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Gehe dahin, wo es ungemütlich ist

Der riesige Frauenmarsch in Washington einen Tag nach der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten hat auch international Furore gemacht. Unsere Autorin Christine Loriol hilft mit, die Anliegen der Frauen Amerikas auf die Schweiz zu übersetzen.

 

«Women are the wall and Trump will pay» war mein Lieblingsschild unter Zigtausenden am Women’s March in Washing­ton – die Frauen sind die Mauer, und Trump wird dafür bezahlen. Mit Millionen Teilnehmenden in den USA schrieb der Marsch amerikanische Geschichte.

Den amerikanischen Wahlkampf hatte ich von dem Tag an ernsthaft verfolgt, als Donald Trump offizieller Kandidat wurde. Mein persönlicher Tiefpunkt war das zweite TV-Duell gegen Hillary Clinton. Wie er um sie herumschlich, hinter ihrem Rücken schniefte und schlurfte. Übergriffig.

Später ist im Internet ein Trans­kript der Debatte aufgetaucht: ein tragisches Dokument des Unterbrechens und Behauptens, des «Mansplaining» und «Manterrupting», der Verachtung, der Unanständigkeit. Und dann die «Grab them by the pussy»-Geschichte! Und ­Michelle Obamas emotionale Rede. Ich war überzeugt: Die Frauen werden Trump verhindern.

Es kam anders. Obendrein gaben 53 Prozent der wählenden weis­sen Frauen ihre Stimme Trump, während 94 Prozent der schwarzen Frauen hinter Hillary Clinton standen.

Die Organisatorinnen des Women’s March haben seit dem 21. Januar keinen Tag ausgelassen, um zu sagen: «Das war kein Event. Es war ein Anfang, der Anfang einer Bewegung.» Hunderttausende sollen sich gemäss ihres Newsletters in der Zwischenzeit an tausenden von lokalen Anlässen getroffen haben.

Neue Initiativen entstanden, bestehende bekamen richtig viel Aufwind. Zum Beispiel Emily’s List. Seit 1985 bemüht sich die Organisation, progressive, demokratische Frauen auf allen Ebenen und Stufen in politische Ämter zu bringen. «Emily» ist das Akronym für «Early money is like yeast» (frühes Geld ist wie Hefe). Gemeint ist damit, dass wer bereits Mittel für Wahlkämpfe hat, weitere Gelder anziehen kann. 2016 wuchs die Emily-Community auf über 5 Millionen Mitglieder.

Von Emilys Leitgedanken sollten wir uns auch hier in der Schweiz anstecken lassen. Wir könnten auf die an uns selbst gestellte Frage: «Warum ich?», auch einfach mal antworten: Warum nicht?

Ob es sich nun um die Übernahme einer Aufgabe, eines Amtes, eines Jobs oder einer Chefinnen-Position handelt. Oder auch nur schon um die Annahme einer Medienanfrage für ein Expertinnen-Gespräch, ein Radio-Interview oder eine Diskussion am Fernsehen ... Vielleicht würde es helfen, nicht gleich Nein zu sagen und sich zu fragen: Was bräuchte ich denn, um mich, wenn ich mich exponiere, auch so kompetent zu fühlen, wie ich eigentlich bin? Und wo bekomme ich, was mir noch fehlt und mich stärkt? Und dann: etwas wagen!

Emily’s List hat eine Denkhilfe publiziert: «Reject apathy and the status quo. Repeat daily». Der Gleichgültigkeit und dem Status quo die Stirn bieten, und zwar täglich. Wir sollten nicht nur mitmachen, sondern führen. Den Lead übernehmen? Wie gesagt: warum nicht? Warum nicht du? Sich zeigen und gesehen werden.

Oder wie schmeckt dir dies, Leserin: «Be an authority. Communicate with confidence, ratio­nale and clarity. Answer questions with answers, not more questions, and demand the same in return. Be attentive. Be understood. Understand.» Sei eine Autorität, lautet die Aufforderung, kommuniziere mit Selbstvertrauen, kühlem Kopf und Klarheit.

Beantworte Fragen mit Antworten, nicht mit weiteren Fragen, und fordere dasselbe ein. Sei aufmerksam, werde verstanden, verstehe. Ja, so gesehen, wird es jetzt ernst: «Relentlessly dismiss the comfort zone» – Gehe dorthin, wo es unbequem ist, unermüdlich. Ich will jetzt nicht einfach sagen: von nichts kommt halt nichts. Aber denjenigen, die beim Lesen dachten: Ach, wie amerikanisch! Dieses Selbstbewusstsein! Diese Slogans!, denen entgegne ich gerne: Ja, und? Wo ist das Problem? Davon können wir uns doch auch einfach mal eine Scheibe abschneiden.

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