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Hoffnungen und Ängste vor der Fusion

Die Ankündigung der Fusion der beiden Buchfilialisten Orell Füssli Buchhandels AG und Thalia hat bei den Angestellten gegensätzliche Erwartungen geweckt: Während die Angestellten von Thalia eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen erhoffen, befürchten die Angestellten von Orell Füssli ­Verschlechterungen. 

Überrascht und überrumpelt waren alle gleichermassen, als am 8. März die Medien über die geplante Fusion der beiden grössten Buchhändler der Deutschschweiz berichteten. Nicht die drei Personalkommissionen (PeKo) von Thalia Bern, Basel und Thalia/Stauffacher und auch nicht die Mitarbeitendenvertretung (MAV) von Orell Füssli waren im Voraus über die Pläne informiert worden.

Unterschiedliche kulturen ...

Die Mitglieder der MAV ­Orell Füssli wurden am Tag der Fusionsbekanntgabe zu einer Sitzung eingeladen, bei Thalia wurden die Pekos telefonisch informiert. Orell Füssli lud die FilialleiterInnen im Voraus zu einer Informationsveranstaltung am selben Tag, bei Thalia wurden die Filialleitungen nicht speziell informiert. Alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden gleichentags per internes Mail informiert. Die Geschäftsleitung von Orell Füssli besuchte in den folgenden Wochen die einzelnen Filialen und informierte die Angestellten. Die Thalia-MitarbeiterInnen mussten sich mit der schriftlichen Information begnügen. – Die Kommunikationspolitik ist symptomatisch für zwei Unternehmenskulturen, die sich spürbar unterscheiden.

Michael Kunz, CEO der ­Orell Füssli Holding, betonte gegenüber den Medien, dass eine «grobe Analyse» der Arbeitsbedingungen «keine grossen» Unterschiede ergeben habe.

Diese Aussage erstaunt, und man wüsste gerne, welche Indikatoren die Grobanalyse umfasst. Denn schon die letzte Lohnerhebung im Buchhandel, die die Universität Genf 2007 durchführte, brachte grosse Lohndifferenzen zutage. Sie entstehen vor allem dadurch, dass Thalia im Gegensatz zu Orell Füssli den Gesamtarbeitsvertrag nicht einhält. Zwar zahlt Thalia das Mindestgehalt nach der Lehre (3920 Franken), das Mindestgehalt im 4. Praxisjahr (4170 Franken) aber nicht.

Das führt dazu, dass das Lohnniveau bei Thalia signifikant tiefer liegt. CEO Kunz hätte aber auch mit einer der zahlreichen BuchhändlerInnen sprechen können, die von Thalia zu Orell Füssli gewechselt haben, und hätte so von den Lohnunterschieden hören können.

Die Mitarbeitenden von Orell Füssli befürchten aber nicht nur Druck auf die Löhne. Wie die Informations-, so unterscheidet sich auch die Mitwirkungspolitik in den beiden Unternehmen.Während Orell Füssli die MAV in ihrer Aufgabe unterstützt und mit ihr einen Dialog führt, werden die PeKo-Mitglieder von Thalia als notwendiges Übel behandelt. Ebenso wird von Thalia die Sozialpartnerschaft, sei dies im Rahmen des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands oder mit syndicom, seit Jahren vollständig abgelehnt.

... und Arbeitsabläufe

Hinzu kommen unterschiedliche Arbeitsabläufe. Während bei Orell Füssli die BuchhändlerInnen für ihre Warengruppe verantwortlich sind und selber Bestellungen ausführen, ist der Bestellvorgang bei Thalia auf einzelne MitarbeiterInnen beschränkt, was den Gestaltungsspielraum für die anderen erheblich einschränkt. So erstaunt es nicht, dass umgekehrt viele MitarbeiterInnen von Thalia die Fusion als Chance sehen und hoffen, dass sich die Unternehmenskultur von Orell Füssli durchsetzen wird. Genau dies, so die Überzeugung der Mitglieder der Personalvertretungen, wird entscheidend sein. Will die künftige Geschäftsleitung die Mitarbeitenden im Boot, wird sie sich mit allen kleinen und grossen Unterschieden der Unternehmenskulturen im Detail auseinandersetzen müssen.

* Danièle Lenzin, Co-Präsidentin syndicom und Leiterin Branche Buch und Medienhandel

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