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Jede Sekunde verplant

Zu straffe Fahrpläne, ungehobelte Fahrgäste, verdeckt arbeitende Testpassagiere, verstopfte ­Strassen und Arbeit auf Abruf: Neun von zehn Angestellten empfinden die Arbeitsbelastung bei PostAuto als zu hoch.

 

«Es ist einfach unschön, wenn man aus den Medien erfährt, dass unser Chef, Daniel Landolf, findet, unsere Löhne seien zu hoch und müssten eingefroren werden», erzählt ein Chauffeur, der in 25 Jahren Tausende von Fahrgästen mit dem Postauto von einem Ort zum anderen transportiert hat.

Testpassagiere

Es sei ein richtiger Schlag in die Magengrube gewesen, so bringt er es auf den Punkt. In den letzten Jahren habe der Druck am Arbeitsplatz massiv zugenommen. Zu straffe Fahrpläne mit spitz kalkulierten Anschlusszeiten setzen die WagenführerInnen von PostAuto unter Druck, verstopfte Strassen in Städten und Agglomerationen in den Stosszeiten erhöhen den Stress und zunehmend unfreundliche oder sogar ungehobelte Fahrgäste belasten den Arbeitstag. Ein zusätzlicher Stressfaktor seien dann noch die Passagiere, die im Auftrag von PostAuto ihre Arbeit beurteilten, führt der Chauffeur weiter aus. «Die nebenamtlichen, verdeckt arbeitenden TestkundInnen und haben die Aufgabe, die Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Pünktlichkeit, den Fahrkomfort und weitere Dienstleistungen zu messen.» Die Beobachtungen würden an die Vorgesetzten weitergeleitet. Das schaffe nicht nur ein Misstrauensklima, sondern auch eine grosse Unzufriedenheit unter den Mitarbeitenden. Eine schlechte Beurteilung könne zudem lohnwirksam sein.

24-Stunden-Gesellschaft

«Die Vorgesetzten erwarten, dass wir Angestellte eierlegende Wollmilchsäue sind», fasst sein Kollege, der als Kontrolleur/Kundenberater und Chauffeur arbeitet, zusammen. Es sei ein echter Spagat, der von ihnen gefordert werde: «Wir müssen freundlich, einfühlsam, hilfsbereit sein und gleichzeitig hart, zupackend und durchsetzungsfähig.»

Erwartet werde von ihnen selbstverantwortliches Arbeiten, gleichzeitig sei aber jeder Arbeitsschritt bis ins kleinste Detail vorgeschrieben. Hinzu komme, dass jede Arbeits-Sekunde nachkontrollierbar sei: «In unseren Geräten, mit denen wir die Daten von KundInnen aufnehmen, die ohne Billett Postauto fahren, steckt ein GPS (Global Positioning System).» Auch dieser Kollege hat es je länger, je häufiger mit unfreundlichen und verärgerten Passagieren zu tun. Bei seiner Arbeit sei das ja kein Wunder, sagt er – niemand werde gerne kontrolliert. Er stelle allerdings auch einen Zusammenhang mit der stark zunehmenden «24-Stunden-Gesellschaft» fest. Jede Minute zähle, viele Passagiere ärgerten sich über Verspätungen. Der öffentliche Verkehr habe in den vergangenen Jahren massiv zugelegt und sei richtiggehend perfektioniert worden, was auf Kundenseite die Erwartungshaltung stark habe ansteigen lassen. Vielleicht, meint ein Zürcher Kollege, sei die Zeit gekommen, um einen langsameren Gang einzuschalten und die Umsteigezeiten wieder grosszügiger zu bemessen.

Zuganschluss verpasst

Den permanenten Druck, den Fahrplan sekundengenau einzuhalten, spürt auch der Postautochauffeur aus einer Bergregion. «Die Umsteigezeiten vom Postauto auf den Zug sind einfach zu knapp bemessen», sagt er. Wenn einmal ein Unfallwagen die Strasse blockiere oder heftiger Schneefall einsetze, seien Verspätungen unvermeidlich. «Dann steht nicht nur der betroffene Chauffeur unter Druck, sondern auch die Leute von der Disposition in der PostAuto-Zentrale, und der Zug wartet nicht.» Viele Passagiere reagierten verärgert, wenn sie den letzten Zug verpassten und eine zusätzliche Hotelnacht anhängen müssten. Der Kollege sieht bei den Fahrplänen einen grossen Verbesserungsbedarf, dennoch gefällt ihm seine Arbeit immer noch sehr gut. «Die Höhenunterschiede können mit zunehmendem Alter körperlich stark belasten, und die Überlegung, wann die Schneeketten zu montieren sind, kann im Winter zu schlaflosen Nächten führen. Doch die abwechslungsreichen Touren durch eine landschaftlich reizvolle Gegend machen vieles wett.» Mühe hat er damit, dass er seine Freizeit und sein gesellschaftliches Leben nicht oder nur schlecht planen kann. Die Arbeitseinsätze kennt er zwar einen Monat im Voraus, sehr oft habe er aber Nachmittagseinsätze, die bis spätabends dauerten. «Da ist es schwierig, Mitglied in einem Turnverein zu sein», resümiert er. Bei PostAuto gilt die Sechstagewoche, regelmässige Wochenendarbeit ist normal, da sei es zudem nicht einfach, mit Freunden abzumachen. Dies auch, weil es häufig vorkomme, dass man für Extrafahrten oder bei Krankheitsausfällen einspringen müsse. Er fühle sich manchmal wie auf Abruf. Und das könne gesundheitlich sehr belastend sein.

Judith Stofer,

freischaffende Journalistin BR

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