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«Es gibt keine einseitig verfügten Massnahmen»

syndicom hat in den letzten Jahren immer wieder kritisiert, dass die Konzernleitung der Post betriebswirtschaftliche Überlegungen oft höher gewichtet als ihre Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden. Seit Anfang Mai ist mit Urs Schwaller ein neuer Ver­waltungs­rats­präsident am Ruder. Wie positioniert er sich in strategischen Fragen und wie stellt er sich die Sozialpartnerschaft vor? 


syndicom: Innerhalb der Post findet eine immer feinere Aufteilung statt, in den neuen Betrieben herrscht erheblicher Lohndruck. Wie stellen Sie sich zu den Anstellungsbedingungen fürs Personal?

Urs Schwaller: Die Parzellierung ist auch eine Antwort auf die Bedürfnisse der Kunden. Es ist nicht auszuschliessen, dass sie weitergeht. Auch der Lohndruck ist eine Tatsache. Wir werden diese Themen partnerschaftlich angehen. Die Post hat einen Gesamtarbeitsvertrag mit anerkannt guten Leistungen. Er enthält das Recht auf Information, Anhörung und Mitwirkung. Ich betrachte das als Chance. Das Personal ist das wichtigste Kapital eines Unternehmens: für mich ist das keine Floskel.

Das Projekt Weiterentwicklung Poststellen und Verkauf (WPV) ist umstritten. Geplant ist unter anderem, die Mitarbeitenden neu in zwei Stellenprofile aufzuteilen. Dort ist die Befürchtung gross, dass das Projekt vor allem dazu dient, Lohnkosten einzusparen und Stellen abzubauen.

Gegenwärtig läuft diesbezüglich ein Pilotprojekt. Die Entscheide werden aber erst im Oktober getroffen. Wir werden das Projekt mit den Gewerkschaften diskutieren. Falls es Stellen kostet, werden wir versuchen, dies mit natürlichen Fluktuationen, Abgängen oder mit Übergangslösungen aufzufangen. Für den Verwaltungsrat ist es wichtig, sozialverträgliche Lösungen zu finden. Es gibt sicher keine einseitig verfügten Massnahmen. Wir wollen das Personal mit einbeziehen.

Zu reden gibt die Schliessung und die Umwandlung von Poststellen. Das Netz wird ausgedünnt, gilt aber immer noch als defizitär. Wie geht es weiter?

In den letzten Jahren haben wir pro Jahr jeweils rund hundert Poststellen umgewandelt. Aber wir haben gleichzeitig mit den Agenturen, dem Hausservice, den PickPost-Stellen und den MyPost24-Automaten rund 300 neue Zugangspunkte geschaffen. Diese Umwandlung der traditionellen Poststellen geht weiter. Von 2000 bis 2015 betrug das Schaltergeschäft-Minus bei den Briefen 63 Prozent, bei den Paketen 42 Prozent und bei den Einzahlungen 37 Prozent. Dieser Entwicklung können wir nicht ausweichen.

Im Unterschied zur bisherigen Praxis werden wir in Zukunft aber klar sagen, was wir vorhaben. Ich plädiere für eine umfassende Information nicht nur des Personals, sondern auch der Kantone und Gemeinden. Auf jeden Fall wollen wir ein flächendeckendes Netz bewahren, wenn auch in anderer Form als heute.

Für Kritik sorgen die Vorgaben der Zustellzeiten bei der Paketpost, die teilweise unrealistisch knapp berechnet sind.

Ich will mir das Problem mit den Zustellzeiten anschauen, bevor ich dazu Stellung nehme. Die Vereinbarung über die Jahresarbeitszeit wurde von der Gewerkschaft auf den 1. Januar 2017 einseitig und relativ kurzfristig gekündigt. Da braucht es jetzt Zeit für die Verhandlungen. Wir werden die Frage in diesem Rahmen behandeln.

Mit dem Frühzustelldienst ­Presto hat die Post einen eigentlichen «Niedriglohnbereich». Gibt es Überlegungen, den Briefzustelldienst der Post an Presto zu übertragen?

Nein, das steht überhaupt nicht zur Debatte. Auch die Mitarbeitenden bei Presto sind übrigens auf der Basis eines Gesamtarbeitsvertrags eingestellt, sogar wenn sie nur über kleine Pensen verfügen.

Bei der Post gibt es relativ viele repetitive Arbeiten. Die sind durch die Welle der Automatisierung und der Digitalisierung bedroht. Hat die Post einen Plan, wie sie damit umgeht?

