaugen). Gemäss TISA wäre die Vorschrift, die Datenserver müssen in der Schweiz stehen, ebenfalls eine Verletzung des National Treat­ment.

Das Seco beschwichtigt

Natürlich beruhigen uns die Verhandlungsführer des Seco: Jedes Land könne eine Ausnahmeliste erstellen von Bereichen, wo TISA nicht zur Anwendung komme. Und tatsächlich sind in der Anfangsofferte der Schweiz eine ganze Reihe Sektoren genannt, welche von der Schweiz aus der Wirkung des Abkommens ausgeschlossen würden und wo die Schweiz keine Standstill-Klausel anwenden wolle. Sieht es wirklich so aus, als ob die anderen Vertragsstaaten akzeptieren würden, dass die Schweiz die Standstill-Klausel fast in allen Bereichen abschaltet?

Vertragstexte bei Wikileaks

Der wichtigste Einwand: dank WikiLeaks verfügen wir aktuell über etwa zwei Dutzend Verhandlungsdokumente, obwohl die Verhandlungen streng geheim ablaufen, darunter die berüchtigten «Anhänge». Diese Anhänge sind so formuliert, dass sie auf jedes Land direkt angewendet werden, selbst wenn das Land den betreffenden Sektor auf seine Ausnahmeliste gesetzt hätte. Und die «Standstill»-Klausel wird auch auf die Anhänge angewendet werden.

Ausnahmeliste ist Wunschdenken

Es trifft zu, dass die Schweiz beispielsweise den ganzen Energiesektor auf ihre Ausnahme-Wunschliste gesetzt hat. Aber beim Seco kann man lesen, dass es einen Anhang «Energiedienstleistungen» geben soll – und dieser Anhang wird auch direkt auf die Schweiz anwendbar sein, obwohl die Schweiz im Hauptteil des Textes den Energiesektor ausgenommen hat.

Diese Problematik gibt es bei allen 17 Anhängen, über die gemäss Seco-Angaben verhandelt wird, beispielsweise auch für den Anhang «Postdienste» oder «elek­tro­nischer Datenverkehr». Über WikiLeaks wissen wir, dass auch ein Verhandlungstext über Gesundheitsdienstleistungen in die Verhandlungen eingebracht wurde. Gemäss diesem Text müssten wir damit rechnen, dass uns die Krankenkasse künftig in jenes ausländische Spital zur Operation verweisen würde, wo die Operation am billigsten ist. Stefan Giger

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