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Europäische Wirtschaftskrise: Alternativen zur Sparpolitik

Die Kopenhagener Vorstandssitzung von UNI Europa stand im Zeichen der europäischen Wirtschaftskrise. Die Finanzmärkte haben Europa in Geiselhaft genommen. Darunter leiden nicht nur Banken und Unternehmen. Die Auswirkungen auf die Lohnabhängigen sind derart massiv, dass wir inzwischen von einer sozialen Krise sprechen müssen. Michel Gobet*

Die Berichte aus den Ländern zeigen überall das gleiche Bild. Die Sozialerrungenschaften stehen auf der Abschussliste. Auflösung von Gesamtarbeitsverträgen, Abschaffung des Kündigungsschutzes, Lohnabbau, Erhöhung des Rentenalters, während gleichzeitig die Jugendarbeitslosigkeit explodiert, brutale Kürzungen der Altersrenten: So sehen die Folgen der Sparpolitik in Europa in der Praxis aus. Die Lohnabhängigen werden zur Kasse gebeten für die politischen Fehlentscheide der Staaten (im Namen des viel gerühmten Wirtschaftsliberalismus) und für die (Steuer-)Geschenke, welche über Jahre hinweg an Banken und multinationale Unternehmungen gingen.

 

Was die Banken angeht, denkt man an den Spruch, der dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain zugeschrieben wird: «Ein Banker ist jemand, der dir bei schönem Wetter seinen Schirm leiht und ihn zurückverlangt, wenn es zu regnen beginnt.» Die Multis ihrerseits sind zu echten Steuertouristen geworden, die ohne zu zögern weiterziehen, wenn sie irgendwo «bessere Rahmenbedingungen» finden – das jüngste Beispiel dafür ist Merck Serono.

Aggressivste Attacke seit Bestehen der EU
Mit der Sparpolitik bezahlen jene die Krise, die nichts dafür können. Leute, die schon zuvor nicht reich waren, werden in die Armut getrieben, in die Prekarität, in die Sozialhilfe, in die Armenküchen. Vier Jahre Sparen brachten es an den Tag: Diese Politik der Europäischen Union hat die erhofften Resultate nicht gebracht. Die Sparprogramme führten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und bremsten das Wirtschaftswachstum. Sie sind selbstzerstörerisch und untergraben die wirtschaftlichen, finanziellen, sozialen und politischen Grundlagen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Die wirklichen Mängel bei der Reglementierung und die Fehlentwicklungen der Märkte, die zur Krise geführt haben, vermögen sie dagegen nicht zu bekämpfen.

 

Stattdessen wird ein Generalangriff auf die Gewerkschaften und auf die Gesamtarbeitsverträge geführt. Angeblich geht es um notwendige Reformen des Arbeitsmarktes (als ob dieser die Ursache für die Wirtschaftskrise wäre!), aber dahinter steckt die aggressivste Attacke auf die Lohnabhängigen und ihre Vertretungen sowie auf die Arbeitsbedingungen seit Bestehen der EU. Der einzige Zweck dieser Strategie besteht im Sozialdumping und in der Senkung der Arbeitskosten. Unschwer ist der Zusammenhang mit einigen frühen Prioritäten der EU zu erkennen: Marktderegulierung, Lohnsenkungen, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Abbau der Sozialausgaben bzw. der öffentlichen Finanzen. All dies führt zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Durchschnittsbürgerinnen und -bürger.

Fiskalpakt und Sozialpakt
Der gewerkschaftliche Dachverband UNI Europa lehnt wie die gesamte europäische Gewerkschaftsbewegung den europäischen Fiskalpakt in seiner aktuellen Form ab. Wir brauchen durchaus einen Fiskalpakt, aber er muss mit einem Sozialpakt verbunden werden. Nur so ist es möglich, gleichzeitig die Budgets zu sanieren, Arbeitsplätze zu schaffen und ein qualitatives Wachstum zu erzielen, welches für eine anhaltende Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sorgt.

Wachstum und Investitionen sollen es allen europäische Ländern ermöglichen, Produkte und Dienstleistungen von hoher Qualität konkurrenzfähig zu erzeugen und gleichzeitig anständige Löhne und Arbeitsbedingungen anzubieten. UNI Europa fordert daneben die notwendigen Reformen bei der Reglementierung, damit die Finanzmärkte in den Dienst der Realwirtschaft gestellt werden. Die Kapitalbasis der Banken muss verstärkt werden, wobei die EU dafür zu sorgen hat, dass die Entschuldung nicht zu einer Beschränkung der Kreditvergabe an die Akteure aus der Realwirtschaft führt.

Ein europäischer Marshall-Plan
UNI Europa, ihre Mitgliedgewerkschaften sowie die gesamte europäische Gewerkschaftsbewegung sind bereit, bei der Erarbeitung von Strategien zur Bewältigung der aktuellen Krise mitzuarbeiten. Es ist höchste Zeit, dass die europäischen Institutionen sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten sich auf eine ernsthafte Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften besinnen, die alle Ebenen umfasst.

UNI Europa verlangt von der Europäischen Union bzw. den Mitgliederstaaten eine echte gegenseitige Solidarität. Die Massnahmen, die nur zu einer weiteren Verarmung führen, müssen sofort gestoppt werden. Es kann nicht sein, dass Bulgarien, der ärmste Mitgliedstaat, als Referenzgrösse für Löhne und Sozialstandards genommen wird bei der Rettung bedrohter Länder. Die Arbeitslosenquoten, vor allem bei Jungen und Frauen, sind inakzeptabel.

Damit sich die Lage zum Bessern wendet, brauchen wir einen europäischen Marshall-Plan, welcher zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum führt. UNI Europa sowie ihre Mitgliedorganisationen und der Europäische Gewerkschaftsbund EGB werden den Druck auf die politischen Institutionen erhöhen, auch auf die Europäische Zentralbank und auf den Internationalen Währungsfonds, damit sie ihren gegenwärtigen Sparkurs ändern.

UNI Europa wird eine Kommunikationsstrategie erarbeiten, mit der aufgezeigt werden soll, wie die Politik die Kosten der Banken- und Staatsverschuldung auf die Bevölkerung abwälzen will. Genau diese nicht tolerierbare Ungerechtigkeit müssen wir mit all unseren Energien bekämpfen.

Michel Gobet, Zentralsekretär von syndicom

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