Das Thema beschäftigt mich stark. Es ist nicht nur bei der Post aktuell, sondern generell. Die Automatisierung wird zu einem Personalrückgang führen. Mit 45 000 Vollzeitstellen hat unser Unternehmen aber eine gewisse Flexibilität, um auf das veränderte Umfeld zu reagieren. Die Weiterbildung ist in diesem Zusammenhang ein zentrales Anliegen. Gemäss Gesamtarbeitsvertrag ist sie eine gemeinsame Aufgabe der Post und ihrer Angestellten. Auch mit innovativen Projekten und Angeboten kann man einen Teil des Verlusts auffangen und verhindern, dass neue Dienstleistungen vom Ausland her angeboten werden.

In letzter Zeit sorgten in der Öffentlichkeit die fahrerlosen Postautos oder Roboter und Drohnen für den Zustelldienst für Aufmerksamkeit. Wie realistisch sind solche Szenarien?

Die Roboterisierung in den verschiedensten Bereichen wird kommen. Auch selbstfahrende Fahrzeuge wird es geben. Wir wissen aber nicht, wann es so weit sein wird. Ich finde es vor diesem Hintergrund richtig und wichtig, dass man mit dabei ist, sich Überlegungen macht und Versuche tätigt wie jenen mit dem selbstfahrenden Postauto in Sitten. Wenn man es unterlässt, wird man mit Sicherheit Marktanteile verlieren. Deshalb streben wir eine Themenführerschaft an. Das gilt zum Beispiel auch für die Bezahlsysteme.

Gibt es weitere Möglichkeiten für neue Geschäftsfelder?

Ich bin überzeugt, dass die Post in der E-Health-Frage aktiver sein muss, also im Gesundheitsbereich bei den Patientendossiers. Auch beim E-Voting oder beim Dokumentenmanagement für Dritte kann die Post eine führende Rolle spielen, um die Stellung als erste Dienstleisterin im Land zu behaupten. Sie kann dabei vom hohen Vertrauenspotenzial profitieren, das sie geniesst.

PostFinance möchte das Tätigkeitsfeld ausweiten und vermehrt Kredite für Hauskäufe und an Firmen vergeben können. Unterstützen Sie das?

Ich bin klar dafür, dass man diesen Schritt prüft. PostFinance ist die fünftgrösste Bank der Schweiz und verwaltet 118 Milliarden Franken Kundenvermögen. Da braucht es die Möglichkeit, diese auch in neuen Geschäftsfeldern anzulegen. Deshalb habe ich noch als Ständerat die Motion Zanetti mit­unterschrieben. Sie gibt den Anstoss, das Anliegen politisch zu diskutieren.

Der Bundesrat empfiehlt, die Motion abzulehnen.

Es ist mir klar, dass die ­Frage umstritten ist. Keine Bank begrüsst mit offenen Armen einen weiteren Konkurrenten. Das Primat gehört hier der Politik. Wenn das Parlament bereit ist, diesen Schritt zu gehen, wird man das Gesetz anpassen müssen. Lehnt man es ab, müssen wir das akzeptieren. Wir können höchstens auf die Folgen hinweisen. PostFinance trug einst zwei Drittel zum Gewinn des Gesamtunternehmens bei. Heute ist es noch etwa die Hälfte. Das Zinsgeschäft wird weiter schrumpfen. Das schmälert den Gewinn und die Investitionskraft der Post.

Hansruedi Köng, der Chef von PostFinance, hat sich für eine Privatisierung und den Börsengang seines Unternehmens ausgesprochen. Was halten Sie davon?

Für den Verwaltungsrat ist eine Privatisierung derzeit kein Thema. Wichtig ist, dass die Post ein gesundes, eigenwirtschaftliches und solides Unternehmen bleibt. Das ist auch die beste Voraussetzung für gute Leistungen gegenüber dem Personal. Man vergisst gern, dass die Post keine Subventionen vom Bund beansprucht, abgesehen von den Abgeltungen fürs ­Postauto. Wir liefern dem Bund jedes Jahr 200 Millionen Dividenden ab und bezahlen Steuern in der gleichen Grössenordnung. Wir benötigen in den nächsten Jahren aber rasch Antworten, um das Schrumpfen der traditionellen Geschäfte zu kompensieren.

Sorgen bereitet immer noch die Pensionskasse, für die weitere Sanierungsschritte vorgesehen sind.

Das ist für mich ein prioritäres Problem, für das wir sozialpartnerschaftliche Lösungen finden müssen. Dazu führen wir Gespräche mit den Personalverbänden. Ich bin an der Frage stark interessiert. Mir scheint ganz wichtig zu sein, dass man die Verlässlichkeit der Altersvorsorge bewahrt. Eine funktionierende Wirtschaft setzt funktionierende Sozialversicherungen voraus. Im Unterschied zur SBB war die Post bisher zur Sanierung der Pensionskasse nicht auf die Hilfe des Bundes angewiesen. Das soll so bleiben.

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