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«Ich liebe den Klang des Alphorns»

Wurzeln in Ruanda, eine Ausbildung in Belgien und ein neues Leben in der Schweiz: Callcenter-Mitarbeiter Savio Muhigana zeigt mit heiterer Gelassenheit und Traurigkeit im Blick, wie das geht. 

 

Als Konrad Adenauer, der deutsche Bundeskanzler, 1967 starb, war Savio Muhigana fünf Jahre alt und sein Vater Botschafter in Bonn. Mittlerweile ist der Ruander mit belgischem Pass 55 und wohnt in Ostermundigen. Sein 83-jähriger Vater lebt wieder in Ruanda, der Rest der Familie ist in alle Welt zerstreut.

Fast 20 Jahre seines Lebens verbrachte Savio Muhigana in Belgien. Dann kam ein Headhunter und offerierte seiner damaligen Freundin einen Job in der Schweiz, einen guten Job, und sie griff zu. Die Sache hatte einen Haken: Niemand hatte ihnen gesagt, dass Kleinkinder in der Schweiz nicht ohne weiteres extern betreut werden.

Und so kam Savio ebenfalls zu einem Job: Er kümmerte sich um die beiden Kinder seiner Freundin. Erst als das Jüngere in den Kindergarten kam, konnte Savio langsam daran denken, ausser Haus arbeiten zu gehen. Er meldete sich bei einem Personalvermittler, der MitarbeiterInnen für Callcenter suchte. Arbeitete er zuerst auf Stundenlohn-Basis, gab es bald einen befristeten Vertrag; 2011 wurde er von Swisscom fest angestellt. Sein grosses Plus neben akzentfreiem Französisch: die angenehme Stimme am Telefon.

Das Callcenter zuhause

Computer, drei Bildschirme, ein Telefon mit Kopfhörern – so sieht Savios Arbeitsplatz zu Hause in seiner Genossenschaftswohnung aus. Drei Tage pro Woche arbeitet er im Home-Office, zwei Tage ausser Haus. In seinem Team von 23 Leuten arbeiten 10 regelmässig von zu Hause. «Das nimmt viel Druck weg», hat Savio festgestellt, und so habe er absolut keine Mühe, die Ziele zu erreichen.

Als Savio bei Swisscom anfing, war die Abteilung im Entstehen begriffen: «Unsere Aufgabe war es, KundInnen zu kontaktieren, welche ihren Vertrag mit Swisscom gekündigt hatten, um zu hören, was die Gründe dafür waren.» Erstaunlicherweise hatte dies die Swisscom vorher nicht interessiert. In den letzten Jahren sei das Geschäft härter geworden, aber auch der Umgang mit den KundInnen und Mitarbeitenden. «Als halbstaatlicher Betrieb kann Swisscom jedoch nicht alles machen», tönt Savio an. Er wisse, wovon er rede: «Ich habe alte Leute am Apparat, die weinen, weil sie nicht wissen, wie das mit den neuen Telefonen läuft.»

In seiner Zeit bei Swisscom hat sich auch sonst einiges verändert – Stichwörter dazu: Reorganisationen und Outsourcing. Die letzten Monate waren streng für Savio. Neu ist er auch für technischen und administrativen Support zuständig, und verkaufen soll er auch noch: «Jetzt weiss ich langsam, wie es geht.»

Integration ist miteinander leben

Savio Muhigana ist Mitglied der IG Migration bei syndicom: «Unser Präsident Augustin Mukamba ist sehr aktiv, kämpferisch und engagiert, das gefällt mir.» Savio wünscht sich, es würden auch SchweizerInnen mitarbeiten in der Kommission: «Wie soll Integration stattfinden, wenn wir uns in einem Ghetto bewegen?» Für ihn selber ist ohnehin klar: «Wir müssen zu den Schweizern hingehen!»

Etwas miteinander teilen, das sei wichtig. Deshalb schaue er mit Kollegen Fussball-Matches, obwohl er kein Fan sei. Oder grilliert mit seinen Nachbarn. Und er war auch schon an einem Schwingfest: «Ich wollte einfach wissen, was die da machen.» Bei dieser Gelegenheit hörte er das erste Mal ein Alphorn: «Ich liebe diesen Klang. Ich könnte stundenlang zuhören.» Neugierig auf das Leben, das ist er.

Rassismus erfahren hat Savio nach eigenen Angaben als kleines Kind in Deutschland. In Liebefeld sei er anfangs der einzige Schwarze gewesen, dadurch sei er aufgefallen. Doch ansonsten habe er SchweizerInnen als offen erlebt. «Ich verstehe die Menschen, die übers Mittelmeer fliehen», sagt Savio. Die Situation in Ruanda sei erbärmlich. Alle besässen ein Smartphone – aber es gebe junge Frauen, die sich prostituieren, und Kinder, die Erde essen.

Vier Monate ohne Nachricht – Völkermord in Ruanda

Als 1994 in Ruanda innerhalb von drei Monaten 1 Million Menschen getötet wurden, so die Schätzungen, lebte Savio in Belgien. «Vier Monate lang waren wir ohne Nachricht von unseren Eltern», erinnert er sich, «eines Tages rief uns der Vater aus einer Poststelle an und berichtete, er und seine Frau hätten sich drei Monate im Wald versteckt.» Noch heute ist das Verhältnis der Hutu-Mehrheit und der Tutsi-Minderheit angespannt. Savio mag nicht mehr in diesen Kategorien denken: «Ich bin Ruander. Basta.» Aber eins weiss Savio Muhigana nicht: «Wie soll ich das meiner Tochter erklären? Sie versteht das alles nicht!»

«Ich hatte Glück», sagt Savio, «ich kam nach Belgien, als die EU ihre Türen weit öffnete.» Und in der Schweiz hat er mittlerweile die Niederlassungs-Bewilligung. Sein Lohn bei der Swisscom sei kontinuierlich gestiegen. Zudem habe er die Möglichkeit erhalten, sich Kenntnisse der Erwachsenenbildung anzueignen. Dies könne ihm nützlich sein, wenn er nach der Pensionierung nach Ruanda zurückkehre. «Was soll ich hier als alter Mann? In Ruanda, da werden wir gebraucht.»

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