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GAV Grafische Industrie: Viscom bleibt weiterhin auf Konfrontationskurs

© Margareta Sommer

Die Druckunternehmer spielen weiterhin mit dem Feuer. Nicht nur verlangen sie immer noch eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um 2 auf 42 Stunden, was 3 Wochen Gratisarbeit bedeuten würde. In der dritten Verhandlungsrunde legte Viscom auch seine Absichten zu einer radikalen Senkung der Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit auf den Tisch.

 

Für den Unternehmensverband Viscom ist neben einer Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Stunden eine radikale Kürzung der Zulagen für Nacht- und Sonntagsarbeit die zweite Schlüsselforderung für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag. Der dadurch ausgelöste Lohnverlust von Hunderten von Franken sei ein nötiger Beitrag zur Rettung der Branche, hiess es seitens des Viscom. Die Gewerkschaften bzw. die Beschäftigten der grafischen Industrie müssten dies zur Rettung der Branche in der Schweiz akzeptieren – oder der GAV sei in Frage gestellt!

 

Vogel friss oder stirb. Anders kann der Verlauf der dritten Verhandlungsrunde vom 11. Oktober nicht umschrieben werden. Von Unternehmerseite wurde der Gewerkschaftsdelegation gegenüber schon zum zweiten Mal im Verlaufe dieser Verhandlungen zum Ausdruck gebracht, dass die Viscom-Delegation über einen Verhandlungsabbruch nachgedacht hätte. Die Gewerkschaften würden sich nicht bewegen und seien nicht zu Verhandlungen über notwendige Änderungen bereit.

 

«Die Senkung der Arbeitskosten ist dringend»

Interessant ist, wie Viscom seine Forderung nach der radikalen Kürzung der Zulagen für Nacht- und Sonntagsarbeit begründet: «Wir sind uns bewusst», hiess es, «dass regelmässige Nachtarbeit bei den Betroffenen gesundheitliche Probleme verursachen kann.» (In Wirklichkeit leiden die Betroffenen unter gesundheitlichen Schäden – die Kann-Formulierung ist wissenschaftlich längst widerlegt.)

 

Auf der anderen Seite, so Viscom, würden die hohen Investitionen in schnellere und «intelligentere» Maschinen aus betriebswirtschaftlicher Sicht generell nach einem 24-stündigen Produktionsbetrieb rufen. Mit dieser Gegenüberstellung wird klar, dass die Unternehmer sich höchstens halbherzig um die Gesundheit der Beschäftigten sorgen. Vielmehr betont Viscom immer wieder vehement die sogenannten Marktregeln – «allzeit bereit sein für die Kunden».

 

Diese permanente Bereitschaft zur Arbeit zu Unzeiten sollen die Betroffenen nach Ansicht der Unternehmer für ein kleines Taschengeld aufbringen: So müssten zukünftig 15% Zuschlag pro geleistete Nachtstunde reichen statt 60% wie bisher. Für jede Stunde am Sonntag genügt aus Sicht der Druckunternehmer ein Zuschlag von 50% (100% seien viel zu viel). Überhaupt: Das zu teure aktuelle Zulagensystem stamme sowieso aus der «Goldgräberzeit» der 60er- und 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts und sei in keiner Weise mehr zeitgemäss … Dies die skurrile Meinung der Unternehmer.

 

Schutz der Gesundheit: ja, aber …

Ein Beispiel zeigt klar auf, wie schwerwiegend die finanziellen Einbussen für Schichtarbeitende sein können, wenn sich die Viscom-Forderungen in Bezug auf den Abbau der Zuschläge durchsetzen würden:

 

Zeitungsdrucker, 52-jährig,

Arbeit mit Verantwortung. Grundlohn Fr. 6400.–

(= Medianlohn der Männer 2010); Sonntagsarbeit an 15 Sonntagen à 5 Std./Jahr und Nachtarbeit 43,3 Stunden/Monat; neu 42-Std.-Woche.

Sonntagszulagen gekürzt:

bisher Fr. 240.–

neu Fr. 120.–

Nachtzulagen gekürzt:

bisher Fr. 957.–

neu Fr. 230.–

Verlust Fr. 847.–

Keine Mahlzeitenentschädigung mehr: Fr. 38.–

Keine bezahlte Pausen mehr: Fr. 138.–

2 Stunden mehr pro Woche:
Fr. 320.–

Gesamtverlust: Fr. 1343.–

 

Wir haben bereits dargelegt, wieso die Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Stunden gerade für die grafische Industrie absurd und kontraproduktiv ist. So würden relativ rasch gegen 1000 Arbeitsplätze verschwinden. Im folgenden Beispiel zeigen wir den finanziellen Verlust bei einer Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich und Streichung der Überstundenzuschläge von 25% pro Stunde (auch eine Forderung von Viscom) auf:


Polygrafin, 42-jährig

Grundlohn Fr. 5340.–

(= Medianlohn der Frauen 2010);
keine Nacht- und Sonntagsarbeit; neu 42-Std.-Woche.

2 Stunden mehr pro Woche:

statt neu Fr. 5607.–

weiterhin Fr. 5340.–

Gratisarbeit Fr. 267.–

Keine Überstundenzuschläge mehr;
bei 12 Stunden à Fr. 7.70/Monat:

Verlust Fr. 92.40

Gesamtverlust: Fr. 359.40

 

Noch stehen weitere Verhandlungsrunden bevor. Inwieweit die Druckunternehmer von ihrem gegen die materiellen Lebensgrundlagen der Beschäftigten gerichteten Konfrontationskurs Abstand nehmen, ist offen. Die Gewerkschaften haben berechtigte Forderungen wie die Erhöhung der Mindestlöhne oder die Frühpensionierung ab 62 Jahren eingebracht. Wir wären aber im Sinne eines Kompromisses bereit, darauf zu verzichten. Voraussetzung: Viscom muss auf unsere zwei Hauptforderungen eintreten. Dies sind die Verlängerung des aktuellen GAV ohne Abstriche und die gleichzeitige Allgemeinverbindlichkeitserklärung für die gesamte grafische Branche.

 

Die Branchenkonferenz von syndicom wird am 8. Dezember über das Verhandlungsergebnis diskutieren und das weitere Vorgehen beschliessen. Melde dich für die Konferenz an, deine Meinung ist wichtig!

 

Hans-Peter Graf, Zentralsekretär der Branche Grafische Industrie und Verpackungsdruck.

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