Artikel

Gemeinsam nachdenken über eine andere Schweiz

Das Denknetz ist seit zehn Jahren ein Ort, an dem Leute aus fortschrittlichen Organisationen über grundlegende Fragen nachdenken und Vorschläge erarbeiten. Laut dem Geschäftsführer Beat Ringger ist das eine wichtige und fruchtbare Tätigkeit, die Perspektiven für eine Schweiz jenseits des Neoliberalismus eröffnet. Interview: Peter Krebs

 

syndicom: Du bist Geschäftsführer des Denknetzes. Was macht man da? Nachdenken?

Beat Ringger: Das Denknetz ist ein Netzwerk, in dem 80 Menschen in verschiedenen Fachgruppen zusammenarbeiten. Meine Rolle ist es, diese ganze Denkarbeit zusammen mit dem Präsidium und dem Vorstand in einen möglichst fruchtbaren Prozess zu führen.

Das Denknetz setzt sich für eine Renaissance von Werten wie der Emanzipation, der Befreiung und der sozialen Gerechtigkeit ein. Ein hoher Anspruch für einen Verein mit rund 950 Mitgliedern.

Wir sind einer der wenigen Thinktanks, die von der Basis her organisiert sind. Menschen aus fortschrittlichen, linken Organisationen schaffen sich hier einen Ort, an dem sie Zeit haben, über grundlegende Fragen nachzudenken, zu recherchieren, zu diskutieren. Das halte ich für wichtig, und das ist auch sehr fruchtbar. Wir wollen dazu beitragen, die Gesellschaft vom neoliberalen Kurs wieder auf eine zukunftsfähige Schiene zu bringen.

Ihr erarbeitet politische Vorschläge, tretet aber nicht als politischer Akteur in Erscheinung. Eine Arbeit im Elfenbeinturm?

Die Tatsache, dass wir kein politischer Akteur sind, schafft für Leute aus Parteien, Gewerkschaften und NGOs überhaupt erst den Raum, sich zusammenzusetzen und unbelastet an politischen Grundfragen arbeiten zu können. Sonst würden wir sofort wieder von taktischen Überlegungen eingeholt. Unser Einfluss verläuft über die Mitglieder in ihren eigenen Organisationen, über gute Vorschläge, die dann Debatten auslösen.

Gibt es konkrete Beispiele, mit denen ihr die Politik beeinflussen konntet?

Wir machen Grundlagenrecherchen zur Steuerpolitik, Finanzmarktpolitik, Alterssicherung, Verteilungspolitik, Sozialpolitik. Wir haben zum Beispiel dazu beigetragen, die oft prekären Arbeitsbedingungen in der privaten Betagtenbetreuung zum Thema zu machen. Wir entwickeln Reformkonzepte wie die allgemeine Erwerbsversicherung – ein Vorschlag zur Revision der Sozialversicherungen im Erwerbsbereich – oder wie das «bedingungslose Sabbatical» für alle. Diese Konzepte weisen über das politische Alltagsgeschäft hinaus, können aber für die Politik von morgen wichtig werden.

«Alleine denken ist kriminell», lautet euer Jubiläumsmotto. Ihr setzt auf gemeinsame Denkprozesse, auf ein Netz von Nachdenkenden. Wer beteiligt sich daran?

Beim Modell der allgemeinen Erwerbsversicherung bestand die Kerngruppe aus einer Hochschulprofessorin, einer Armutsbetroffenen, einer Sozialarbeiterin, einem Gemeindepräsidenten und einem Gewerkschaftsfunktionär. Es haben also Menschen aus ganz verschiedenen Erfahrungsbereichen gemeinsam eine Sache durchgedacht und Lösungen erarbeitet. Diese «demokratische Expertise» ist wichtig. Sie bildet einen Kontrapunkt zur neoliberalen Zeit, die das Alleine-Denken fördert. Alle wollen sich selber auszeichnen, alleine publizieren und damit die eigene Karriere fördern.

Versteht sich das Denknetz als Alternative zum Thinktank von Avenir Suisse?

Wir schauen nicht auf Avenir ­Suisse, um etwas anderes zum gleichen Thema zu schreiben. Wir haben eine grundlegend andere Ausrichtung, wir versuchen Lösungen für die Zukunft zu erschliessen. Avenir ­Suisse klammert sich an das, was hoffentlich bald Vergangenheit ist.

Ihr feiert Ende November das 10-Jahres-Jubiläum. Die Themen gehen euch in den nächsten zehn Jahren nicht aus. Welche werden es aus heutiger Sicht sein?

Die Themen Migration, Kontingentierungspolitik und bilaterale Verträge werden uns jahre­lang stark beschäftigen. Die durch die Finanzmärkte geschaffenen Probleme sind noch weitgehend ungelöst. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Es geht um die zentrale Frage, wer über den Reichtum verfügen soll, der heute in den Finanzmärkten steckt und dort immer wieder spekulatives Unheil anrichtet. Gelingt es uns, diesen Reichtum zurückzuholen und ihn zum Beispiel für öffentliche Betreuungsdienste oder für den ökologischen Umbau fruchtbar zu machen?

Das Denknetz ist publizistisch sehr aktiv. «Die überflüssige Schweiz» heisst die neuste Streitschrift. Wird die Schweiz überflüssig?

Wer die Schweiz nur zum Standort-Anhängsel von Konzernen macht, macht sie überflüssig. Wenn wir uns zu immer neuen Steuersenkungen zwingen lassen, fehlt die Substanz für öffentliche Aufgaben. Überflüssig machen wir uns auch, wenn wir uns abschotten. Wir müssen die Schweiz als soziales und demokratisches Land neu entwickeln, als ein Land, das die Kraft hat, den Neoliberalismus zurückzudämmen und der Fremdenfeindlichkeit zu widerstehen.

Beat Ringger ist Zentralsekretär des VPOD und geschäftsführender Sekretär des Denknetzes. Dem Verein gehören rund 900 Einzelmitglieder und eine Reihe von Kollektivmitgliedern an, darunter auch syndicom. Am 29. November feiert Denknetz im Volkshaus Zürich sein 10-jähriges Bestehen.

Mehr Informationen: www.denknetz-online.ch.

Informiert bleiben

Persönlich, rasch und direkt

Du willst wissen, wofür wir uns engagieren? Nimm Kontakt zu uns auf! Bei persönlichen Anliegen helfen dir unsere Regionalsektretär:innen gern weiter.

syndicom in deiner Nähe

In den Regionalsekretariaten findest du kompetente Beratung & Unterstützung

Jetzt Mitglied werden