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«Es ist ein Riesenschritt, dass der Ständerat wieder auf die AHV setzt»

Das Ringen um die künftige Ausgestaltung der Altersvorsorge ist in vollem Gang. Mitte August hat die Sozialkommission des Ständerats ihre Beschlüsse zur «Altersvorsorge 2020» präsentiert. Der Ständerat will zwar die AHV-Renten erhöhen, hält aber am höheren Frauenrentenalter und der Senkung des Umwandlungssatzes fest. Was sagen die Gewerkschaften dazu? In einem Interview äussert sich Paul Rechsteiner zu den Beschlüssen des Ständerates. 

 

Reichen die höheren AHV-Renten, damit die Gewerkschaften diese riesigen Kröten schlucken?

Paul Rechsteiner: Die Gewerkschaften sind gegen eine Erhöhung des Frauenrentenalters und gegen eine Senkung des Umwandlungssatzes. Trotz des Widerstandes von mir und ein paar anderen hat der Ständerat daran festgehalten. Die Gewerkschaften ziehen aber erst am Ende der Parlamentsberatungen Bilanz und entscheiden über die Referendumsfrage.

Als Ständerat, der die Vorlage stark mitgeprägt hat, habe ich schon jetzt Stellung beziehen müssen. Unter dem Strich war für mich ausschlaggebend, dass wir alle Verschlechterungen für die heutigen Rentnerinnen und Rentner abwehren konnten und die Verschlechterungen für die künftigen Rentengenerationen sinnvoll kompensieren konnten.

Der Kompromiss ist also akzeptabel?

Die Bundesratsvorschläge hätten die AHV geschwächt. Der Bundesrat wollte den Teuerungsausgleich in Frage stellen und den Bund teilweise aus der AHV-Finanzierung entlassen. All diese Verschlechterungen sind weg.

Die heutigen Rentner stehen damit so da, wie wenn wir ein Referendum gewonnen hätten. Gleichzeitig wird die AHV-Finanzierung bis 2030 gesichert. Positiv ist auch, dass die Umwandlungssatz-Senkung weitgehend innerhalb der zweiten Säule kompensiert wird – für alle heute 47-Jährigen vollständig und für die Jüngeren teilweise.

Dazu gibt es erstmals seit 20 Jahren wieder eine Rentenverbesserung bei der AHV. Jährlich sind das 840 Franken für Alleinstehende und über 2700 Franken für Ehepaare. Das ist ein recht gutes Ergebnis. Die Vorzeichen der Vorlage wechselten damit vom Minus zum Plus. Deshalb habe ich das Resultat unterstützt.

Der Ständerat will die AHV-Renten nur für NeurentnerInnen erhöhen. Brauchen die heutigen Rentner keine Erhöhung?

Mit unserer Initiative AHVplus verlangen wir eine Rentenerhöhung auch für die heutigen Rentnerinnen und Rentner. Nach 20 Jahren wäre wieder einmal eine Verbesserung nötig. Das lehnte der Ständerat ab.

Immerhin hat er, abgesehen vom Frauenrentenalter, für bisherige Rentnerinnen und Rentner auf alle anderen Verschlechterungen verzichtet. Wer jedoch eine Rentenverbesserung für alle will, muss sich für die Initiative einsetzen. Sie hat schon jetzt sehr viel bewirkt. Sie hat das Tabu gebrochen, dass es bei der AHV keine Verbesserungen leiden mag.

Es ist ein Riesenschritt, dass der Ständerat wieder auf die AHV setzt. Würde die Vorlage so bleiben, wie sie jetzt ist, wäre das ein Teilerfolg von AHVplus.

Die FDP und die SVP wollen jedoch die Ständeratslösung kippen und die höheren AHV-Renten bekämpfen. Aus demografischen Gründen stünden diese «völlig quer in der Landschaft», seien «nicht akzeptabel», ja «paradox». Was sagst du zu dieser Kritik?

Die Kreise, die so argumentieren, sind in der Ära Couchepin stecken geblieben: Sie wollen die Renten verschlechtern. Ich empfehle diesen Leuten, einen Grundkurs zum Funktionieren der AHV zu besuchen. Sie haben ein paar elementare Tatsachen über die AHV-Finanzierung nicht verstanden.

Die AHV verfügt über die bestmögliche Finanzierung aller Altersvorsorgesysteme. Sie er­laubt, die Zunahme der Lebenserwartung und die zunehmende Zahl der Rentnerinnen und Rentner zu finanzieren. Das Prinzip ist einfach: Alle müssen auf dem vollen Lohn Beiträge zahlen. Wer auf einem Millionen­einkommen Beiträge bezahlt, kriegt aber keine höhere Rente als jemand mit einem mittleren Einkommen. Die wirtschaftliche Entwicklung und damit die steigenden Löhne werden so voll von der AHV mitgenommen.

Das ist entscheidend für die Finanzierung der AHV und nicht die Anzahl Aktive pro Rentner, die seit Gründung der AHV tatsächlich gesunken ist. Nur dank diesem genialen Finanzierungsmodell war es möglich, dass sich die Zahl der AHV-Bezügerinnen und -Bezüger seit 1975 von 900 000 auf über 2,1 Millionen mehr als verdoppelt hat und die AHV-Lohnbeiträge in dieser Zeit nie angehoben werden mussten. Nur ein knappes Mehrwertsteuer-Prozent kam dazu.

Die Renten der Jungen sind also nicht gefährdet, wie angebliche Experten immer wieder erklären?

Nein. Es ist gerade im Interesse der Jungen, die AHV zu stärken. Denn wenn es keine AHV gäbe, müssten die Jungen wieder direkt für ihre Eltern sorgen. Es käme wieder zur schwierigen gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Jung und Alt. Zweitens – und noch wichtiger – müssten die Jungen ohne AHV privat für ihre eigene Pension vorsorgen. Das käme sie viel teurer zu stehen. Die AHV ist die kostengünstigste Form der Altersvorsorge. Für Leute mit tiefen und mittleren Einkommen hat sie ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis.

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