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Grösstes und wichtigstes Reformprojekt seit Jahren muss der grossen Mehrheit anständige Renten sichern

Altersvorsorge 2020: Votum von SGB-Präsident und Ständerat Paul Rechsteiner

© SGB

Altersvorsorge 2020 ist das grösste und wichtigste Reformprojekt der Schweiz seit Jahren. Es beeinflusst das Leben von Hunderttausenden, ja von Millionen von Menschen in unserem Land, das Leben all jener, die heute im Rentenalter stehen, aber noch stärker die Lebenslage aller, die in Zukunft das Rentenalter erreichen werden. Die Vorlage ist gleichzeitig ein Testfall für das Funktionieren, für die Funktionsfähigkeit unserer politischen Institutionen. Ist das Parlament in der Lage, auf diesem sensiblen Gebiet eine Vorlage zu schnüren, die auf die Lebensrealität der Menschen in unserem Land abgestimmt ist und deshalb den Test der Mehrheitsfähigkeit nicht nur im Parlament, sondern auch in einer Volksabstimmung bestehen wird?

Das Fiasko der Rentenvorlagen von 2004 und 2010 zeigt, dass es auf diesem Gebiet nicht genügt, dass ein Projekt die Vorstellungen der Mehrheit im Parlament abbildet. Der Erfolg einer Rentenvorlage misst sich daran, was sie für die grosse Mehrheit der Leute mit unteren und mittleren Einkommen konkret bedeutet, also für die grosse Mehrheit der Bevölkerung, die auf anständige Renten der AHV und der Pensionskassen angewiesen sind. Für sie ist die Höhe der Renten entscheidend, die aus dieser Vorlage resultiert. Für sie erträgt es keinen Sozialabbau. Sie wollen, sie brauchen anständige Renten, so wie es unsere Bundesverfassung verspricht: "Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise" im Rentenalter durch die Renten der AHV und der Pensionskasse zusammen.

Der Vorschlag des Bundesrats würde das Sozialwerk AHV schwächen

Der Bundesrat hat mit dem Projekt Altersvorsorge 2020 die richtige Methode gewählt. Die AHV und die Pensionskassen werden gemeinsam behandelt. Die Revisionsvorlage orientiert sich damit an den Vorgaben der Verfassung. Richtig ist und bleibt am Projekt des Bundesrates auch, dass es die Finanzierung der AHV bis 2030 sichern will, also aus heutiger Perspektive für fünfzehn Jahre. Diese fünfzehn Jahre sind der maximale Zeitraum, für den sich einigermassen belastbare Prognosen machen lassen. Bekanntlich waren die Prognosen für die AHV immer zu negativ, zu pessimistisch. Sie wurden durch die Realität jeweils im positiven Sinne widerlegt. Aber es ist verständlich, dass man für die Prognosen lieber auf der vorsichtigen Seite bleibt. Sowohl das Projekt des Bundesrates wie auch die Vorlage der Kommission orientieren sich für das Jahr 2030 an der Vorgabe eines Fondstands bei der AHV von 100 Prozent. Sowohl der Bundesrat wie auch der Vorschlag der Kommission erreichen dieses Ziel.

So richtig der Vorschlag einer Zusatzfinanzierung ist, so problematisch sind die anderen Vorschläge des Bundesrates zur AHV. Würden diese Vorschläge des Bundesrates zur ersten Säule umgesetzt, so würde die AHV als Sozialwerk geschwächt statt gestärkt. Es ist deshalb wichtig, dass die Kommission die Vorlage des Bundesrates zur AHV stark umgestaltet und verbessert hat. Von den Verschlechterungen ist nach den Kommissionsberatungen einzig die Heraufsetzung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre geblieben. Weggefallen sind nach einstimmigen Kommissionsentscheiden die Verschlechterung des Teuerungsausgleichs durch den sogenannten Interventionsmechanismus, der massive Einschnitt bei den Witwenrenten und der teilweise Rückzug des Bundes von der Finanzierung der AHV. Dieser Rückzug hätte die AHV-Rechnung um Hunderte von Millionen Franken verschlechtert. Die gute Botschaft für die heutigen Rentnerinnen und Rentner als Bilanz aus den Kommissionsberatungen lautet, dass ihre AHV-Renten gesichert sind und nicht angetastet werden. Den künftigen Rentnerinnen wird dagegen die Heraufsetzung des Rentenalters zugemutet, ebenso den Ehemännern, die dann auch ein Jahr länger auf die Ehepaarrente warten müssen. Das bleibt nach dem Entscheid der Kommissionsmehrheit eine empfindliche Verschlechterung für alle, die in Zukunft ins Rentenalter kommen.

Die Kommission ist sich einig darin, dass die noch nicht reservierten 3 Mehrwertsteuerpromille, die bis Ende 2017 in die IV fliessen, der AHV zugutekommen müssen. Stimmt das Volk diesem Vorschlag zu - alles spricht dafür -, dann ist das gut für die AHV, aber auch für die Wirtschaft und die Bevölkerung. Es gibt dann bis 2021 nämlich überhaupt keine Mehrwertsteuererhöhung. Auch die beiden Erhöhungsschritte im Umfang von 0,3 und 0,4 Prozent im Laufe des nächsten Jahrzehnts sind sehr kostengünstig. Die letzte Erhöhung der Mehrwertsteuer für die AHV, in den Neunzigerjahren, liegt dann über zwanzig Jahre zurück. Alle diese Entscheide der Kommission zur Finanzierung sind positiv.

