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Gewerkschaften als Wahlsieger

Wer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde, haben die Gewerkschaften des Landes wesentlich mitbestimmt. Dahinter steckt harte und gezielte Arbeit. 

Die Gewerkschaften sind die heimlichen Siegerinnen der amerikanischen Wahlen. Sie sind es, die in den Swing-Staaten Ohio, Nevada und Wisconsin unentschlossene Wähler mobilisiert und Barack Obama einen sicheren Vorsprung verschafft haben. Deshalb war es kein Zufall, dass der Präsident eine Woche nach den Wahlen eine grosse Gewerkschaftsdelegation zu Gesprächen über die Budgetkrise getroffen hat – einen Tag vor einem Treffen mit den Chefs von zehn führenden US-Firmen.

Das Prinzip «Boots on the ground», das Aufziehen des Wahlkampfes von der Basis her, ist ein entscheidender Vorteil der Demokraten gegenüber den Republikanern. Die Gewerkschaften waren dieses Jahr unverzichtbar: Keine Organisation konnte mehr Personen mobilisieren, die Tag für Tag von Haustür zu Haustür zogen und Wähler zum Wählen bewegten. In drei der Wackelstaaten war diese Arbeit besonders wichtig und erfolgreich.

Hunderttausende Arbeitsplätze

Ohio, Nevada und Wisconsin stimmten weit deutlicher für den Präsidenten als erwartet, nachdem die Gewerkschaften hier gezielt ihren Einsatz verstärkt hatten. «Ohne die organisierte Arbeit wäre keiner dieser Staaten auf der Seite des Präsidenten gelandet», sagte Richard Trumka, Boss der Dachgewerkschaft ­AFL-CIO. «Wir haben diese Staaten gewonnen.» Dies mag etwas gar selbstsicher tönen, verdeutlicht aber, dass sich die Gewerkschaften – mehr noch als 2008 – als Verbündete des Präsidenten sehen.

In Ohio, dem wichtigsten der Swing ­States, spielten zusätzlich zwei umstrittene Entscheide den Gewerkschaften in die Hände: Zum einen war es die staatliche Rettungsaktion für die Automobilkonzerne General Motors (GM) und Chrysler, bei der über 80 Milliarden Dollar eingesetzt wurden. Dieser Bail-out dürfte der wichtigste wirtschaftspolitische Entscheid des Präsidenten gewesen sein, da damit nicht nur das Überleben der beiden Autofirmen ermöglicht wurde, sondern mehrere 100 000 Arbeitsplätze in den Zulieferbetrieben gesichert wurden. Dies ist wichtig für Ohio, finden sich hier doch Hunderte dieser Industriebetriebe. Die Gewerkschaften schafften es, den Automobil-Bail-out zum Wahlthema in Ohio zu machen und Mitt Romney – immerhin Sohn eines Autokonzernchefs – ins Leere laufen zu lassen. Romney hatte eine Sanierung durch Private-Equity-Gruppen angestrebt, was die Gewerkschaften entmachtet hätte. So aber bleiben die Gewerkschaften an den rundumsanierten Konzernen GM und Chrysler beteiligt. Kein Wunder, dass schliesslich 65 Prozent der Gewerkschafter in Ohio Obama wählten und nur 33 Prozent Romney. Dies scheint nicht überwältigend, ist aber bemerkenswert, weil bundesweit eine überwältigende Mehrheit der weissen Männer, also der Angestellten und Arbeiter, für Romney stimmte.

Missglückte Anti-Gewerkschafts-Rhetorik

Geholfen hat den Gewerkschaften zudem eine Kontroverse um ihre kollektiven Verhandlungsrechte. Der Gouverneur von Ohio, der Republikaner John Kasich, versuchte, das Beispiel von Wisconsin zu kopieren: Dort hatte der Gouverneur die gewerkschaftlichen Verhandlungsrechte bei den öffentlichen Angestellten nach einem hitzigen Gefecht stark beschnitten – allerdings zu einem hohen Preis. Wisconsin wählte klarer als erwartet erneut Obama und stimmte gegen den einheimischen Vizepräsidentschafts-Kandidaten Paul Ryan. Ryan machte sich mit einem scharfen Sparkurs und seiner ­Anti-Gewerkschafts-Rhetorik so unbeliebt, dass er nicht einmal seine Heimatstadt Janes­ville gewinnen konnte. Dafür waren in Ohio die Gewerkschaften doppelt motiviert, wie Tim Burga, Regionalchef AFL-CIO, bestätigte: «Die Verteidigung des Verhandlungsrechts war die beste Medizin, sie hat unseren Kampfgeist erst recht geweckt.»

Casino-Angestellte gegen Casino-Besitzer

In Nevada führte die starke Organisation der Angestellten der Casino-Industrie zu einer brisanten Ausgangslage. Auf der einen Seite standen die Casino-Besitzer, die über 100 Millionen Dollar in den Wahlkampf steckten, aber letztlich praktisch nichts gewannen. Ihnen standen die stark organisierten ArbeiterInnen und Angestellten in den zwei Spielstädten Reno und Las Vegas gegenüber. Deren Einsatz ist es zu verdanken, dass der früher stark konservative Staat eine neue demokratische Mehrheit gebildet hat.

Anders als vor vier Jahren stellten die Gewerkschaften ihre Kampagnenarbeit nach den Wahlen nicht sofort ein, sondern wollen in den laufenden Budgetverhandlungen aktiv bleiben und so Oba­ma den Rücken stärken. Erstens wollen sie, dass der Präsident wie versprochen die Steuern für Einkommen von über 250 000 Dollar anhebt, sie aber für den Mittelstand unverändert lässt. Zweitens sollen Spareingriffe in die Altersvorsorge und die staatlichen Krankenversicherungsprogramme Medicaid und Medicare verhindert werden. Mit solch mehrheitsfähigen Forderungen hoffen die Gewerkschaften den Mitgliederschwund endlich stoppen zu können. 2011 gehörten nämlich nur 12 Prozent der ArbeiterInnen und Angestellten in den USA einer Gewerkschaft an. In der Privatwirtschaft lag der Organisationsgrad sogar nur noch bei 7 Prozent; fünfmal niedriger als in den öffentlichen Betrieben.

* Walter Niederberger ist US-Wirtschaftskorrespondent.

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