Verbesserungen, die sich sehen lassen können

Das Herzstück der Revisionsvorlage nach den Kommissionsberatungen aber ist der Vorschlag für eine Verbesserung der AHV-Renten für die alleinstehenden Neurentnerinnen und -rentner um 840 Franken pro Jahr, 70 Franken pro Monat, und die jährliche Rentenverbesserung für Ehepaare, die den Plafond erreichen, um über 2700 Franken. Diese Verbesserungen lassen sich sehen, auch wenn für die Alleinstehenden ein höherer Betrag wünschenswert gewesen wäre. Dank des fixen Zuschlags wird die soziale Komponente der AHV gestärkt, was positiv ist. Bei den tiefen Renten beträgt die Verbesserung 6 Prozent. Nicht weniger ist es bei den Ehepaaren, was die Vorlage vor allem für die mittleren Einkommen attraktiv macht. Dass die Rentenverbesserungen nicht höher ausfallen, hängt mit der Beschränkung der Kosten zusammen. Die 0,3 Lohnprozente - je 0,15 für Arbeitgeber und Arbeitnehmer - sind eine günstigere Lösung als die Vorschläge des Bundesrates für Kompensationen im BVG.

Die Lösung über die AHV hat aber gegenüber den Vorschlägen des Bundesrates zwei Vorteile: erstens den Vorteil eines besseren Preis-Leistungs-Verhältnisses für alle mit unteren und mittleren Einkommen und zweitens, dass die Wirkung der Rentenverbesserung sofort eintritt. Beim Weg über das BVG müssen die Versicherten Jahrzehnte warten, denn der Ansparprozess über das BVG dauert heute vierzig Jahre und in Zukunft, nach dem Vorschlag der Kommission, 45 Jahre. Trotz bescheidenen Kosten lässt sich der Vorschlag der Kommission für eine Rentenverbesserung über die AHV im Resultat somit sehen.

Die AHV-Renten müssen nach 20 Jahren wieder verbessert werden

Warum braucht es heute wieder eine Verbesserung der AHV-Renten? Die Renten der AHV sind seit 1980, also seit 35 Jahren, gegenüber der Lohnentwicklung langsam, aber sicher in Rückstand geraten. Wie auch der Bundesrat in seiner Botschaft einräumt, beträgt der Rentenrückstand inzwischen rund 10 Prozent. Das beeinträchtigt mit Blick auf das verfassungsmässige Leistungsziel, die Fortsetzung des gewohnten Lebens in angemessener Weise, die sogenannte Ersatzquote. Längere Zeit hat man das vielleicht nicht so gross gemerkt, weil die BVG-Leistungen aufgebaut worden sind. Seit nun aber die Renten der Pensionskassen immer mehr unter Druck gekommen sind, wirkt sich der Rentenrückstand bei der AHV immer empfindlicher aus. Es braucht deshalb, nach zwanzig Jahren, wieder eine Verbesserung bei den AHV-Renten. Es ist die erste Verbesserung seit zwanzig Jahren, seit der Einführung von Erziehungs- und Betreuungsgutschriften durch die 10. AHV-Revision. Und dank dieser Verbesserungen war das die letzte erfolgreiche Reformvorlage der AHV.

Bewertet man die Ergebnisse der Kommissionsarbeit als Ganzes, sind sie weit tragfähiger als die Vorschläge des Bundesrates, weil sie sich stärker an den sozialen Bedürfnissen der Bevölkerung orientieren. Es besteht allerdings noch Verbesserungsbedarf; ich werde in der Detailberatung auf diese Punkte zurückkommen.

Die Bevölkerung akzeptiert keine Schwächung der genialen AHV

Das Schicksal der Revisionsvorlage bestimmt sich an der Rentenfrage. Die BVG-Renten müssen gesichert und die AHV-Renten wieder an die Lohnentwicklung angepasst werden. Die Bevölkerung wird es nicht akzeptieren, dass die AHV, unser zentrales Sozialwerk, geschwächt anstatt gestärkt wird. Denn die AHV hat es in einmaliger Weise geschafft, die Zunahme der Lebenserwartung und die Zunahme der Zahl der Rentnerinnen und Rentner zu finanzieren, und dies dank der genialen Finanzierung durch die unbeschränkte Beitragspflicht auf allen Erwerbseinkommen: Auch Einkommensmillionäre und Boni-Jäger bezahlen bekanntlich auf ihren ganzen Bezügen AHV-Beiträge. Ihre Renten sind aber nicht höher als jene von Leuten mit mittleren Einkommen.

Die AHV steht deshalb wie keine andere Sozialversicherung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Schweiz, für den sozialen Ausgleich und für den Ausgleich zwischen den Generationen. Für alle mit tieferen und mittleren Einkommen, das heisst bis zu einem Einkommen von rund 150 000 Franken, ist das Preis-Leistungs-Verhältnis bei der AHV einmalig gut. Die AHV nützt den Älteren wie den Jüngeren. Ohne AHV sähen sich die Älteren wieder in die unwürdigen Zustände der Abhängigkeit und der Armut zurückgeworfen; die Jüngeren hätten viel höhere Lohnabzüge und müssten viel mehr sparen als heute.

Vergessen wir nicht, dass die Lohnabzüge bei der AHV seit vierzig Jahren gleich geblieben sind, bei 8,4 Prozent, also je 4,2 Prozent für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Bei den Pensionskassen beträgt der durchschnittliche Beitragssatz inzwischen mehr als 18 Prozent, also weit mehr als das Doppelte. Somit liegt die AHV-Lösung auch im Interesse der Jüngeren.

Wir stehen vor einer Schlüsselreform für die Zukunft der Schweiz. Gelingen wird sie, wenn sie sich wie die früheren erfolgreichen Vorlagen wieder an den sozialen Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert.

In diesem Sinne stimme ich für Eintreten. (Paul Rechsteiner, SGB)

 

Ständerat zur Altersvorsorge 2020

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